Heimat ist überall
Die diesjährige Architekturbiennale - erste Annäherung durch einen Besuch im Deutschen Pavillon
Die Giardini, dort vorne, wo es im Laub flimmert, sind selbstverständlich alles andere als eine natürliche Heimat. Schon wegen des Himmels heute. Er bewegt sich nicht. Wenn man den Himmel sieht, denkt man besonders an Venedig.
Auch unter dem heutigen Himmel erreicht man die venezianischen Giardini gut mit dem Wasserbus der Linie 1. Wenn man in ihnen steht, genügt es, das Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern oder auch nur das Knie durchzudrücken. Denn schon sind sie zu hören. Und auch ist es vollkommen ausreichend, in diesem Park die Augen zu schließen. Denn dann spürt man ihr mildes Aroma, unterm fächelnden Laubbaumgewölbe, auf dem knirschenden Kies, zwischen all den Biennalepavillons.
Da sie auch auf der diesjährigen Architekturbiennale Heimstätten eines internationalen Wettstreits sind, ist es das Nationalbewusstsein, das einen, trotz mancher Ablenkung, in den Deutschen Pavillon treibt. Er in ganz besonderer Weise macht den Besucher vertraut mit der vertrauten Heimat. "Deutschlandschaft" heißt der deutsche Beitrag auf der diesjährigen Architekturbiennale. Man muss sich "Deutschlandschaft" als die Heimat des Scheußlichen vorstellen. Man mag für sie manch' nüchterne Bezeichnung finden, ob nun Peripherie oder Vorort, Stadtrand oder Außenbezirk. "Deutschlandschaft" ist augenscheinlich ein Einzugsgebiet des gebauten Schreckens, der an diesem Ort keinen Anfang und kein Ende kennt. Hier franst alles aus, die Typologie, die Morphologie, die Grenze zwischen Stadt und Land. Und das periphere Leben selbst wahrscheinlich auch.
Peripherie als Panorama
Sicher ist, dass der Begriff Deutschlandschaft auf ein Projekt der Münchner Architekten Auer + Weber zurückgeht, die im Jahre 1992 auf der Expo in Sevilla gemeinsam mit dem Künstler Albert Hien diese ironische Wortneuschöpfung für das Niemandslanddesaster erfanden. Im Deutschen Pavillon wird es zu einer 80 Meter Bilderstrecke aufgereiht, zu einem Fotopanorama, Haus für Haus, Straße für Straße, mit Mimo's Döner an der Ecke, mit der S-Bahn-Trasse wenige Schritte entfernt und der Braunkohleabraumhalde noch vorm nächsten Berg, dessen Höhenzüge stark nach Vordertaunus aussehen. Eine Collage also. Tatsächlich wird die wüste Peripherie durch das Panorama auf wenigen Metern zusammengeschoben. Der Besucher mag diese Komprimierung des Schreckens und Konjunktion des Konturlosen für schiere Polemik halten. In Wahrheit ist sie der Tatsache geschuldet, dass in dieses zugespitzte Deutschlandbild 38 Architekturen von Rang hinein kopiert worden sind.
Francesca Ferguson, Initiatorin von "urban drift", einem internationalen Netzwerk für Architektur und Urbanismus, ist für diese "Deutschlandschaft" verantwortlich, für die Konfrontation des Heimeligen mit dem Unheimlichen. Für eine Collage aus banalen Lagerhallen, Einkaufszentren, Wohnsiedlungen und ambitionierten Architekturen, wie diese in den vergangenen vier Jahren in der Republik entstanden sind. Ferguson hat zahlreiche Arbeiten von Architekten der mittleren Generation ausgesucht, von Allmann Sattler Wapper (München), von Bolles + Wilson (Münster) oder Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten (Stuttgart). Neben ihnen tauchen die Namen von solchen Architekten auf, die in den letzten zehn Jahren auf sich aufmerksam gemacht haben, etwa Brückner & Brückner (Tirschenreuth) , Sauerbruch Hutton Architekten (Berlin) oder Florian Nagler (München).
Man mag darüber streiten, ob tatsächlich die besten Projekte in das deutsch-venezianische Pavillonpanorama Einzug gefunden haben. Sicherlich aber übertrifft der diesjährige Beitrag, der den Deutschen Pavillon erreicht hat, die Vorgängerpräsentationen bei weitem. Tatsächlich hat sich Francesca Ferguson dem diesjährigen Biennalemotto "Metamorphose" gestellt, indem ihre Collage vor Augen stellt, wie sehr selbst in den Epizentren des Hässlichen architektonische Schlaglichter gesetzt werden können, ob nun durch Umgehung provinzieller Baunormen, durch ironische Zuspitzung, durch surreale Überhöhungen oder auch nur durch unprätetentiöse Reparaturen. Gleichzeitig aber macht die Präsentation die Grenzen des Architektonischen deutlich. Denn dort, wo sie lediglich Solitäre in einer Heimat des Hässlichen setzt, zeigt sich um so deutlicher, dass Städtebau, stärker noch als von spitzfindigen Architekturen, von robusten Strukturen profitiert.
Hoffnung auf Auswege
Davon kann sich der Besucher recht bequem überzeugen, etwa in einladenden Sitzlandschaften. Das milde Klima der Giardini (Außenraum und Innenraum durchdringen sich?) hat Eingang gefunden in eine trotz ihres Gegenstands eher entspannt wirkende Präsentation. Für sie steht auch allerlei Multimediagerät zur Verfügung. Nicht zuletzt sind kleine Fensterschlitze in das Panorama eingeschnitten worden. Sie geben durch den Horizont hindurch Ausblicke, gewissermaßen durch das Übel hindurch, in welche Zukunft auch immer - auf jeden Fall auf Thesen, von denen sich die kritische Stadtplanung Auswege aus der Misere erhofft.
Es ist ein Panorama, das "Deutschlandschaft" zu einer Endlosschleife des Abstoßenden macht, trotz der 38 architektonischen Einsprengsel eines unbeirrbaren Gestaltwillens. Es sei dahingestellt, ob man diese nun als Keimzelle einer Metamorphose in Richtung einer städtebaulichen Vernunft liest oder als Hort markanter Metaphern für eine un-natürliche Heimat. Denn im Grunde mag man sich gar nicht vorstellen, dass das Panorama ein bevorzugtes Medium der Architekturmoderne zur Darstellung ihrer unheimeligen Visionen war.