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Hyperaktiv durch WLAN?

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Von: Eckhard Stengel

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Immer verbunden mit der Welt: Besucher von Starbucks. Die Filialen der Kaffeehauskette sind ein sicherer Anlaufpunkt für alle, die ein WLAN suchen.
Immer verbunden mit der Welt: Besucher von Starbucks. Die Filialen der Kaffeehauskette sind ein sicherer Anlaufpunkt für alle, die ein WLAN suchen. © rtr

Umweltmediziner veröffentlichen einen Studienüberblick zu Strahlenfolgen, der beunruhigt. Das Bundesamt für Strahlenschutz dagegen zweifelt an der Aussagekraft der Ergebnisse.

WLAN hier, WLAN dort, WLAN überall: Viele Smartphone- und Laptop-Nutzer möchten gerne ständig über lokale Funknetzwerke ins Internet gehen – nicht nur zu Hause, sondern auch unterwegs in Bussen und Bahnen oder beim Einkaufsbummel. Strittig ist, wie gefährlich die bald allgegenwärtige WLAN-Strahlung ist. Die in Oldenburg erscheinende Zeitschrift „Umwelt – Medizin – Gesellschaft“, die vom Ökologischen Ärztebund und anderen Umweltmedizin-Verbänden herausgegeben wird, hat jetzt eine Auswertung von über hundert Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Demnach können „Wireless Local Area Networks“ (WLAN) auch schon unterhalb der geltenden Grenzwerte schädliche Wirkungen auf Gesundheit und Verhalten haben. 

Der Studienüberblick ist allerdings umstritten. Das Bundesamt für Strahlenschutz spricht auf Anfrage von „unwissenschaftlicher Vorgehensweise“ und versichert: „Bei Einhaltung der bestehenden Grenzwerte sind bis dato keine gesundheitsrelevanten Wirkungen nachgewiesen.“ Dennoch empfiehlt auch die Behörde vorsorglich, „die persönliche Strahlenbelastung zu minimieren“. 

Verfasst wurde der Studienüberblick von der Diplom-Biologin und Redakteurin des Informationsdienstes „Strahlentelex / Elektrosmog-Report“, Isabel Wilke, im Auftrag der Umwelt- und Verbraucherorganisation „Diagnose: Funk“.

WLAN läuft oft auf der Frequenz einer Mikrowelle

„Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten“, so heißt Wilkes Abhandlung, in der sie mehr als hundert Studien zusammenfasst, meist zu Tierversuchen. Schon die Einleitung dürfte viele Laien erstaunen: WLAN-Anlagen arbeiten oft mit derselben Frequenz wie Mikrowellen-Herde, nämlich mit 2,45 Gigahertz (GHz). 

Den ausgewerteten Studien zufolge haben solche hochfrequenten Mikrowellenstrahlungen angeblich Einfluss auf die Fruchtbarkeit, die Krebsentwicklung und die Gehirnfunktionen, aber auch auf Herz, Leber und Schilddrüse. Wilke erwähnt außerdem negative Auswirkungen auf Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Aktivität. Zum Beispiel habe ein Experiment mit Ratten 2008 gezeigt, dass sich bei zweistündiger Bestrahlung an 21 Tagen mit niedrigen Feldstärken (16,5 Mikrowatt pro Quadratzentimeter) das Verhalten geändert habe: „Die bestrahlten Tiere erwiesen sich als hyperaktiv.“

2014 beobachteten andere Forscher Ameisen auf ihren Laufstrecken. Laut Wilkes Zusammenfassung zeigten die Tiere „schon wenige Sekunden nach Einschalten des WLAN-Routers gestörtes Verhalten“. Erst nach sechs bis acht Stunden habe sich ihre Futtersuche wieder normalisiert, obwohl der Router nur eine halbe Stunde gelaufen sei.

Bei einem der wenigen Versuche mit Menschen zeigten sich 2011 auch Einflüsse auf die Hirnströme, die per Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen werden: Laut Wilke sank bei den männlichen Versuchspersonen ein bestimmter Wert, der als Maß für die Aufmerksamkeit gilt, während er bei den Frauen stieg. 

Ein weiteres Kapitel: Fortpflanzung und Fruchtbarkeit. Strahlung geringer Feldstärke habe 2013 „physiologische Stressreaktionen“ bei trächtigen Mäusen erzeugt und zum Absterben der Embryos geführt, schreibt Wilke. Und WLAN-Strahlung von Laptops auf dem Schoß senke die Qualität menschlicher Spermien, wie eine Studie von 2012 gezeigt habe. 

Sogar Bakterien lassen sich offenbar beeinflussen, wie auszwei Studien von 2015 und 2017hervorgehen soll. Demnach stieg bei bestrahlten Kolibakterien, Klebsiellen und Listerien die Resistenz gegen Antibiotika.

