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Albrecht Dürer: Der gebannte Blick

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Von: Ingeborg Ruthe

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Albrecht Dürer, Das Rhinozeros, 1515, Holzschnitt.
Albrecht Dürer, Das Rhinozeros, 1515, Holzschnitt. © bpk / Kupferstichkabinett, SMB /

Faszinierende Werkschau von Albrecht Dürer: Von der „Melancholia“ bis zum „Rhinozeros“.

Da dürfen sie alle mal ans Licht aus ihren Schüben, Mappen, Schränken im Berliner Kupferstichkabinett. Es ist ein großer Auftritt für die empfindlichen ikonischen Zeichnungen, die robusteren Holz- und Kupferstiche des Nürnberger Meisters Albrecht Dürer (1471–1528).

Wir schauen gebannt auf die mit Tiefenwirkung ins Langholz geschnittenen 15 Motive der wilden Reiter der „Apokalypse“. Zurück von seiner ersten Italienreise, machte der junge Dürer mit diesem Frühwerk von sich reden. Er hatte die Bildfolge in Buchform mit der Offenbarung des Johannes 1498 abgeschlossen, dann Jahre später wiederholt. Das Buch war sogleich auf Deutsch und Lateinisch erschienen und sorgte für Furore. Derart plastische Visionen, dramatische Szenen und Stimmungen hatte man noch nicht gesehen. Noch dazu mit der alten Holzschnitt-Technik hergestellt.

Dürer versetzte das biblische Geschehen in die fränkische Mittelgebirgslandschaft. Er machte Arme und Reiche unterschiedslos zum Personal des Weltuntergangs. Außerdem gelang ihm die perspektivische Darstellung durch Nähe, Ferne und Lichtverhältnisse. Dürer führte zusammen, was bis dahin im Holzschnitt getrennte Funktion hatte: Kontur und Schraffur wurden Träger von Licht und Schatten. Dürer gab der Linie einen Tonwert: feiner, belebter, variabler.

Ein paar Schritte weiter hängt das 19-teilige „Marienleben“, außerdem mehrere Varianten der emotionalen „Melancholia I“, diese schwarz-weiß kolorierte Verkörperung der später im Stil der deutschen Romantik und des Symbolismus zum Exzess getriebenen „schwarzen Galle“: der Schwermut. Gleich am Anfang der wirkmächtigen Schau gehen wir fast körperlich hinein und durch die monumentale kolorierte „Ehrenpforte“. Am Schluss des Rundgangs auch durch die Schwarz-Weiß-Version. Kaiser Maximilian I. war Dürers größter Mäzen. Kein Wunder, dass der seinem Fürsten dieses detailversessene Triumph-Werk widmete. In der modernen Kunstgeschichte würde solch eine Arbeit als „Environment“ durchgehen. Dürer war als Künstler der Renaissance seiner Zeit eben voraus.

Wie erhofft, stehe ich dann vor dem berühmten „Rhinozeros“ von 1515. Dürer markierte mit dem exotischen Tier das Zeitalter der „Weltentdeckung“. Nie hatte er den Spitzmaulkoloss in Natura gesehen. Das Transportschiff aus Afrika war im Nordmeer im Sturm gesunken; das Blatt nährt den Mythos bis heute.

Was hat dieser Sohn eines aus Ungarn nach Franken eingewanderten Goldschmiedes namens Ajto (Tür – woraus eingedeutscht dann Dürer wurde) nur aus dem alten, simplen Holzschnitt gemacht? Er hat ihn revolutioniert, für Serien und Verbreitung. Dürer war ein früher Medienkünstler. Und nicht ohne Grund bildet seine Signatur mit dem hausähnlichen A eine Art Tür.

Brustbild eines jungen Mädchens, 1515.
Brustbild eines jungen Mädchens, 1515. © Kupferstichkabinett

Der von klein an geförderte Patenjunge Anton Kobergers, eines damals mächtigen Buchdruckers und Verlegers, wuchs im Drucker-Metier auf, beherrschte die Techniken virtuos, tüftelte Neues aus. Er hatte großes Künstler-Selbstbewusstsein, begriff sich aber auch als Werkstattmeister und Geschäftsmann – alles in Personalunion. Er wurde zum Vorreiter des Zeitalters der grenzenlosen Reproduzierbarkeit. Und dennoch war und blieb Dürer zugleich originaler Künstler. Ein Zeichner vor dem Herrn, wie schon die Kohlezeichnung der ausgezehrten „Mutter“ von 1514 zeigt. Dicht daneben, als Kontrast für Tod und Leben, eine liebliche Maid und das sinnliche Bildnis einer Frau im besten Alter. Bei Dürer gab es keinen Tag ohne Linie.

Ab 1515 hatte Dürer in seiner Werkstatt einen „Reißer“, also einen professionellen Formschneider, angestellt, davor schnitt er die hochkomplexen Vorzeichnungen wohl selbst in die Holzplatten. Auch den Druck der Bücher besorgte er selbst, dadurch konnte er je nach Auftragslage nachdrucken: Der Holzschnitt erlaubte im Unterschied zum Kupferstich viel höhere Auflagen. Und auch der Vertrieb der Grafiken lag in Dürers Eigenregie. Er beschäftigte Vertreter, die seine Druckgrafik über Grenzen vertrieben. Auf Märkten und Messen der Region sorgte Ehefrau Agnes für Absatz. Die Dürerin, so ist es überliefert, soll ziemlich taff gewesen sein.

Zu sehen sind 130 Meisterwerke, meist aus dem Kupferstichkabinett und anderen Sammlungen der Staatlichen Museen. Oberkustos Michael Roth weiß um die Geschichte fast jedes Blattes und kann diesen so üppigen wie handverlesenen Bestand ausbreiten. Wir begreifen auch ohne große Worte, dass das Kupferstichkabinett Hort einer der weltweit wichtigsten Sammlungen Dürers ist.

Dürer, der sich aufgrund seines Migrationshintergrunds chauvinistisch nicht instrumentalisieren lässt, bietet nicht zuletzt auch Stoff für einen Geschichtsexkurs. Dieser führt uns zu den Anfängen des Kupferstichkabinetts 1831 über die Reichsgründung 1871 zur immensen Sammlertätigkeit. Allen voran ist da der preußische Generalpostmeister Nagler, und bis 1903 auch Friedrich Lippmann. Die Nazis ließen Dürer unangetastet, aber der Krieg teilte den Bestand in West und Ost. Seit 1994 sind die Konvolute wieder vereint. So wird diese Schau jetzt auch zur Spurensuche in die deutsche Kunstgeschichte.

Berliner Kupferstichkabinett, Kulturforum: bis 27. August, Katalog (Hatje Cantz) 48 Euro.

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