Allan McCollum und Matt Mullican in Berlin: Befragen Sie das Schicksal

Allan McCollum und Matt Mullican lassen vor ihren Kunstwerken das Publikum würfeln.
Von den verspieltesten Wesen der Schöpfung – den Katzen – heißt es, sie würden im Alter nicht mehr spielen. Auf diese beiden in Ehren ergrauten kalifornischen Konzeptkunst-Kater aber trifft das nicht zu. Der eine stammt aus Los Angeles, der andere aus Santa Monica. Im Berliner Kunst-Mai kommt es zwischen den beiden jetzt zu einem ausgesprochen kreativen Treffen. Denn sie spielen noch immer leidenschaftlich mit den in den USA seit den 60er Jahren aus dem Minimalismus entstandenen Tendenzen der Abstraktion und der Objektkunst. Eine Richtung, die der oft simplen Bedeutung des Kunstwerks gegenüber der artifiziellen Realisierung den Vorrang gibt.
Diese beiden Berühmtheiten der US-Concept-Art, Allan McCollum, geboren 1944, und sein Kollege, der Documenta-Künstler und Wahlberliner Matt Mullican, sind alte Freunde des Galeristen Thomas Schulte, der seit 1991 ausstellt, was in der Konzeptkunst Rang und Namen hat.
Aufbauen, Wegnehmen
Er war ihnen schon begegnet, als er in den 80er Jahren im New Yorker Kunstbetrieb tätig war. Seit Jahren begleitet er ihre Arbeit, findet es spannend, wie sie die Prozesse ihrer Produktion offenlegen – Prozesse des Aufbauens und Wegnehmens, des Akkumulierens und Löschens, der mechanischen Wiederholung und des systematisierten Vorgehens. Sowie des spielerischen Umgangs mit dem Zufall.
Nun treffen sie sich in Schultes Galerie und zeigen ihr gemeinsames Kunst-Spiel mit dem bedeutungsvollen Namen „Your Fate“ (Dein Schicksal). Ihre Lust am seriellen Arbeiten und an der Wiederholung treffen dabei geschickt aufeinander. Das Ergebnis ist ein Würfelspiel, mit dem sich, wie die beiden behaupten, die Zukunft voraussagen lasse.
Vor an den hohen Wänden gereihten quadratischen Schwarz-Weiß-Motiven mit markanten Piktogrammen stehen drei hochbeinige Spieltische. Darin befinden sich je 25-teilige weiße Würfel-Sets, mit je einem leeren roten Würfel.
Doch diese Spielwürfel tragen nicht etwa Punkte von eins bis sechs, sondern immer nur eines der auf den Bildern befindlichen universellen Alltagssymbole: Herzen, Schlösser, Sterne, Vögel, Strichmännchen-Signets für Frau und Mann. Auch ein Telefon ist dabei, die Waage der Justitia, Pfeile, Kreuze, das UNO-Symbol der Weltkugel und jede Menge Smartphone-Buttons. Das Publikum soll also spielen. Ein Handbuch liegt bereit, um diese Zeichen zu deuten. Man kommt mit einer vordefinierten Frage, die im Würfelwurf beantwortet werden soll.
Fast möchte man die beiden Kalifornier als Psychologen begreifen, die auf diese spielerische Weise testen wollen, wie viel Fantasie und Emotion das Publikum noch entfalten kann bei so viel Normierung unserer modernen Zeichenwelt im öffentlichen Raum. Sowie im Privaten, also bis hin zum Smiley per Smartphone, das in knapper Form über die jeweilige Situation und Gemütslage des Absenders Auskunft gibt.
Allan McCollum setzt sich schon seit den 70er Jahren mit der Funktion des Kunstwerks innerhalb der Gesellschaft auseinander. Sein sieben Jahre jüngerer Landsmann Matt Mullican wählte den ähnlichen Weg. „Wenn man Kunst verstehen will“, so McCollum, „sollte man, so scheint mir, bei der Situation beginnen, in der man ihr tatsächlich begegnet.“ Daher müsse immer nach dem Stellenwert der Kunst in der zeitgenössischen Kultur gefragt werden, auch ökonomisch und psychologisch.
Kacheln oder Dachziegel
Wie zur Bekräftigung seiner These hat er eine Serie aus Stoffmalereien aus den frühen 70er Jahren nach Berlin gebracht: riesige Gemälde aus in Naturtönen gefärbten oder gebleichten (McCollum sagt dazu „belichtet“) Leinwand-Streifen und -Quadraten, der Quilt-Technik nachempfunden, in ihrer Form Kacheln, Mauerwerk, Mosaiken oder Dachziegeln ähnlich.
Das Konstruierte dieser Bilder, die Fugenlinien, die Nähte, das Ausgefranste des Leinens, die über Abgrenzungen verlaufenden Farben, auch das Unfertige – es will wohl besagen, wie sehr doch alles Teil eines konstruierten Systems ist. Nicht das einer über- oder unterirdischen Macht, sondern das perfekte Konstrukt menschlichen Denkens und Tuns. So fragt der alte Künstler nach Verantwortung und betreibt spielerisch Aufklärung.
Galerie Thomas Schulte, Berlin: bis 4. Juni. www.galeriethomasschulte.de