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"Kunst entsteht auch jenseits von Diskurseinschätzung und Expertise"

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Auch der Faktor, der sich der Planbar- und Erwartbarkeit entzieht, braucht in der Kunst Raum.
Auch der Faktor, der sich der Planbar- und Erwartbarkeit entzieht, braucht in der Kunst Raum. © David W Cerny /dpa

Holger Bergmann vom Fonds Darstellende Künste über die Besonderheit einer Bundesförderung und die Notwendigkeit einer Carte blanche bei der Mittelvergabe.

Herr Bergmann, 2018 konnte die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, ihren Gesamtetat in Höhe von jetzt 1,67 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent erhöhen. Dabei erhielt etwa der German Motion Picture Fund zusätzliche zehn Millionen Euro, um den Produktionsstandort Deutschland zu stärken. Warum ging der Fonds Darstellende Künste, der gleiches für die international agierende Theater- und Tanzszene bewirken kann, aber mit aktuell 1,1, Millionen Euro sehr schmal ausgestattet ist, leer aus?
Die Kulturstaatsministerin hat die Kulturförderfonds seit 2016, zufällig genau seitdem ich Geschäftsführer bin, in ihren Zuständigkeitsbereich übernommen. Frau Grütters ist mit dem Wandel der Kunst- und Theaterproduktion der letzten zwanzig Jahre eng vertraut und weiß, welch ein bundesweit wichtiger Partner der Fonds Darstellende Künste für die frei produzierenden darstellenden Künstler und Künstlerinnen ist. Dem Haus der Beauftragten für Kultur und Medien ist ein höherer Zuwendungsbedarf bekannt und noch ist der Haushalt 2018 nicht endgültig fixiert und der für 2019 steht zur Planung an, so dass etwas Hoffnung bleibt.

Liegt die Vernachlässigung in der ersten Runde vielleicht daran, dass sich freie darstellende Künstler auch auf Mittel aus anderen Bundestöpfen bewerben können? Oder am geringen Renommee des Bundesfonds in den Ländern, vor denen sich Frau Grütters ja auch rechtfertigen muss?
Bereits seit der letzten Legislaturperiode sollte der Fonds nach dem Willen der Koalition eigentlich gestärkt werden und auch die neue Koalitionsvereinbarung hebt dies hervor. Die Verankerung in den Ländern erlebe ich als sehr stark, so ist unsere Initialförderung in Grundzügen von Ländern wie Bremen, Berlin und NRW übernommen worden. Mit der dreijährigen Konzeptionsförderung war der Fonds 2010 einer der ersten Förderer, die eine mehrjährige Förderung einführten. Eine Bundesförderung wie die des Fonds als intermediäre Instanz, erfüllt im besten Sinne das Prinzip der Subsidiarität wie das Gebot der staatsfernen Kulturförderung.

Was bedeutet das?
Bei uns steht die Selbstbeauftragung der Künstler und Künstlerinnen im Mittelpunkt. Die Förderung ist inhaltlich sehr offen, sie zwingt nicht in bestimmte Strukturen oder fordert kein besonderes gesellschaftliches Engagement. Wir fördern außerdem Produktionen und Arbeitszeiträume, keine Kooperationsstrukturen. Denn diese sind in vielen Hinsichten nützlich, begünstigen von ihrer Natur her aber den Kompromiss und der ist in der Kunst meist kein hilfreicher Partner.

