hr-Intendant Florian Hager: „Es kann niemanden wundern, dass auf diesen Plattformen Hass deutlich sichtbar ist“

Der neue hr-Intendant Florian Hager über die Bedeutung der Unterhaltung und die Gefahr durch soziale Medien im Besitz reicher Menschen.
Beim Hessischen Rundfunk (hr) hat seit 100 Tagen ein Mann das Sagen, der als Digitalexperte gilt. Florian Hager, vorher stellvertretender Programmdirektor der ARD-Mediathek, ist 46 Jahre alt – 20 Jahre jünger als sein in den Ruhestand gewechselter Vorgänger Manfred Krupp. Im Gespräch hört man Hager an, dass er aus dem Schwäbischen stammt.
Herr Hager, Sie sind kein Hesse, Sie sprechen kein Hessisch. Was verbindet Sie mit Hessen?
Mit Hessen verbindet mich einiges. Ich bin zwar Schwabe, aber ein Schwabe mit Wurzeln in Frankfurt. Mein Urgroßvater hatte eine Bäckerei in Sachsenhausen – die Friedrichs-Bäckerei in der Elisabethenstraße, die leider im Krieg zerstört worden ist. Ich bin mit einer Hessin aus Bad Camberg verheiratet. Und ich lebe seit über zwei Jahrzehnten im Rhein-Main-Gebiet und fühle mich zu Hause hier.
Gibt es etwas im Programmangebot des hr, was ihn aus Ihrer Sicht auszeichnet?
Den hr zeichnet ein sehr spannendes Gesamt-Portfolio aus. Vom hr-Sinfonieorchester, einem der aktuell besten Orchester in Deutschland, der hr-Big Band über unsere sehr erfolgreiche Hörfunkflotte, dem hr-Fernsehen und der Hessenschau bis hin zu den immer erfolgreicheren Angeboten im Digitalen. Ich habe da am Anfang immer einige Dinge erwähnt, aber da muss ich aufpassen. Hier einzelne Angebote herauszustellen, wird der exzellenten Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gerecht.
Wie sieht Ihr eigenes Mediennutzungsverhalten aus?
Der größte Teil meiner audiovisuellen Mediennutzung ist non-linear. Ich nutze überwiegend die Mediathek und die Audiothek. Aber ich habe in meiner privaten Mediennutzung auch sehr viele analoge Punkte. Ich höre Radio, wenn ich im Auto unterwegs bin. Ich lese Zeitungen. Ich bin mit den Füßen in der analogen, aber mit dem Kopf in der digitalen Welt.
Sie kommen mit dem Ruf des Digitalexperten. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Ich finde die Aufgabe im hr sehr spannend, weil schon relativ früh die Erkenntnis gereift ist, dass sich vieles ändern muss, um in der digitalen Welt bestehen zu können. Wir befinden uns mitten in dem so wichtigen Veränderungsprozess, der natürlich auch nicht alle begeistert. Wichtigste Erkenntnis ist: Unsere Aufgabe, die ganze Bevölkerung zu erreichen, wird linear immer schwieriger. 30 Prozent der Menschen in Deutschland nutzen Bewegtbilder ausschließlich non-linear, sie schalten also nicht den Fernseher zu einer bestimmten Zeit ein. Bei den Jüngeren sieht dies noch viel deutlicher aus. Das Digitale ist für uns also auch die Chance, wirklich allen ein Angebot machen zu können.
Zugleich sind die Mittel begrenzt, und Veränderungen führen zu Unmut – wenn Sie etwa zurückdenken an den Ärger über die Umstrukturierung des Hörfunkprogramms hr2. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass unser Budget selbst bei einer Beitragsstabilität faktisch kleiner werden wird. Das zwingt uns zu größeren Umbau- und Restrukturierungsmaßnahmen. Wir sind gezwungen, den Schritt schneller zu machen als andere. Wir müssen den Menschen mehr erklären, was wir tun und wie wir es tun. Das wird nicht ohne Konflikte ablaufen. Als beitragsfinanzierter Sender haben wir dabei einen hohen Legitimationsbedarf.
Zur Person
Florian Hager amtiert seit 1. März als Intendant des Hessischen Rundfunks (hr). Der gebürtige Aalener wuchs in Heidenheim auf, studierte Medientechnik, Informatik und Multimedia an der Hochschule der Medien in Stuttgart sowie Publizistik und Filmwissenschaft in Paris und Mainz.