Aber auf welche Weise sollen WLAN-Strahlen all solche Effekte hervorrufen? „Als Wirkmechanismus identifizieren viele Studien oxidativen Zellstress“, schreibt Wilke. Gemeint ist damit die verstärkte Bildung von reaktiven Sauerstoffmolekülen, besser bekannt als freie Radikale, die auch eine Rolle bei der Krebsentstehung spielen. 

Bundesamt für Strahlenschutz rät zu Kabel-Verbindungen

Einige der aufgelisteten Experimente zeigten Wirkungen vor allem bei jungen Versuchstieren. Auch deshalb fordert Autorin Wilke „für Erziehungsinstitutionen aller Altersstufen“ einen WLAN-Verzicht. Dies empfiehlt sie aber auch für Schlafzimmer, Arbeitsplätze, Aufenthaltsräume, Krankenzimmer, Hörsäle und öffentliche Verkehrsmittel. Zumindest sollten die Geräte abschaltbar und leistungsgeregelt sein.

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) rät, beim Surfen Kabelverbindungen zu bevorzugen und zentrale WLAN-Zugangspunkte nicht „in unmittelbarer Nähe“ von Orten zu installieren, „an denen sich Personen ständig aufhalten, zum Beispiel am Arbeitsplatz“. Anders als Wilke begründet das BFS diese Empfehlungen jedoch nicht mit realen Gefahren, sondern nur mit reiner Vorsorge. Das Ziel sei, „mögliche, aber bisher nicht erkannte gesundheitliche Risiken gering zu halten“.

Behördensprecher Jan Henrik Lauer, von der FR um eine Einschätzung der Wilke-Arbeit gebeten, wirft der Biologin unwissenschaftliche Methoden vor. Zu dem strittigen Frequenzbereich gebe es rund 2 800 experimentelle Studien. Wilke habe aber nur etwa hundert davon beachtet. „Es scheint, als ob ‚systematisch‘ Studien ausgewählt wurden, die gesundheitsrelevante Effekte zeigen, ohne dabei die Qualität und Aussagekraft des Studiendesigns in irgendeiner Hinsicht zu berücksichtigen“, kritisiert Lauer. Bewerte man die Gesamtheit aller Studien, so lasse sich keine „frequenzspezifische Gefährlichkeit von WLAN erkennen“. 

Der BFS-Sprecher untermauert seine Kritik mit Beispielen: Wenn ein Laptop die Spermienqualität beeinträchtige, dann könne das auch an der Akku-Wärme liegen. Dass ein EEG durch hochfrequente Felder beeinflusst werde, sei unstrittig; doch aus Sicht von EEG-Experten seien solche Effekte gesundheitlich nicht relevant. Oxidativer Stress sei ein natürlicher Prozess; Das Robert-Koch-Institut habe 2008 keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Umweltbelastung, oxidativem Stress und bestimmten Krankheiten bestätigen können. Und zu den Verhaltensstudien meint Lauer noch, dass Ameisen „für das menschliche Verhalten wenig Relevanz haben“. Auch die Ergebnisse von Mäuse- und Rattenversuchen ließen sich nur teilweise auf Menschen übertragen – wobei Lauer auf Nachfrage einräumt, dass dies auch für die vielen entwarnenden Studien gilt, die überwiegend ebenfalls mit Tieren arbeiten.

Dass sich Wilke gar nicht mit entwarnenden Studien beschäftigt, stimmt allerdings nicht. Ein paar erwähnt sie durchaus – doch sie bestreitet deren Aussagekraft. Zum Teil seien sie von der Mobilfunkindustrie finanziert worden; zum Teil hätten die Forscher unrealistisch hohe Feldstärken eingesetzt, obwohl es inzwischen Studien gebe, wonach gerade die geringeren Feldstärken Wirkungen zeigten. Außerdem, so Wilke, seien Experimente ohne Befund kein Beweis dafür, dass die warnenden Studien falsch seien.

Zur Kritik des BFS sagte Wilke auf Nachfrage, je nach Datenbank finde man mehrere hundert Studien, aber keinesfalls 2 800, wie vom BFS behauptet. Sie habe die Arbeiten „von vorne bis hinten auf Stimmigkeit überprüft“ und diejenigen zitiert, die stimmig seien. Dass oxidativer Stress in bestimmtem Rahmen normal sei, treffe zwar zu – aber bei WLAN-Strahlung trete er verstärkt auf. Wilkes Fazit: „Das BFS bleibt seit vielen Jahren auf dem längst überholten Standpunkt stehen, dass es keine nicht-thermischen Wirkungen gibt, dabei ist zig-fach nachgewiesen, dass es viele Wirkungen gibt.“

Manchmal gehen sogar auch die Hersteller auf Nummer Sicher. Wilke hat in der Bedienungsanleitung eines Telekom-WLAN-Routers den Hinweis entdeckt, dass das Gerät nicht „in unmittelbarer Nähe zu Schlaf-, Kinder- und Aufenthaltsräumen“ aufgestellt werden solle, „um die Belastung durch elektromagnetische Felder so gering wie möglich zu halten“.

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