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Der Kulturkampf der Neuen Rechten

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Von: Harry Nutt

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Europa hat seine Grenzen.
Europa hat seine Grenzen. © rtr

Der Naturhistoriker Rolf Peter Sieferle wird mit seinem Band "Finis Germania" posthum zum willfährigen Textarbeiter im Kulturkampf der Neuen Rechten.

Die Rücktritte aus der Jury der NDR-Bestenliste „Sachbücher des Monats“ haben die Affäre um die Empfehlung eines rechtslastigen Buches vorerst beenden, deren Rätsel aber keineswegs lösen können. Vordergründig steht weiter die Frage im Raum, was den „Spiegel“-Journalisten Johannes Saltzwedel geritten haben mag, ein mit antisemitischen Ressentiments gespicktes Thesenbuch als lesenswert zu empfehlen.

Der Politologe Herfried Münkler, selbst Mitglied der Jury, gab sich auch Tage nach Bekanntwerden des Debakels im Gespräch mit dem Deutschlandradio noch immer empört. Der „Spiegel“-Journalist habe die Jury als Geisel genommen. Münkler unterstellte Heimtücke dabei, „ein solches miserables Buch so weit vorn zu platzieren.“ Saltzwedels Äußerung, er habe den schmalen Band „Finis Germania“ von Rolf Peter Sieferle zur Diskussion stellen wollen, akzeptiert Münkler nicht. Es sei eine „verlogene Erklärung“. Dass Saltzwedel alle 20 Punkte für dieses Buch eingesetzt habe, zeige, dass er einen „bedingungslosen Willen“ aufgebracht habe.

Was mag Saltzwedel geritten haben?

Hinter den Kulissen war es wohl auch etwas weniger zurückhaltend zugegangen. Ehe die Jury-Affäre öffentlich wurde, hatte Saltzwedel den protestierenden Mitgliedern intern Illiberalität und eine Neigung zum Mainstreaming vorgeworfen. Ein inzwischen hinreichend bekanntes Muster im Kampf um eine neue kulturelle Deutungshoheit, in dem sich rechtes Denken als stigmatisiert und ausgegrenzt darstellt. Und so führt der irritierende Streit um ein kurzes Buchfragment tief hinein in ein ideologisches Spannungsfeld, in dem die Koordinaten zwischen rechts und links auf verwirrende Weise verschoben scheinen.

Das gilt nicht nur in Bezug auf den „Spiegel“-Mitarbeiter. Auslöser der Affäre ist vielmehr der intellektuelle Niedergang des Naturhistorikers Rolf Peter Sieferle, dessen unumstrittene wissenschaftliche Reputation scheinbar in politische Verbitterung und schließlich im Suizid mündete. Als tragische Verirrung eines Verkannten aber lässt sich der Fall Sieferle nicht abtun. Vielmehr wird darin auch ein Riss sichtbar, der sich durch ein überaus einflussreiches, politisch bislang eher ungebundenes Geistesmilieu zieht.

Auf den streitbaren Geist des Naturhistorikers Rolf Peter Sieferle hat bereits der Schriftsteller und Journalist Gustav Seibt in seinem Nachruf (in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 9. Oktober 2016) aufmerksam gemacht. Nicht ohne Sympathie schrieb er über Sieferle: „Dass er sich auch von den kulturpessimistischen Zivilisationstheorien der vorletzten Jahrhundertwende, gar von der ‚Konservativen Revolution‘, die er ideenhistorisch aufarbeitete, anregen ließ, hat man ihm zum Vorwurf gemacht. Zu Unrecht. Sieferle war ein unerschrockener, immer rationaler Denker, der sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen ließ, wenn er apokalyptische Möglichkeiten erwog. Konservativ war allenfalls sein Bewusstsein für natürliche Grenzen.“

In den letzten Monaten seines Lebens hat sich Sieferle dann aber mit ganz anderen Grenzbewegungen befasst, was nun auch die „Süddeutsche Zeitung“ dazu veranlasst hat, in ihrer aktualisierten Online-Archiv anzumerken, dass sich das Urteil Seibts durch die Kenntnisnahme von Werken aus Sieferles Nachlass verändert habe.

Eine Art Rückruf des Nachrufs also. Mit Blick auf „Finis Germania“ attestierte Seibt Sieferle nun eine erstaunlichen Primitivität: „Und da kann ich eigentlich wenig anderes dahinter erkennen als den uralten antisemitischen Topos von der jüdischen Rache oder der jüdischen Rachsucht und Gnadenlosigkeit. Das ist keine sinnvolle Provokation, sondern einfach eine Anschwärzung in ganz altem und finsterem Stil.“

Problematisch ist nicht zuletzt die Form der Veröffentlichung. Sieferles Buch erscheint ohne jedes Vorwort oder eine einordnende biografische Notiz. Unklar bleibt, ob er es überhaupt zur Veröffentlichung vorgesehen hat. Durch die fragmentartige Form wird „Finis Germania“ aber erst recht zu einem mythischen Text, und Rolf Peter Sieferle wird posthum zum willfährigen Textarbeiter im Kulturkampf der Neuen Rechten.