Der 46-Jährige hatte zuletzt als stellvertretender Programmdirektor und Channel Manager der ARD-Mediathek gearbeitet. Davor war er für den deutsch-französischen Sender Arte in Straßburg tätig und Gründungsgeschäftsführer von Funk, dem Jugendangebot von ARD und ZDF.
Um die Nachfolge von Intendant Manfred Krupp, der in den Ruhestand gegangen ist, hatte sich auch die hr-Betriebsdirektorin Stephanie Weber beworben. Im Dezember fiel die Entscheidung erst im vierten Anlauf. Im Rundfunkrat votierten 18 Mitglieder für Hager, 14 für Weber.
Für den Hessischen Rundfunk sind rund 1700 Festangestellte und etwa 800 „feste Freie“ tätig. pit
Zumal die Öffentlich-Rechtlichen in einer Glaubwürdigkeitskrise bei einem Teil der Bevölkerung stecken. Wie gehen Sie damit um?
Wenn die Demokratie als Modell in Frage gestellt wird, wenn unsere freiheitliche Grundordnung in Frage gestellt wird, dann haben wir auch als Öffentlich-Rechtliche ein Problem. Unser Auftrag wurde ja gerade nochmal ausdrücklich bekräftigt. Wir sind ein wichtiges Element für die freie Meinungsbildung.
Gibt es eine zu große Nähe zur Politik?
Ganz klar nein. Ich war lange in Frankreich unterwegs. Da gibt es eine sehr enge Nähe zum Staat. Die Führungspersonen werden direkt vom Präsidenten eingestellt. Das gilt in Frankreich als völlig normal. Wir haben in Deutschland immer noch ein sehr gut funktionierendes System, und das gilt es auch zu erhalten.
Vor welchen Entwicklungen müssen wir uns wappnen?
Unsere Meinungsbildung findet heute zu einem großen Teil auf Plattformen statt, die nicht zur Meinungsbildung entworfen wurden, sondern um Werbung auszuspielen. Ich rede von Facebook, Instagram und anderen. Es kann niemanden wundern, dass auf diesen Plattformen Hass und anderes deutlich sichtbar ist.
Warum?
Werbung funktioniert immer dann, wenn der Inhalt mich direkt anspricht und stark emotionalisiert. Extreme Äußerungen passen in dieses Raster. Verantwortet werden diese Plattformen von Menschen, die sogar mit einem philosophischen Ansatz unterwegs sind, wonach sie die Welt besser machen würden. Teilweise glauben sie das sogar. Ich halte es für extrem gefährlich, dass einzelne Menschen so viel Geld und Macht haben, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. Wir können dem nur entgegentreten, wenn wir gemeinsam in Europa für demokratische Werte einstehen. Das wird nicht einfach, denn diese Werte sind weltweit in der Erosion begriffen. Das Demokratische ist ein Aushandlungsprozess, der immer länger dauert als andere Systeme. Aber er ist nachhaltiger, weil er am Ende die Menschen mitnimmt.
Die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen haben sich auf einen Entwurf für einen neuen Rundfunk-Staatsvertrag verständigt. Sind Sie damit zufrieden?
Die Flexibilisierung unseres Auftrags ist überfällig und sehr zu begrüßen. Ich bin sicher, dass wir damit gut arbeiten können. Ich halte es für wichtig, dass neben Information und Kultur auch die Unterhaltung weiterhin zu den Aufgaben der Sender gezählt wird. Es ist nicht zielführend, zwischen Information als dem scheinbar Guten und Unterhaltung als dem scheinbar Schlechten zu trennen. Der Gegenpol zu Unterhaltung ist nicht Information, sondern Langeweile. Und langweilig sollten wir auf keinen Fall sein.
Passt Onkel Otto, diese Figur aus vergangenen Zeiten mit der Antenne auf dem Kopf, noch in die Welt eines digital ausgerichteten Senders?
Onkel Otto spielt bei vielen Menschen aus Tradition noch eine Rolle. Aber wir müssen darüber nachdenken, mit welchen Personen und welchen Bildern wir in Hessen künftig verbunden werden wollen. Wir brauchen Personen, denen die Menschen vertrauen, auch in der digitalen Zukunft. Dafür steht nicht unbedingt Onkel Otto. Wir brauchen aber Konstanten auch in einer Welt, die uns schnelle Veränderungen abverlangt.
Interview: Pitt von Bebenburg
