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"Ich bin ein Kuriosum"

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Wolf Schneider.
Wolf Schneider. © dpa

Wolf Schneider brachte Hunderten von Journalisten das Handwerk bei. Nun erhält er den Nannen-Preis: Ein Gespräch über Wahrheit, Sprache und PR.

Herr Schneider, muss man Sie sich als jemanden vorstellen, der sich ärgert, sobald er morgens die Zeitung aufschlägt?

Ja, aber der Ärger schlägt oft um in Genugtuung.

Wie das?

Wenn ich Zeitung lese, stoße ich immer wieder auf einen mit feuilletonistischem Hochmut geschriebenen, grammatisch korrekten, aber unendlich komplizierten Satz, bei dem man nach 41 Wörtern ahnt, was der Schreiber gemeint haben könnte. Das ist deutsches Bildungsbürgertum von 1912. So geht man mit Lesern nicht um. Diese Sätze schneide ich dann gleich aus und verwurste sie beim nächsten Seminar als abschreckendes Beispiel. Da kommen mir aktuelle Beispiele für schlechtes Deutsch immer recht.

Ihre Bergsteiger-Knie haben gelitten, Ihre Schnauze nicht, haben Sie einmal gesagt. Hält Sich-Ärgern jung?

Na ja. Nicht der Ärger, aber Engagement hält jung, und zum Engagement gehört nun mal auch Ärger. Ich gehe sehr lebendig um mit dem, was ich lese oder erlebe, und setze das gern in ein neues Buchprojekt oder einen Schreibauftrag um. Ob es das ist, was mich jung hält, weiß ich nicht. Es ist müßig, darüber nachzudenken. Ich erschrecke ja selbst über mein Alter. Aber ich bin wach, und was ich lehre, ist heute wichtiger denn je: Schließlich war es statistisch nie so schwer, gelesen zu werden, wie heute.

Theo Sommer von der Zeit sagte kürzlich, heute schrieben Journalisten besser und nicht so langweilig wie in seiner Generation. Stimmen Sie zu?

Nein. Es gibt engagierte Journalisten, so wie früher auch, aber besser geworden ist nach meiner Kenntnis nichts. Das Wissen sinkt, der Umgang mit Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik verschlechtert sich seit Jahrzehnten, der Wortschatz verkleinert sich, es mehren sich die Journalisten, die das Wort „wähnen“ nicht von „glauben“ unterscheiden können. Diese Verarmung der Sprache registriere ich mit Bedauern. Ich bin nach dem Krieg in der Phase in den Journalismus hineingewachsen, in der die Amerikaner versuchten, in Deutschland guten Journalismus in angelsächsischer Tradition zu etablieren. Diese Gesinnung versuche ich weiterzugeben – und ihr Journalisten habt das Äußerste zu tun, um der Wahrheit zu dienen und sie in einer Form mitzuteilen, die die Leute verstehen können und lesen mögen.

Als es 1978 darum ging, wer die G+J-Journalistenschule leiten soll, hat Nannen angeblich über Sie gesagt: „Er ist ein Arschloch, aber er ist der Einzige, der das kann.“

Und als er mich dann fragte, ob ich bereit wäre, die Schule zu leiten, habe ich ihm geantwortet: „Herr Nannen, ich habe mich sowieso schon gewundert, dass Sie glaubten, diese Schule gründen zu können, ohne zu wissen, ob Sie mich als ihren Leiter gewinnen würden.“ Wir hatten eben ein fröhlich-gespanntes Verhältnis zueinander.

Nun werden Sie mit dem „Henri“ für Ihr Lebenswerk geehrt. Was bedeutet Ihnen das?

Ich glaube, ich habe mit diesem Preis mehr zu tun als jeder der sechs zuvor damit Ausgezeichneten – schließlich habe ich Henri Nannen in seiner großen Zeit erlebt und noch direkt von ihm gelernt. Niemand hat so viel von ihm gelernt wie ich, und es gibt in meinem langen Journalistenleben niemanden, von dem ich mehr gelernt habe als von ihm, nämlich: Wie man darum ringen muss, gelesen zu werden.

Genau das lehrten Sie früher nur Journalisten, heute auch PR-Leuten. Inzwischen wechseln viele Journalisten in die besser bezahlte PR. Umgekehrt schaffen es PR-Texte weitgehend ungeprüft in Zeitungen.

Das ist unerfreulich. Die Journalisten sind ja mehr und mehr überlastet durch den gewachsenen Arbeitsdruck. Und indem ich den PR-Leuten beibringe, in sauberem Deutsch saubere Informationen aufzuschreiben, erhöhe ich sogar ihre Chance, von Medien abgedruckt zu werden. Aber für die Arbeitsbedingungen kann ich nichts.

Können Sie reinen Herzens jungen Leuten zu diesem Beruf raten?

Unser Beruf kommt in Bedrängnis. Das ist richtig. Die Gründe sind bekannt: Die Auflagen sinken, und die Chance, dass der Leser einen Text bis zur letzten Zeile liest, ist gering. Aber das bedeutet ja nicht, dass der Beruf nicht schön oder nicht nützlich wäre. Ohne Information kann Demokratie nicht funktionieren, und wenn die Leute nicht informiert sind, stimmen sie dumm ab. Dagegen muss ein Journalist sein Möglichstes tun. Ich jedenfalls wüsste nicht, was ich mit meinen langen Lebensjahren Schöneres anstellen könnte.

Sehen Sie jemanden, der eines Tages in Ihre Fußstapfen treten könnte?

Ich kenne niemanden, der macht, was ich mache. Unter Deutsch sprechenden amerikanischen Offizieren Journalismus erlernt zu haben, ihn seit 62 Jahren zu betreiben, seit 51 Jahren Sachbücher zu schreiben, seit 32 Jahren Journalisten in allen drei deutschsprachigen Ländern auszubilden – das ist eine seltene Biografie, die sich nicht wiederholen lässt. Insofern bin ich ja schon aus historischen Gründen ein Kuriosum.

Braucht man für das, was Sie tun, diese gewisse Eitelkeit und Arroganz, für die Sie bekannt sind?

Ein gesundes Selbstbewusstsein ist nötig. Wenn ich zu diesen handverlesenen Schülern in die Journalistenschule komme, sehe ich denen an, wie sie denken: Na, da wollen wir doch mal sehen, ob du alter Knacker uns noch was beibringen kannst. Binnen weniger Minuten merken sie dann: Ja, ich kann ihnen sogar noch ungeheuer viel beibringen, und ihren vereinigten rhetorischen Anstrengungen bin ich jederzeit gewachsen.

Interview: Ulrike Simon

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