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Krieg 51

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Von: Thomas Stillbauer

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In Butscha ziert ein Gemälde die Fassade eines während der russischen Besatzung beschädigten Hauses.
In Butscha ziert ein Gemälde die Fassade eines während der russischen Besatzung beschädigten Hauses. © Emilio Morenatti/dpa

Im Westen wird diskutiert, im Osten möchte man sich wehren können: 51 Wochen Krieg und kein Ende in Sicht. Die Kolumne „Times mager“.

Wie sollten wir weiterzählen? Das war jetzt eine der Fragen. Wie sollten wir weiterleben, das vor allem, aber ein wenig ging es auch darum, was wäre, wenn bald, schon in der kommenden Woche, das Jahr voll sein würde. Wie dann zählen?

Das Allerbeste wäre, wenn das Jahr gar nicht voll werden würde. Wenn der Tyrann in dem riesengroßen Land entscheiden würde, nun sei es genug, Schluss mit dem Töten. Frieden und Rückzug. Da aber kaum anzunehmen war, dass dies geschehen könnte, mussten wir uns damit befassen, wie wir künftig zählen würden. Acht Jahre und 51 Wochen Krieg, das war Stand der Dinge. In der nächsten Woche dann: neun Jahre? Acht und 52?

Nebensächlich, wie wir es benannten. Es ging ja um andere Schwerpunkte. Es ging jetzt sehr um Flugobjekte. Das überfallene Land wünschte sich Flugzeuge, die schießen konnten, um sich zu verteidigen. Das riesengroße Land hatte Flugzeuge zum Angreifen und unzählige kleinere Flugobjekte, die keine Piloten an Bord brauchten, um zu töten und zu zerstören. Das überfallene Land wollte sich wehren, auch mit mehr Flugzeugen, aber darüber gab es Streit.

Schließlich hatte das überfallene Land von denen, die es gut mit ihm meinten, schon Panzer bekommen. Oder eher: versprochen bekommen. Sie würden irgendwann eintreffen. Das konnte noch dauern. Immerhin hatte man die Phase abgeschlossen, in der darüber diskutiert wurde, ob das überfallene Land Panzer bekommen sollte, während seine Bevölkerung bombardiert wurde. Dann konnte jetzt die Phase beginnen, in der darüber diskutiert wurde, ob es auch Flugzeuge bekommen durfte, während die Bevölkerung weiter bombardiert wurde.

Einige meinungsstarke Menschen waren dagegen. Sie starteten den nächsten Aufruf, die friedliebende Welt solle mit dem Tyrannen in dem riesengroßen Land verhandeln, auf dass nicht weitergekämpft werden müsse. Ungeklärt blieb, ob die Menschen in dem überfallenen Land dann künftig offiziell gequält und unterdrückt werden durften, so wie die Mächtigen in dem riesengroßen Land es bereits praktizierten.

Während darüber im Westen diskutiert wurde, stiegen weit im Osten – oder noch weiter im Westen, je nach Blickwinkel, die Welt war ja immer noch eine runde Sache, das zumindest war inzwischen Konsens – stiegen also weit entfernt ebenfalls Flugobjekte in die Höhe und wurden aus der Luft geschossen. Die Hintergründe waren dubios. Fest stand, dass Grenzen überschritten wurden, wie man es sich noch vor 51 Wochen, nein, vor acht Jahren und 51 Wochen nicht hatte vorstellen können. Die Furcht war nicht aus der Luft gegriffen.

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