Und der Kampf geht weiter. Auf der Homepage von Michael Klonovsky, einem Mitarbeiter von AfD-Chefin Frauke Petry, findet sich ein Brief von Rolf Peter Sieferle, den Klonovsky als eine Art Abschiedsbrief betrachtet – und als Vermächtnis an die AfD. Sieferle rät der Partei darin, sich aus strategischen Gründen vom Antisemitismus abzuwenden. Vor allem aber zieht sich durch den Brief die Klage über eine omnipräsente politische Alternativlosigkeit. Ein anerkannter Wissenschaftler, der die Bundesregierung beraten hat, spricht hier als politisch Enttäuschter, der gegenüber einem herrschenden Meinungskartell resigniert. „Betrachtet man das gesamte politische System, so war die Lage fatal. Die Bevölkerung merkte allmählich, dass durch diese Politik ihre vitalen Interessen verletzt wurden, doch gab es auf dem herkömmlichen Weg keine Möglichkeit, diesen Unwillen zu artikulieren. Normalerweise würde man erwarten, dass im Parlament einem Regierungsblock ein Oppositionsblock gegenübersteht, den man wählen kann, wenn einem die Politik der Regierung missfällt.“

Urheber dieser Verschwörung gegen den offenen Diskurs ist dem Sieferle zugeschriebenem Brief zufolge die Bundeskanzlerin: „Merkel hat es geschafft, diesen urdemokratischen Mechanismus außer Kraft zu setzen, da nun die einzige innerparlamentarische Opposition gegen ihre Politik selbst Teil der Regierung war und sich deshalb mäßigen musste. Für die Wähler bedeutete dies, dass sie einem totalitär-geschlossenen Block gegenüberstanden, bei dem sie wählen konnten, was sie wollten, ohne dass dies Auswirkungen auf die eigentlich entscheidenden Fragen hatte.“

Wie aber kann es sein, dass ein Wissenschaftler, dem viele kommunikative Kanäle bis hinein in die Ministerien offen standen, sich plötzlich einem totalitär-geschlossenen Block gegenüber sieht? Die ideologische Konversion Rolf Peter Sieferles indes vollzog sich nicht plötzlich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als ein signifikantes Beispiel für das Empfinden eines diskursiven Ausschlusses kann die Auseinandersetzung um die Zeitschrift „Tumult“ angesehen werden, zu deren Autoren auch Sieferle gehörte.

Die Zeitschrift war Ende der 70er Jahre im Umfeld der Autoren des Merve-Verlages von Frank Böckelmann, Peter Gente und anderen gegründet worden und verstand sich als unorthodoxe Publikation, die sich stark an den Theoriediskurs des französischen Poststrukturalismus orientierte. Zu den Autoren gehörte bis zu seinem Tod 2001 der Soziologe Dietmar Kamper ebenso wie Norbert Bolz, der heutige Leiter des Marbacher Literaturarchivs, Ulrich Raulff, und der Schauspieler Hanns Zischler. Ästhetische Betrachtungen überwogen unmittelbare politische Bezugnahmen.

Aber die Zeiten der fröhlichen Lust am Text sind vorbei. Aus dem einst eher ironisch-anspielungsreichen Untertitel „Zeitschrift für Verkehrswissenschaft“ wurde 2013 die „Zeitschrift für Konsensstörung“, was unmissverständlich ein Hinweis auf eine als verändert wahrgenommene Diskurslandschaft zu verstehen war.

Im Dezember 2015 entbrannte im Mitarbeiterkreis der Vierteljahresschrift ein heftiger Disput über eine Ausgabe zur aktuellen Migrationspolitik, insbesondere über die Beiträge von Frank Böckelmann, dem Schriftsteller Reinhard Jirgl sowie Ulrich Schacht und Rolf Peter Sieferle, der in der massenhaften Zuwanderung eine Gefährdung des Sozial- und Nationalstaats konstatierte.

Die Diskursgewitter halten an

Es kam zum Tumult bei „Tumult“, in dessen Verlauf ein gutes Dutzend der Autoren ihre Zugehörigkeit aufkündigten und andere demonstrativ hinzustießen. Der Verdacht auf eine umfassende Illiberalität hatte nun auch ein Medium erreicht, das einmal ausdrücklich als Organ einer theoriegetriebenen geistigen Freiheit gegründet worden war.

Die Diskursgewitter halten an. Ein weiteres Buch von Rolf Peter Sieferle, „Das Migrationsproblem“, wird vom Manuscriptum Verlag umgehend mit dem Charme des Verbotenen beworben. Etwas Unerhörtes sei geschehen, heißt es da. Jury und Medien hätten versucht, Sieferles Buch unter Quarantäne zu stellen. Das Kokettieren mit dem Skandal überragt das Argument.

Vielleicht hat der Berliner Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel Recht, der mit Blick auf das Erstarken der kulturellen Rechten von einer Repräsentationslücke spricht. Die Unverstandenen wollen nicht verstanden werden, und das Projekt Konsensstörung besinnt sich auf die subversiven Energien früherer Tage. Auch die Tageszeitungen „Die Neue“ und die „taz“ waren Ende der 70er Jahre ja in dem festen Bewusstsein gegründet worden, dass die bürgerlichen Medien Nachrichten bewusst unterdrücken.

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