Wie Geschichte hätte besser werden können

Der Bundestag will an die „große Idee der Freiheitsrechte“ der Paulskirche anknüpfen.
So etwas hätte es in der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung 1848 nicht gegeben. Eine Parlamentspräsidentin, nämlich die Sozialdemokratin Bärbel Bas, eröffnete am Donnerstag die Debatte im Deutschen Bundestag zum Gedenken an das erste gesamtdeutsche Parlament, dann folgten zum Auftakt gleich drei weibliche Abgeordnete.
Bei allem, was es zu loben galt an den Errungenschaften der Paulskirchen-Versammlung für Freiheit, Einheit, Demokratie und Bürgerrechte: Vor 175 Jahren gehörte dem Parlament keine Frau an. Auch gewählt worden war es ausschließlich von männlichen Bürgern, und zwar nur von denjenigen mit Besitz. Arbeiter waren in der Paulskirche nicht vertreten.
Viele Rednerinnen und Redner erwähnten in der Debatte die Defizite des ersten Parlaments. Vor allem aber priesen sie seine Rolle als Vorläufer des heutigen demokratischen Systems in Deutschland. Dabei traten mit der Linken-Vorsitzenden Janine Wissler, dem FDP-Politiker Thorsten Lieb und Kaweh Mansoori (SPD) auch drei Frankfurter Abgeordnete ans Pult.
Mansoori machte darauf aufmerksam, dass noch immer nicht alle Menschen wählen dürfen. Er sprach sich für ein Wahlrecht ab 16 Jahren und für eine erleichterte Einbürgerung von Menschen aus, die trotz langen Aufenthalts keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
Lieb machte sich dafür stark, einen festen Gedenktag in Erinnerung an die Demokratiebewegung von 1848/49 auszurufen und den Bundestag zu einer Sitzung in der Paulskirche zu versammeln. Der hessische CDU-Abgeordnete Michael Brand fügte ein konkretes Datum hinzu: Am 28. März 2024 solle es eine Sondersitzung des Bundestags in der Paulskirche geben, schlug der Christdemokrat vor. Das wäre der 175. Jahrestag der Verabschiedung der Paulskirchen-Verfassung, die in vielerlei Hinsicht zum Vorbild für demokratische und freiheitliche Verfassungen wurde.
Doch die demokratische Revolution scheiterte, die Restauration setzte sich durch. Die sächsische Christdemokratin Yvonne Magwas sann: „Unsere Geschichte hätte wohl eine bessere werden können, wenn die Saat von Freiheit und Parlamentarismus aufgegangen wäre.“ Ihre Botschaft: „Die Demokratie ist kein Geschenk, sie muss mühsam erkämpft werden.“ Diesen Gedanken griffen viele Abgeordnete auf. Der Traum von der Freiheit sei „ein europäischer Traum“, formulierte Kultur-Staatsministerin Claudia Roth (Grüne). Das sei die Losung, die heute in Kiew zu hören sei, fügte sie mit Blick auf die von Russland angegriffene Ukraine hinzu. Ihr grüner Parteifreund Erhard Grundl zählte die Freiheitsrechte – von der Pressefreiheit bis zur Versammlungs-, Religions-, Gewerbe- und Wissenschaftsfreiheit – auf, die in der Paulskirche formuliert worden seien. Für diese „große Idee der Freiheitsrechte“ werde heute noch immer gekämpft, „von Belarus bis Iran“.
Dabei geißelte der Grünen-Politiker auch die CSU. Deren Vertreter:innen hatten dem rechten Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, einen Besuch abgestattet – einem Mann, „der die Pressefreiheit aushöhlen will“, wie Grundl empört feststellte.
Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär, die beim Florida-Besuch dabei gewesen war, griff ihrerseits die Ampel-Parteien an, insbesondere das geplante Demokratiefördergesetz und die Wahlrechtsreform, die sie als „Manipulation“ bezeichnete. So kehrte das ein, was heute parlamentarische Normalität ist.
Dazu gehörte auch die Empörung über die AfD, die ihren Sitzungsraum in „Saal Paulskirche“ umbenannt hat – „eine Schande für die deutsche Demokratie und für dieses Parlament“, wie der SPD-Abgeordnete Helge Lindh formulierte.
Erste Arbeiterkomitees
Die Linke Wissler und der Sozialdemokrat Dirk Wiese betonten, dass 1848 nicht nur das Geburtsjahr der deutschen Demokratie, sondern auch der deutschen Arbeiterbewegung gewesen sei. Mit der März-Revolution von 1848 hätten sich erste Arbeiterkomitees gegründet, die kürzere Arbeitszeiten, Mindestlöhne und kostenfreie Bildung gefordert hätten, schilderte Wissler.
Nach 80 Minuten beendete Bärbel Bas die Aussprache. Die Präsidentin ist für vier Jahre ins Amt gewählt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie der FDP-Abgeordnete Thomas Hacker erinnerte. Heinrich von Gagern sei seinerzeit jeweils nur für einen Monat zum Präsidenten des Paulskirchen-Parlaments gewählt worden, das aber sechsmal.