Anselm Kiefer – „Künstler der Unterwelt“

Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer erhält den hochdotierten Deutschen Nationalpreis.
Aus dieser Preisentscheidung spricht die Sehnsucht nach Bildwerken wie der Biennale- und Documenta-Künstler sie seit Jahrzehnten schafft: mythenschwer, geschichtsträchtig. Voller Weltdeutung als Aneignung des Unbegreiflichen, gewidmet den Antagonismen Eros und Thanatos – Leben, Liebe und Tod. Nun bekommt der 1945 in Donaueschingen geborene Maler und Bildhauer Anselm Kiefer am 6. Juli in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin den Deutschen Nationalpreis samt Scheck von 30 000 Euro. Die den Preis vergebende Deutsche Nationalstiftung in Hamburg wurde 1993 von Altbundeskanzler Helmut Schmidt gegründet und dort heißt es: „Kiefer gehört zur ersten Generation deutscher Künstlerinnen und Künstler, die sich unmittelbar mit der Frage nach Identität und Nation nach Krieg und Holocaust auseinandersetzten.“
Kunst und Verantwortung
Tatsächlich hat Kiefer – 2008 bekam er in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – einen ausgeprägten Sinn für die Verpflichtung der Kunst zur Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und ethischen Fragen der Gegenwart. Dazu bekannte er sich schon in den 1980ern, als er sagte: „Ich glaube, dass Kunst Verantwortung übernehmen muss, doch sollte sie nicht aufhören, Kunst zu sein.“
Seine symbolträchtige Kunst – man sah sie über Jahre in der Haupthalle des Hamburger Bahnhofs in Gestalt von bleiernen Flugzeugen und Bibliotheken, in dickem Farbauftrag von Öl, Acryl und Kalk gemalten Schlachtfeldern, babylonischen Ruinen und verbrannter Natur mit wie eingebrannten Texten von Homer, Paul Celan und Ingeborg Bachmann – entsteht freilich ein gutes Stück weg von Deutschland. Kiefer zog 1993 nach Frankreich. Er bezeichnet seine Arbeit als „Wechselspiel von Mythologie und Ratio“ und sich selber als einen „Künstler der Unterwelt“.
Dazu diese Anekdote: 2010 eröffnete die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Kiefer-Schau in Potsdam und fragte den Künstler, wieso er, der doch so tief in der deutschen Geschichte wühle, nicht in Deutschland lebe. Kiefer entgegnete: „Ach wissen Sie, wir haben etwas gemeinsam: Sie und ich sind im Ausland halt beliebter als daheim.“ Damals gab es bei diesem tiefsinnigen Satz im Ausstellungsraum einen ganz kurzen Stromausfall. Wie mystisch!