Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit im Interview: „Es ist unmöglich, das Richtige zu tun“

Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit über die Asche-Stele in Berlins Mitte und Überlegungen zu neuen Aktionen.
- Philipp Ruch ist der Gründer des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS)
- Das Künstlerkollektiv macht mit provokanten Aktionen auf sich aufmerksam
- Im Interview spricht Ruch über die heftig kritisierte „Asche-Stele“ in Berlin
Philipp Ruch wurde 1981 in Dresden geboren und wuchs ab 1989 in der Schweiz auf. Er studierte Philosophie und promovierte über „Ehre und Rache. Eine Gefühlsgeschichte des antiken Rechts“ (Campus-Verlag). 2008 gründete er die Künstler- und Aktivistengruppe „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS), deren künstlerischer Leiter er ist. Philipp Ruch lebt in Berlin.
ZPS-Aktionen sind immer Provokationen: Mit „Die Toten kommen“ brachte die Gruppe 2015 an der EU-Grenze verstorbene Flüchtlinge nach Berlin, AfD-Rechtsaußen Björn Höcke stellten sie 2017 eine Replik des Holocaust-Denkmals in den Garten. Dass Nazis und Machthabende sich angegriffen fühlen, gehört zum ZPS-Konzept. Ihre jüngste Aktion, „Sucht nach uns“, bei der angeblich Asche von Holocaust-Opfern in einer Stele vor dem Reichstagsgebäude in Berlin ausgestellt wurde, führte zu Kritik und Empörung unter anderem bei jüdischen Verbänden.
Herr Ruch, haben Sie mit der Aktion „Sucht nach uns“ Ihr künstlerisches Ziel erreicht?
Nein, die Aktion hat ihr Ziel völlig verfehlt. Sie ist gescheitert. Natürlich scheitern alle unsere Aktionen auf ihre Art. Aber hier liegt schon ein außergewöhnliches Scheitern vor. Menschen fühlten sich angegriffen. Und über das Anliegen – den Schulterschluss des deutschen Konservatismus mit dem Faschismus bei der Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz 1933 in der Krolloper – wurde gar nicht gesprochen.
Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit - Heftige Kritik an ZPS-Aktion
Vom Zentralrat der Juden bis zum Internationalen Auschwitzkomittee haben alle scharfe Kritik an der Aktion geäußert: Sie sei instrumentalisierend, mit Blick auf das Gebot der Totenruhe im Judentum verletzend.
Das sind für uns gewichtige Stimmen und wir verstehen sie. Hoch anzurechnen ist all diesen Stimmen übrigens auch, dass sie ihre Kritik im Modus des Konditionals vorgetragen haben: Falls in der Stele Asche von Menschen jüdischen Glaubens sei, dann wäre es geschmacklos. Denn das ist der Knackpunkt.
Die Kritik richtet sich auch dagegen, dass Sie mit dieser Wahrscheinlichkeit spielen.
Das ist ein falsches Verständnis von künstlerischer Freiheit. Wir spielen nicht. Es gibt doch beim Film auch nicht nur eine Art von Regie. Es gibt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Und es gibt Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer, die keine Holocaust-Filme drehen sollten. Wir gehören nicht zu letzteren, das hätte man mit dem Mahnmal vor Höckes Haus erkennen können.
Sie wissen also nicht, ob es die Asche jüdischer Menschen ist?
Das ist richtig. Wir wissen nicht, welcher Nation, welcher Religion, welcher Widerstandsgruppe die Menschen angehörten, deren Knochen verstreut auf Feldern liegen. Das ist doch das Infame. Die Täter haben alles weggeschliffen bis auf das, was sie nicht ausradieren konnten: das Menschsein selbst. Die Asche ist wie in der Welt von Schrödingers Katze. Die Identität dieser Menschen lässt sich gerade nicht feststellen. Es ist unmöglich, das Richtige zu tun.
Sie hielten es für das Richtige, die Asche auszugraben.
Da müssen Sie gar nicht graben. Die Knochen drücken nach Jahrzehnten an die Oberfläche und liegen in erschreckend hohen Körnungsgrößen einfach nur so rum. Haben wir je diskutiert, in welches Grab wir sie legen? Wie wir damit umgehen? Seit Jahrzehnten gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit im Interview: „Das ist eine gute Nachricht“
Die Kritik ist riesig. Sind Sie an den Punkt gekommen, an dem der Zweck nicht jedes Mittel heiligt?
Ja, das beweisen die Reaktionen. Unser Fehler lag in der Annahme, dass es notwendig sei, die Asche ins Regierungsviertel zu holen, um die Kräfte der Geschichte wachzurufen. Doch es hätte ohne sie funktionieren können. Das ist eine gute Nachricht.
Ist der Holocaust für Sie jetzt ein Tabu?
