Westlicher Verstand wird Osteuropa nie verstehen

Die „russische Seele“ und das imperiale Denken. Deshalb sollte man auf Polen und Osteuropa hören, wenn es um Russland geht.
Warschau - Russland hat sich schon immer als ein durch die Vorsehung gesegnetes Imperium begriffen: als Mitgestalter und in der Opposition zum Westen auch als Schöpfer der europäischen Welt, aber eben mit einer geradezu prophetischen Mission, dem „Bösen“, der vermeintlichen Verachtung des „verfaulten“ Westens gegenüber dem Sakralen und dem Metaphysischen, Paroli zu bieten.
An dieser manichäischen Haltung konnten die sogenannten Westler wie Alexander Herzen im 19. Jahrhundert nichts ändern. Fjodor Tjuttschews lyrisches Bonmot „Verstand wird Russland nie verstehen“ erwies sich stets als attraktiver für die „russische Seele“, für das Leid des russischen Volkes, für die Panslawisten, für die Slawophilen und heute für die Putinisten.
Europa: Der Osten weis, dass es nie ein schweigendes Russland gab
Ein schweigendes, zurückhaltendes Russland hat es jedenfalls noch nie gegeben, weder in der Politik noch in der Philosophie und Literatur. Und – so denken zumindest viele in Russland – „russischer Geist“, „die russische Idee“ und „der russische Mensch“ seien etwas Singuläres und Idiosynkratisches in der europäischen Kultur- und Ideengeschichte. Wobei „Tolstojewski“, wie man ironisch das Tandem Tolstoi und Dostojewski in Polen nennt, einen wesentlichen Beitrag zu dieser Haltung geleistet hat.
Es geht hier um eine Selbstverliebtheit Russlands, an die sich die ehemaligen kommunistischen Satellitenstaaten nie richtig gewöhnen konnten: Sie hat einerseits zu großen literarischen und philosophischen Werken geführt, die eben auch für den Existenzialismus und die Ontologie eine Relevanz haben, wie das der Fall bei Leo Schestow ist. Aber diese Selbstverliebtheit, gepaart mit fehlender Selbstkritik und Distanz zur eigenen Geschichte, hat andererseits auch Terror, Krieg und Verachtung hervorgebracht, denkt man nur an den Stalinismus oder Putins Politik, in der selbst das Leben der eigenen Soldaten wenig zählt.
Russland und seine Geschichte: Bei vielen eher ein verklärtes Bild vorhanden
Viele, die ich mit diesem historischen Dilemma ihrer Heimat (Selbstverliebtheit, ewige Opferrolle, Missionsdrang, imperiales Denken usw.) konfrontiert habe, meinten, mit ihrem Staat und ihrer Nationalgeschichte im Reinen zu sein. Den Glauben an die eigene Unschuld kann eine Nation mit einer glorreichen Vergangenheit (Verklärung des Zarenreiches und der Sowjetunion, Vaterlandskrieg und Sieg über Nazideutschland) nur schwer loswerden. Mein Vorwurf wurde darum oft belächelt. Aber genau dieser masochistische Unschuldsglaube der Russen macht mich jedes Mal stutzig, obwohl ich mir als ein polnisches Kind des Sozialismus allzu gut vorstellen kann, wie man sein Land nicht nur lieben, sondern zugleich auch hassen kann.
Die nationale Megalomanie ist eine Krankheit, die viele osteuropäische Länder terrorisiert – das Gefühl, das ewige Opfer der Geschichte und ewiger Feinde zu sein, ist in Russland schon eine Tradition, während Polen sich im Zuge der Säkularisierung nach 1989 aus diesem Teufelskreis mühselig befreit hat und schon einiges an Erfolgen verbuchen konnte. Wenn auch nur bedingt, da nationalkonservative Kräfte den Prozess bremsten.
Osten von Europa: In den alten Verhaltensmustern ist Russland Weltmeister
Ich weiß auch, worum es bei dieser Emanzipation und Megalomanie geht: Man will sich in Osteuropa von der eigenen Geschichte befreien und fällt dabei stets in die alten Verhaltensmuster – darin sind die Russen Weltmeister, oder anders ausgedrückt, kostet es sie große Kraft, sich selbst zu überwinden und neue Entwicklungen zu akzeptieren. Es ist also nicht nur Wladimir Putin, der ihnen im Wege steht, sondern auch die eigene Geschichte, gepaart mit der Unfähigkeit, sich mit ihr kritisch auseinanderzusetzen.
Es geht um „Genozid“, Völkermord … 2004, als ich im Rahmen der deutschen Kulturwochen eine mehrtägige Lesereise durch Russland machte, erlebte ich in diesem riesigen Land einige Abenteuer. Ich flog nur einen Tag nach dem Absturz der beiden russischen Passagiermaschinen, die, so stand es damals in den Zeitungen geschrieben, von tschetschenischen Terroristinnen gesprengt worden seien. Es war für mich aber schon damals vorstellbar, dass genauso gut Putins FSB seine Finger im Spiel gehabt haben konnte.