So lange Jurys aufgrund von Anträgen über Förderung entscheiden, so lange sind die Künstler in der Bringschuld, die Relevanz ihrer Absichten zu beweisen. Auch der Fonds fördert zum Teil projektweise. Wie gelingt Ihrer Jury die Konzentration auf den ästhetischen Diskurs?
Es geht nicht um eine Relevanz-Prüfung, denn relevant ist das Kunstwerk oder die Aufführung immer nur im Zusammenhang mit dem Publikum. Die Jury wägt in erster Linie ab, ob aus der vorliegenden Beschreibung des Vorhabens ein bundesweit wirkendes Projekt der freien darstellenden Kunst entstehen könnte; ob ein Möglichkeitsraum, in dem Kunst entstehen kann, beschrieben wird. Dabei fließen eine Reihe von Aspekten in das Jury-Gespräch ein. Unter anderem spielt der Werkbegriff in der Kunst eine wichtige Rolle, der durch Fähigkeiten, Übung, Intuition, Rezension und Diskurs geprägt wird. Während es in der Kommune um die Sicherung einer lokalen Künstlerschaft geht und auf Landesebene um die Förderung von kontinuierlicher Arbeitsweise, ist die Bundesebene stärker für eine Fortentwicklung und motivierend für mutige Setzungen in Form und Ästhetik zuständig. Die Jurytätigkeit ist dabei keine Gutachtertätigkeit, wie es manchmal fälschlich gesehen wird, es ist das Gespräch und Abwägen über Zweifel und Zuversicht in die Möglichkeiten der Entstehung von Kunst und sollte meines Erachtens sogar den Zufall mitberücksichtigen.

Was meinen Sie mit der Berücksichtigung des „Zufalls“? Dass ein bestimmter Prozentsatz des zu vergebenden Geldes verlost werden sollte?
Das Kuratorium hat bereits letztes Jahr einmal über die Einführung einer „Zufallsentscheidung“ nachgedacht und wir werden diesen Aspekt im kommenden Frühjahr noch einmal intensiv diskutieren. Neben der Entscheidung nach bestem Wissen und im großen Vertrauen auf die Künstler und Künstlerinnen existiert ein nicht kalkulierbarer, sich der Expertisenabwägung und Diskurseinschätzung entziehender Faktor, in dem Kunst immer auch jenseits all dieser Faktoren entstehen kann. Deswegen könnte die Vergabe einer „Carte blanche“ in jeder Entscheidungsrunde sinnvoll sein.

Viele Künstler klagen, dass sich diejenigen, die über Fördermittel entscheiden, die Arbeiten selbst nicht ansehen und sich so auch kein Vertrauen aufbauen kann, sondern immer wieder doch der Einzelantrag im Zentrum des Gesprächs über Förderung steht. Evaluieren Sie die Ergebnisse der Förderung – im Sinne von: gelungen oder nicht gelungen?
Die Mitglieder des Kuratoriums sind allesamt Aktive im Feld der darstellenden Künste und natürlich werden die Förderungen entsprechend evaluiert. Allerdings steht nicht das Prinzip „Daumen hoch oder runter“ im Sinne einer Qualitätsabnahme im Vordergrund. Wir betrachten inhaltliche oder strukturelle Bewegungen, Bundesländergrenzen überschreitende Kooperationen oder die Eigenständigkeit der Formate und ästhetischen Mittel. Der Wunsch nach Bewertung (am besten positiv mit dem gewünschten Vertrauensaufbau) ist in den freien darstellenden Künsten tatsächlich verhältnismäßig groß. Es gibt ja hier keine unmittelbaren Intendanten, die die Einzelnen in ihrer Entwicklung kontinuierlich spiegeln. Eine solche Begleitung der Künstler und Künstlerinnen kann jedoch nicht die Kernaufgabe einer aus guten Gründen jährlich fluktuierenden Jury sein. Diese qualifizierende Tätigkeit gehört viel stärker an die Produktions- und Koproduktionspartner und damit an die Stadt- und Landesebene geknüpft.

Und wonach also würde bemessen, ob die Idee der Carte blanche erfolgreich ist?
Dies ist einer der Aspekte, die im Kuratorium noch genauer diskutiert werden. Ich würde in die Debatte die Frage einbringen, ob in der durch Anträge, Entscheidungsrunden, Bewilligungen, Verwendung und Evaluierungen geprägten Welt der Kunstförderung, die Option einer Carte blanche nicht einen Wert an sich darstellt und vielleicht gar keiner späteren Evaluierung bedarf.

Interview: Petra Kohse

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