Der Holocaust ist immer unser Ankerpunkt. Ohne das Wissen um ihn wird man unsere Handlungen nie ganz verstehen können. Nach elf Jahren haben wir mit einer Aktion erstmals den Mut gefasst, den Holocaust selbst ins Zentrum zu stellen. Es wird unser einziger künstlerischer Kommentar zum Holocaust bleiben.

Stimmt Sie Ihr Scheitern traurig?
Ja. In der Aktion „Sucht nach uns“ stecken zweieinhalb Jahre Arbeit. Aber was ist diese Arbeit am Ende wert, wenn wir die Gefühle von Holocaust-Überlebenden verletzt haben könnten? Das wollten wir nie.
Trotzdem wollen Sie die Stele trotz des Endes der Genehmigung vom Bezirksamt jetzt nicht abbauen. Warum räumen Sie den Ort nicht freiwillig?
„Dazu fällt mir Kurt Tucholsky ein: ,Derjenige, der auf den Schmutz hinweist, gilt für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.‘“
Philipp Ruch
Wir haben uns entschuldigt und radikale Schritte vollzogen: Wir haben die Asche, den Glutkern, entfernt und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz übergeben. Wir haben die Gedenkstätte völlig neu konzipiert. Jetzt hat sie nichts mehr mit der Schoah zu tun. Sie fordert seither dazu auf, auf die Verteidigung der Demokratie zu schwören.
Der Ort verletzt aber noch immer die Gefühle. Eliyah Havemann ist Nachfahre eines im Holocaust Getöteten. Er war aus Israel angereist, um die Stele mit anderen zu zerstören.
Über diesen Protest diskutieren wir gerade intensiv. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir jetzt darauf beharren, die Stele dort stehen zu lassen. Das Problem wird dadurch allerdings größer: Warum markieren wir den Ort der Krolloper nicht endlich gedenkpolitisch?
Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit über die AfD
Sie haben den Standort der ehemaligen Krolloper mit Ihrer Aktion aber zu einem Ort gemacht, an dem jetzt nur über das ZPS diskutiert wird.
Dazu fällt mir Kurt Tucholsky ein: „Derjenige, der auf den Schmutz hinweist, gilt für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
Sie haben online sogenannte Schwurwürfel mit in Glas gegossener Erde für 50 Euro das Stück verkauft. Was sollte das?
Wir wollten eine Widerstandsgruppe gründen, eine Georg-Elser-Geheimgesellschaft, die im Falle des Falles weiß, was zu tun ist und die Demokratie nach Artikel 20 Absatz 4 verteidigt. Wenn die AfD die demokratisch-freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik stürzen will.
Sie haben auch Spenden gesammelt. Wie viel Geld haben Sie insgesamt eingenommen?
Einen hohen fünfstelligen Betrag. Das Crowdfunding diente aber nur der Refinanzierung eines Teils der Gedenkstätte.
Ist noch etwas übrig?
Nein, die Kosten für zwei Jahre Recherchen, Vorbereitungen, Aufbauten im Regierungsviertel und die Produktion übertreffen bei weitem das, was per Crowdfunding eingenommen werden kann.
Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit: „Die schlechten Konservativen“
Ihre Aktionen, auch diese, richten sich eigentlich gegen die AfD. Zurzeit wird viel diskutiert, wie man die AfD nennen soll: rechtspopulistisch, rechtsextrem? Was denken Sie?
Ich halte die AfD nicht mehr für eine Partei, sondern für eine rechtsextreme Organisation. Ein Wolf im Parteipelz. Wir sollten uns von der Inszenierung nicht blenden lassen. Landesvorsitzende wie Kalbitz in Brandenburg oder Urban in meinem Heimatland Sachsen sind Anhänger der harten rechtsextremen Szene, die den Staat stürzen und die Demokratie abschaffen wollen. Unser Schicksal hängt an der CDU/CSU. Bleibt die CDU in den 20er Jahren nicht standhaft, dann wird die AfD an der Exekutive beteiligt und einen „Systemwechsel“ vollziehen.
Welchen Themen werden Sie sich in Zukunft widmen?
Ich sehe nicht, dass der Rechtsextremismus auf dem absteigenden Ast ist. Die Künste sind Seismographen einer Gesellschaft. Wir waren 2016 etwas zu früh dran, das Mittelmeer als Massengrab zu kritisieren. Hunderttausende Tote später gibt es eigentlich keinen, der dieses Bild nicht sofort versteht. Jetzt sind wir früh dran mit der Erkenntnis, dass der Weg an die Macht für die AfD über die Union führt.
Das klingt jetzt eher nach „Konservative jagen“ statt „Nazis jagen“.
Vielleicht. Die schlechten Konservativen. Wie Hans-Georg Maaßen.
Interview: Annika Leister