Tierversuche für Impfstoffe gegen Corona – Was tun für das Tierwohl?

Um Tierleid zu verhindern, bringt es nichts, auf Impfungen zu verzichten. Alternativen müssen her. Hilal Sezgins monatliche Kolumne „Unter Tieren“.
In den sozialen Medien wimmelt es geradezu von Fotos mit Pflästerchen auf Oberarmen, und auch ich habe gerade meine erste Impfdosis erhalten. Wie fast alle Menschen, die mir von ihrem Gang ins Impfzentrum berichtet haben, wurde ich von einer rätselhaften leichten Euphorie ergriffen. Rührt sie von dem Triumph her, eine Katastrophe – wenn auch unverdient – überlebt zu haben? Oder gleicht sie dem Gefühl, an einem weltweiten, historischen Ereignis teilzuhaben, ähnlich wie die Fußball-WM, nur dieses Mal spielen „wir alle gegen das Virus“?
Die Freude ist natürlich nicht ungetrübt, zumal für jemanden, der oder die sich beinahe täglich mit der Ausnutzung der Tiere durch den Menschen beschäftigt. Zumindest die mRNA-Impfstoffe gegen Corona sind, wenn ich es recht verstehe, ohne die Verwendung von Hühnereiern „gezüchtet“ worden, denn der Trick liegt ja darin, dass der menschliche Körper die vermeintlichen Angreifer selbst nach dem mRNA-Bauplan produziert.
Für den Impfstoff gegen Corona wurden Tiere krank gemacht, versehrt, getötet
Doch sind für die Entwicklung dieses Impfstoffs – wie für jedes Medikament (und auch sonst irgendwie alles, was der Mensch benutzt) – umfangreiche Tierversuche angestellt worden. Tiere wurden dafür krank gemacht, versehrt, getötet. Wir Menschen freuen uns über das Abflauen der Pandemie, haben monatelang darauf gehofft und gewartet – wohl wissend, und es damit schweigend erkaufend, dass unsere Gesundheit unzähligen anderen Tiere große Qual aufbürdet.
Sollte eine Veganerin daher also auf die Impfung verzichten? Ich denke entschieden: Nein! Der Veganismus ist ja weniger ein Versuch, sich selbst von den Folgen der Tierausbeutung „rein“ zu halten (was ohnehin nicht geht), als vielmehr ein politischer Protest und ein Konsumentenboykott, der versucht, gesellschaftliche Praktiken in Richtung einer herrschaftsfreieren Welt zu verändern. Der individuelle „Verzicht“ hat nur da Sinn, wo er Teil einer solchen kollektiven politischen Anstrengung ist – und wo auf dem Weg über Nachfrage und Angebot etwas verändert werden kann.
Es muss endlich mehr Geld in Alternativen zu Tierversuchen fließen
Bei Impfstoffen, Medikamenten und dergleichen haben wir aber leider nicht diese Wahl. Die Anforderungen an Forschung und Medikamentenzulassung sind gesetzlich reguliert, und auf diesem Weg müssen wir hier kämpfen: Dafür, dass sich wiederholende und für jede und jeden offensichtlich überflüssige Tierversuche sofort eingestellt werden. Dafür, dass die Kriterien für die Genehmigung von „Grundsatzforschung“ um ein Vielfaches strenger werden, als sie es derzeit sind. Dafür, dass ein Vielfaches an Geld endlich in die Erforschung von Tierversuchsalternativen geht, dass diese Alternativen zügig gesetzlich anerkannt werden und so weiter.
Tiere | 2019 für Versuche in Deutschland verwendet |
Mäuse | Über 2 Millionen |
Fische | Über 390.000 |
Ratten | 270.000 |
Kaninchen | Knapp 95.000 |
Hunde | 3.527 |
Affen | 3.443 |
Katzen | 954 |
(Sowie diverse andere Tierarten) | Quelle: tierschutzbund.de |
Außerdem müssten natürlich sofort all diese Tierversuche eingestellt werden, die nur dem Zweck dienen, dass der Mensch weiterhin unbesorgt die Gesundheit anderer Tiere ausbeuten kann. Wozu müssen wir wissen, ob Fledermäuse, Meerschweinchen, Hühner, Schweine an Covid 19 erkranken? Wir müssen es gar nicht wissen! Wenn wir endlich aufhören, Fledermäuse, Meerschweinchen, Hühner, Schweine zu essen/gefangen zu halten, sind wir fein raus.
Wir helfen keinem einzigen Tier, wenn wir uns nicht impfen lassen
Doch wie die Dinge derzeit liegen, werde ich regelrecht sauer, wenn Veganer und Veganerinnen „Impfskepsis“ zeigen (Allergien, Phobien und dergleichen einmal außen vor gelassen). Wir helfen keinem einzigen Tier, wenn wir uns nicht impfen lassen, aber wir schaden potenziell uns und anderen Menschen. Das Wort Undankbarkeit kommt mir in den Sinn: wie undankbar gerade auch den vielen Tieren gegenüber, die hierfür starben!
Hilal Sezgin
Jahrgang 1970, lebt als freie Autorin in der Lüneburger Heide. Jeweils zu Monatsbeginn schreibt sie an dieser Stelle „Unter Tieren“.
Aber kann man jemandem dankbar sein, der die Gabe gar nicht freiwillig erbrachte? Streng genommen nicht. Wenn jemand in einem Museum das Raubgut einer kolonialen Vergangenheit bewundert und sich, mit gemischten Gefühlen, dennoch freut, den Regentag mit dem Anblick historischer Artefakte verbringen zu dürfen, denkt bzw. dankt er oder sie auch nicht: Vielen Dank, liebe Indigene früherer Zeiten, dass ihr uns eure wertvollen Gegenstände gegeben habt, ähm, nein, überlassen musstet, als ihr von unseren Vorfahren überwältigt und unterworfen wurdet … Das wäre ein offenkundig verrückter Satz.
Wir verdanken unsere Existenz Missgeschicken und Verbrechen früherer Zeiten
Und so wurschteln wir Menschen uns durch die Geschichte, überleben (wenn wir Glück haben) eine Katastrophe nach der anderen. Tanzen oft genug auf den Knochen unserer Vorfahren und ihrer Opfer, verdanken unsere Existenz Missgeschicken und Verbrechen früherer Zeiten. Häufen selbst emsig neue Knochen- (und Müll-!)berge für die kommenden Generationen an … Ja, das war schon immer so. Aber zum Glück muss es nicht immer so bleiben.