Russland: Moskau zwischen Soldatenliedern und Whiskey
In Moskau musste ich einen Zwischenstopp einlegen, da mein Weiterflug gestrichen wurde. Man organisierte mir schnell eine Übernachtung, und ich kam im berühmten Hotel „Rossija“ in der Nähe des Roten Platzes unter, das am nächsten Tag geschlossen und für den Abriss vorbereitet werden sollte. Was für ein Glück, dachte ich mir, ich bin einer der letzten Gäste. Mit einer halben Flasche Whiskey und russischen Soldatenliedern aus dem laut aufgedrehten Fernseher verbrachte ich im „Rossija“ eine kurze, aber unvergessliche Nacht.
Die erste Lesung fand in Saratow statt, wo ich dann nachts auch noch schnell das Hotel wechseln musste. Terroristen hätten eine Bombe gelegt, hieß es plötzlich. Nach einer Durchsuchung durch Spezialkräfte wurde Entwarnung gegeben. Trotzdem wollte kein einziger Gast aus dem Westen zurück in sein Zimmer.
Video: Expertin über die Angst in Osteuropa und die Aufnahme von Geflüchteten in Polen
Russland: Ex-Offizier aus Ost-Deutschland spricht von notwendigem „Genozid“
In Samara begegnete ich einem ehemaligen Berufssoldaten, der dort ein Touristenbüro betrieb. Er lud mich zum Kaffee ein, und es stellte sich während unseres Gesprächs heraus, dass er viele Jahre in der DDR gedient hatte. Seine beruflichen und privaten Erfahrungen, die eines ehemaligen Offiziers der Sowjetarmee, schilderte er mir ohne Nostalgie, und seine Nüchternheit und Distanz gefielen mir sehr. Doch als wir auf das Thema Tschetschenien zu sprechen kamen, überraschte er mich mit radikalen Ansichten, zumindest im ersten Moment. Für den ehemaligen Sowjetoffizier gab es nämlich nur zwei Lösungen: Entweder würde Russland alle Tschetschenen töten, und er sprach tatsächlich vom „Genozid“, oder Moskau würde terroristische Anschläge und den Guerillakrieg der Tschetschenen in Kauf nehmen müssen.
Seine Erklärung hat meine Nerven auf eine harte Probe gestellt. Ich fragte den ehemaligen Rotarmisten, ob es denn nicht eine andere Lösung gäbe. Nein, sagte er. Ich hatte keine Lösung parat – woher denn auch -, aber ich hoffte, dem Berufssoldaten eine Nachdenklichkeit entlocken zu können, die meinem humanistischen Naturell entsprechen würde, und sie hätte für mich folgendermaßen lauten müssen: „Wir haben das Problem mit Tschetschenien nicht im Griff, das ist wahr, aber wir wollen unsere Fehler aus Afghanistan nicht mehr wiederholen, und deshalb müssen wir andere Maßstäbe setzen: Schließlich geht es um das Leben von Unschuldigen, und zwar auf beiden Seiten.“
Polen und Russland: Historisch eine schwierige Beziehung
Diese Erklärung kam bei meinem Gesprächspartner gar nicht in Betracht. Anschließend zeigte er mir während des Spaziergangs durch Samara voller Stolz deutsche Panzer, die während des Zweiten Weltkrieges von der Sowjetarmee erobert worden waren.
Zur Person:
Artur Becker, geboren 1968 in Polen, lebt seit 1985 in Deutschland. Er schreibt regelmäßig in der Frankfurter Rundschau, NZZ und „Rzeczpos-polita“. Zuletzt erschien der Band „Von der Kraft der Widersprüche“, die Chamisso-Poetikdozentur, im Mai folgte der Essayband „Links. Ende und Anfang einer Utopie“
Die Diskussionen darüber, wie auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert werden sollte, offenbart nicht nur Hilflosigkeit. Es zeigt sich auch, wie unterschiedlich die historischen Perspektiven und Erfahrungen in Ost und West mit Blick auf Osteuropa sind. Ein prominentes Beispiel, auf das der in Polen geborene Schriftsteller Artur Becker in seinem Text eingeht: Der Ende April publizierte offene Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, verfasst von 28 deutschen Intellektuellen, Künstlern, Künstlerinnen unter der Ägide von Alice Schwarzer.
