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Christiane Möbus „Wildwechsel“: Türen in die Vergangenheit

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Von: Ingeborg Ruthe

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Christiane Möbus am Ortsrand. Stine Hollmann
Christiane Möbus am Ortsrand. Stine Hollmann © Stine Hollmann

„Wildwechsel“: Die Bildhauerin Christiane Möbus und ihre Wurzelsuche auf Schloss Neuhardenberg.

Da steht sie im Herbstlaub des sich neigenden Jahres 2022 und umarmt das Ortsschild: Quappendorf, Gemeinde Neuhardenberg, Märkisch-Oderland.

Christiane Möbus erkundete von hier aus ihre Familiengeschichte bis nach Letschin und Kienitz. Die 1947 im niedersächsischen Celle geborene Künstlerin weiß, dass fast alles, was mit ihren Vorfahren zu tun hat, von hier kommt, aus den Höfen mit den rötlichen Raseneisenstein-Ummauerungen, mit den Gemüse- und Ostgärten hinterm Haus, dem weiten Blick über die Felder und Wiesen. Und insbesondere kommen die Familienerinnerungen aus Neuhardenberg, ab 1814 Sitz des preußischen Staatskanzlers und Reformators Fürst Karl August Freiherr von Hardenberg.

Das Dorf mit dem von Schinkel erbauten Schloss samt Kirche wurde zu DDR-Zeiten in Marxwalde umbenannt, obwohl der letzte Schlossherr Carl-Hans Graf von Hardenberg zur Widerstandsgruppe gegen Hitler um Graf Stauffenberg gehörte. Er hatte überlebt und dem Magistrat von Berlin seine Hilfe beim Wiederaufbau angeboten. Das wurde abgelehnt.

Sie spüre ihre Wurzeln, sagt Christiane Möbus, hier in dieser eiszeitlichen Kulturlandschaft, den von der Oder überschwemmten Auen, den Flächen, die seit Friedrich dem Großen trockengelegt wurden, um Feldfrüchte anzubauen für die Ernährung der hungrigen Untertanen. Vor allem Kartoffeln, die der König selber nie aß. Der Landstrich ist eines der markantesten Beispiele preußischer Binnenkolonisation im 18. Jahrhundert. Und am Ende des Zweiten Weltkriegs war er, gerade in der Gegend um Seelow, Schauplatz der größten Schlacht auf deutschem Boden.

Die emeritierte Professorin für Bildhauerei an der Universität der Künste, von der Stadt Berlin 2018 mit dem Hannah-Höch-Preis geehrt, hat die Ausstellungshalle von Schloss Neuhardenberg mit der Geschichte ihrer Vorfahren gefüllt: Fotos, Zeittafeln, Skulpturen, Installationen. Ein Teil der Familie hatte einst im Oderland eine Ziegelei betrieben und ein Großonkel gar eine kleine Goldmine. Möbus’ Großvater war um 1900 Lehrer im Neuhardenberger Ortsteil Quappendorf. Ihre Eltern flohen 1946 aus dem stalinistischen Osten in den Westen, nach Niedersachsen, fremd und verarmt. In deren von Heimweh durchdrungenen Alltag waren Flucht und Vertreibung immer das Thema. Die Mutter starb schon 1972 im „Exil“ an gebrochenem Herzen.

Möbus, die an der Kunsthochschule Braunschweig studiert und dann die große weite Welt erkundet hat, sucht, wie sie erzählt, schon seit 1968 ihre Wurzeln. Aber da waren ja Grenze und Mauer. Als sie 1990 die Professur an der heutigen UdK Berlin antrat, war das Geschichte. Die Landschaft ihrer Ahnen war nun ganz nah, doch erst seit der Pensionierung hat sie die Zeit, tiefer einzutauchen. Ihre innere Verbindung zu den Orten gab ihr die Metapher eines „Wildwechsels“ ein, diese von nicht domestizierten Tieren immer wieder benutzten Wege, denen sie mit instinktivem Drang folgen. Die Künstlerin sieht in diesem unbewussten Bedürfnis, sich dem zuzuwenden, von dem man getrennt ist, „Parallelen zu menschlichem Verhalten, besonders dann, wenn Familien von ihrer Heimat durch Grenzen gewaltsam getrennt werden“.

Mit herber Poesie drückt sie das in einer großen Installation entlang der Hallenwand aus: Maschendrahtrollen, stehend und auf dem Boden liegend. Darin verfangen sind Massen von märkisch-oderländischen Kiefernzapfen. Und davor steht ein Verkehrsschild mit weißer Schrift auf rotem Grund: Wildwechsel. Auch draußen im Schlosspark ist noch so eines in den Rasen gepflanzt.

Drinnen in der Eingangsrotunde lagert ein metallisches Kreissegment auf einem weißen Stein, darauf steht: „Zeit der Selbstgespräche“. Die Scheibe hat ein Loch. Möbus’ trockener Kommentar dazu mit den Worten des französischen Avantgarde-Malers Francis Picabia: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“

Ringsum platzierte sie ihre Familienaufstellung: Daten, Fotos, Texte, Objekte, also einen alten, gekippten Bauernschrank voller ebenso alter Bücher. Eine vergilbte, nachkolorierte Aufnahme zeigt sie selbst mit Schwester und Freundin, drei junge Mädchen in Sommerkleidern mit ihren Fahrrädern in der Natur. Möbus nennt diese Szene „eine Tür in die Vergangenheit“. Davor auf dem Fußboden lagert eine Holzschütte, darin eine Weizengarbe und zwischen den Halmen und körnerprallen Ähren Spielzeugvögel aus buntem Glas, ein Gleichnis des Reichtums an Nahrung, die Menschen in Kriegen und Krisen nicht haben. Und was auch an den Hunger erinnert, den ihre Familie damals litt. Die Installation nennt Möbus „Paradies“.

An den Wänden hängen farbige Großfotos, auch eins von den Seelower Höhen. Es ist ein steiler Draufblick auf ein Stück Sandacker, aus dem dürftige Grashälmchen wachsen, und auf Möbus’ eigene Schuhspitzen. Hier, in dieser Landschaft, das will sie wohl sagen, war im April/Mai 1945 jeder Zentimeter Erde oder Sand mit dem Blut der Toten der letzten großen Schlacht getränkt. Die Kriegsgräber Tausender sowjetischer und deutscher Soldaten – streng getrennt – sind ganz nahe.

Christiane Möbus’ Kunst ist von herber Poesie, manchmal prosaisch, oft ziemlich melancholisch – und dann wieder witzig. Genauso ist auch ihre Sprache, wenn sie erzählt. Darin steckt irgendwie der spröde Mutterwitz der Leute dieser Region. Simon Häusler, der junge Kurator der Ausstellung, nennt all die „Wildwechsel“-Arbeiten eine Liebeserklärung an die Heimat der Vorfahren. Dieser Gegend hat die Künstlerin sich nun anverwandelt; sie betreibt mit ihrer Wurzelsuche Heimatkunde. Und: Sie schafft für uns Ausstellungsbesucher gleichzeitig eine Art Resonanzboden für Assoziationen über unsere eigene Herkunft.

Stiftung Schloss Neuhardenberg , Märkisch-Oderland, Schinkelplatz: , bis 4. Juni, Mi–So 11–18 Uhr.

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