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Zum Tod von Martin Amis: Moralisch überlegen

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Von: Sebastian Borger

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Martin Amis.
Martin Amis. © imago images/Guillem López

Zum Tod des englischen Romanciers und Essayisten Martin Amis.

Als „literarischen Giganten“ („Sunday Times“), als „Trendsetter einer ganzen literarischen Generation“, so Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro, würdigen die Feuilletons der britischen Sonntagszeitungen den jetzt verstorbenen Romancier und Essayisten Martin Amis. Angedeutet wird damit zweierlei: der kometenhafte Aufstieg des jungen Enfant terrible der Londoner Literaturszene zu Beginn der 1970er Jahre, längst vor seinen Zeitgenossen Julian Barnes, Ian McEwan oder Salman Rushdie; aber auch seine – jedenfalls im Vergleich zu diesem Trio – zunehmende Bedeutungslosigkeit in diesem Jahrhundert.

Der Sohn des damals berühmten Satirikers Kingsley Amis interessierte sich, so geht die Fama, fast ausschließlich für Comics, ehe es seiner Literaten-Stiefmutter Jane Howard gelang, ihn für Jane Austens Romane zu begeistern. Die Literatur blieb Amis‘ Leidenschaft: Nach dem Prädikatsexamen von der Uni Oxford machte er von 1971 an Karriere als Literaturkritiker für „Observer“ und „Times“, veröffentlichte bald seinen Debütroman, war umschwärmter Star des literarischen Lebens und regelmäßiger Gast in den Klatschspalten, was an häufig wechselnden, glamourösen Partnerinnen lag - und am schwierigen Verhältnis zum Vater.

Amis‘ wichtigsten Roman „Money“ (1984, Deutsch als „Gier“) soll Kingsley verächtlich beiseitegelegt haben. In der Rezeption auf „London Fields“ (1989) klang an, was später immer wieder gegen Amis vorgebracht wurde: Dessen satirisch-verspielte, misanthropische Erzählweise schlage in Frauenfeindlichkeit um. Der Autor überraschte mit literarischen Experimenten wie „Time’s Arrow“ (1991) und Sachbüchern wie „Koba der Schreckliche“ (2002) über den Massenmörder Josef Stalin. In der Autobiographie „Experience“ (Deutsch als „Die Hauptsachen“) legte er Rechenschaft ab über seine zuletzt versöhnlichere Haltung zum Vater.

Amis blieb ein Liebling der linksliberalen Londoner Literatenszene, trat für nukleare Abrüstung ein, lehnte den Irak-Krieg ab, „liebte“ die multiethnische Identität Londons. Vom Mainstream entfremdet wurde er, wie sein Freund Christopher Hitchens, durch das „schrecklich faszinierende“ Ereignis vom 11. September 2001, das 9/11 zu nennen er sich aus „moralisch-ästhetischen“ Gründen standhaft weigerte: Die Abkürzung sei eine Beleidigung der Opfer. Immer wieder stellte Amis in Interviews und Essays bohrende Fragen zum Verhältnis zwischen Islam und terroristischem Islamismus.

Ein „Gedankenexperiment“

„Haben Sie nicht auch manchmal das Verlangen zu sagen: ‚Die Muslime sollen leiden, bis sie ihr eigenes Haus in Ordnung gebracht haben.‘ Reiseverbote, Ausweisungen, Freiheitseinschränkungen – Diskriminierung, bis es ihnen wehtut und sie ihren Kindern Grenzen setzen.“ Dieses schockierende „Gedankenexperiment“ nahm Amis rasch zurück. Aber er beharrte darauf, unter anderem im Essayband „The second plane“ (2008), dass nicht alle Kulturen gleich seien: „Ich habe was gegen sogenannte Ehrenmorde, gegen Genitalverstümmelung, gegen Frauenverachtung.“ Der islamische Kulturkreis sei gekennzeichnet von „extremer Gleichgültigkeit“ gegenüber Anderem. Den mörderischen Islamisten fühle er sich allemal „moralisch überlegen“.

Gelegentlich stand seine sprachliche Eleganz der Formulierung präziser Gedanken im Weg, provozierte der Romancier mit ins Unreine gesprochenen Wortmeldungen. Dann verschwamm die sorgfältige Unterscheidung zwischen „normalen“ Muslimen und Islamisten, erklärte Amis apodiktisch den Islam zur einzigen Gewalt-affinen Religion – als hätte nicht in einer Provinz des Vereinigten Königreichs Jahrzehnte lang ein Bürgerkrieg getobt, bei dem die Nordiren ethnisch-religiöse Motive ins Feld führten, um sich gegenseitig in die Luft zu sprengen.

Er liebe seine toleranten, humorvollen englischen Landsleute, sagte Amis zu Beginn der konservativen Herrschaft, die kürzlich ihr 14. Jahr begann, mache sich aber Sorgen um die „moralische Altersschwäche“ des Landes. Seine letzten Jahre verlebte er mit seiner zweiten Frau Isabel Fonseca vor allem in den USA; im Bundesstaat Florida ist Amis am Freitag 73-jährig an Speiseröhrenkrebs gestorben.

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