„Risse“ lautet auch das Thema des Literaturm-Festivals der Stadt Frankfurt – „den tiefsten Riss unserer Zeit aber“, schreibt das Veranstaltungsteam, „markiert der 24. Februar 2022. Ein Weckruf auch für uns“. Erstmals will das Festival in seiner 11. Ausgabe darum einen Fokus auf Mittel- und Osteuropa setzen. Veranstaltungen in Frankfurt und Umgebung gibt es vom 27. Juni bis 3. Juli. literaturm.de
Meine Gastgeber und Gastgeberinnen, meist Frauen, die an der Uni oder in der Bibliothek tätig waren, gaben sich größte Mühe, mir meinen Aufenthalt möglichst zu „versüßen“. Aber es gab auch schwierige historische Themen, die natürlich das Massaker von Katyn, wo der NKWD 1940 Zigtausende polnische Offiziere und Intellektuelle per Genickschuss getötet hatte, oder den sowjetischen Überfall auf Polen am 17. September 1939 betrafen. Ich spreche Russisch wie jemand, der 1968 in Polen geboren wurde und dort zur Schule gegangen ist, aber wir sprachen auch auf Deutsch, und der Wodka, das gute Essen und die Gespräche über Literatur sorgten zum Schluss für eine ausgelassene Stimmung.
Wahre Freiheit nur ohne Russland möglich: So eine These aus den 1970ger Jahren
Jedenfalls rief in mir der offene Brief der 28 deutschen Intellektuellen, Künstler, Künstlerinnen an Bundeskanzler Olaf Scholz, in dem vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und einem Atomkrieg gewarnt wird, die Erinnerungen an meine einzige Russlandreise wach. Ich erinnerte mich auch rasch an eine wichtige historisch-politische These, die Jerzy Giedroyc, der Herausgeber der polnischen Exilzeitschrift „Kultura“ in Paris, und sein Freund Juliusz Mieroszewski, der Publizist aus London, Anfang der Siebziger aufstellten: Polen werde als Staat erst dann seine Souveränität wiedererlangen, wenn sich die Ukraine, Litauen und Belarus (ULB) aus dem russischen Einflussbereich befreien – die russische Herrschaft über diese drei Länder werde auch stets die Souveränität Polens gefährden.
Leider ist diese These heute aktueller denn je, obwohl wir nach 1989 auch in Mittelosteuropa meinten – wie naiv von uns –, dass erst einmal Ruhe eingekehrt sei, Russland werde sich für lange Zeit besinnen müssen.
Der Unterschied zwischen der Geschichte Polens und Deutschlands
Aber zur Sache: Der Mord an der ukrainischen Bevölkerung hat natürlich klare Anzeichen eines „Genozids“. Und die zaristisch-stalinistischen Methoden sind zurückgekehrt. Russifizierung und Völkervertreibung und -umbettung sind in der Ostukraine an der Tagesordnung – genauso wie die Versuche, eine Hungersnot zu verursachen, werden doch auch der Landwirtschaft dienende Objekte der Ukraine zerstört. Die Erinnerung an „Holodomor“ 1931 und 1932 ist praktisch um die Ecke.
Unsere historischen Perspektiven sind nicht die gleichen Giedroyc wurde oft mit der Frage der Gewalt konfrontiert: so auch im Kontext der polnischen Provokationen vor dem Kriegsausbruch 1939 – die deutsche Bevölkerung habe unter diesen Provokationen sehr gelitten, es sei auch zu Morden an Deutschen gekommen; Historiker nennen unterschiedliche Zahlen der deutschen Opfer zwischen 1919 und 1939, und vor allem ging es dabei um „Volksdeutsche“, was die Nazis insbesondere im ersten Kriegsjahr propagandistisch „ausgeschlachtet“ haben. Giedryoc’ Antwort aber ließ zu Recht keinen Raum mehr für eine Fortsetzung der Diskussion zu diesem Thema: Er bestätigte, es habe solch aggressives Vorgehen der polnischen Bevölkerung und sogar Morde gegeben, aber Polen sei nicht auf die Idee gekommen, Deutschland zu überfallen und einen Weltkrieg anzufangen.
Putin und die Geschichte: Polen kann das Gefühl in der Ukraine viel besser nachvollziehen
Warum erzähle ich das? Es geht mir nicht um die Behauptung Putins, dass die ukrainische Armee im Donbass Kriegsverbrechen begangen habe, sondern um die Wiederholung der Geschichte: Polen befand sich nach dem 1. September 1939 in einer aussichtslosen Lage – die versprochenen militärischen Unterstützungen durch Frankreich und England blieben aus, und das Land wurde auch von der Sowjetunion angegriffen, gegen die England keinen Krieg führen wollte; der Molotov-Ribbentrop-Pakt ermöglichte den beiden Aggressoren, den Nazis und Bolschewiken, eine militärische Okkupation Polens. Ergo: Meine Landsleute können viel besser nachvollziehen, wie sich die Menschen in der Ukraine seit dem Beginn der russischen Invasion fühlen müssen.
Übrigens: Als es zur Verwirklichung des Nord-Stream-Projekts kam, hielten sich manche polnischen Politiker nicht zurück – lange vor dem PiS-Wahlsieg 2015, der Alleinregierung der Rechtskonservativen – und verglichen das Projekt mit dem erwähnten Pakt, wobei im polnischen historischen Gedächtnis die russisch-deutsche Liaison noch viel älter ist. Sie reicht bis zu den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert. Und so spricht man in Polen im Kontext der ausgebliebenen Hilfe nach Hitlers Überfall am 1. September 1939 vom „Verrat des Westens“ – dieser hat sich zumindest auch im Gedächtnis der Politiker und Politikerinnen aus England und Frankreich eingenistet; eine ausbleibende Unterstützung der Ukraine durch den Westen wäre eben eine solche Wiederholung der Geschichte, die wir in Europa eigentlich nicht mehr erleben wollten.
Todesstoß für die Freiheit: Der Osten von Europa erfuhr ihn im Februar 1945
Aber die Konferenz von Jalta im Februar 1945 wurde zum Todesstoß für die Freiheit Polens, Tschechiens, Ungarns und der Slowakei, wie es Milan Kundera in seinem Essay „Un occident kidnappé oder die Tragödie Zentraleuropas“ von 1983 richtig diagnostiziert. Heute ist die Ukraine „hinzugekommen“ und darf in einem Atemzug genannt werden, sobald wir über Kunderas „Zentraleuropa“ sprechen; Putins Krieg hat in unserem geschichtlich-geopolitischen Bewusstsein die Grenzen verschoben, zumindest ganz eindeutig aus osteuropäischer Sicht.
Man muss also fragen, wo denn die „28 deutschen Intellektuellen und Künstler“ waren, als das Nord-Stream-Projekt gestartet wurde? Warum schrieben sie dann keine Briefe an die Regierenden? Nicht nur Polen, sondern auch Vaclav Havel warnte vor solchen Geschäften mit Russland und davor, dass man Polen nicht übergehen dürfe. Aber das interessierte weder die SPD noch die deutsche Wirtschaft, die im Allgemeinen, egal, ob sie in West- oder Osteuropa oder Amerika agiert, immer nur ans Kapital denkt, an Gewinne, Vorteile usw. Man sagt uns zwar, es gehe um unsere Arbeitsplätze, unseren Wohlstand usw., doch letztendlich geht es immer nur ums Kapital und um die Vermehrung dessen – weil es in jeder kapitalistischen Wirtschaft darum geht, und es ist zu bezweifeln, dass der Überfall auf die Ukraine diese Einstellung des Kapitalismus ändern wird, mögen die Engländer noch so viele Oligarchen aus London „verbannen“.
Nun ist wieder die Zivilbevölkerung das größte Opfer dieses Krieges; und die Ukraine, würde sie sich ergeben, könnte das sinnlose Leid und Töten endlich beenden, meinen viele in Deutschland, auch die, die den Brief an den Kanzler verfasst haben.
Polen und sein Kampf um Freiheit: War der Warschauer Aufstand sinnlos?
Es entstehen sofort Fragen: War denn zum Beispiel auch der Warschauer Aufstand von 1944 sinnlos? Genauso wie der Jüdische ein Jahr zuvor in derselben Stadt? Die Aufständischen konnten den Kampf gegen die Deutschen nicht gewinnen – dafür waren sie zu schlecht ausgerüstet, und die SS-Verbände gingen in Warschau besonders brutal gegen beide Aufstände vor. Und trotzdem: Der Geist der Aufständischen hatte gesiegt, und zwar symbolisch über das Böse – für spätere Generationen ist dieser geistige Sieg sehr kostbar geworden, denn der Mensch trachtet nach Freiheit und Unsterblichkeit.
Die Kritiker des Warschauer Aufstandes sagen, Warschau wäre nicht vollständig zerstört worden, es hätte all die Zigtausenden Opfer unter den jungen Aufständischen und in der Zivilbevölkerung nicht gegeben, hätte man den sinnlosen Kampf gar nicht erst angefangen. Doch spielen sie nicht mit der Angst? In ihrer Argumentation? Wenn es um das Überleben des Guten in Form von Freiheit und Gleichheit geht, darf man doch dieser Angst nicht erliegen, oder?
Atom-Krieg in Europa? Eine Angst die wir teilen
Die Angst vor dem Atomkrieg lebt auch in uns Menschen aus Mittelosteuropa, die wir den Kalten Krieg miterlebt haben, weiter, auch in der Ukraine. Nur dass ich aus Polen komme und schon immer verstand, aus unserer historischen Perspektive, warum Adam Zagajewski das Gedicht „Rosja wcho-dzi do Polski“ (Russland marschiert in Polen ein) seinem Freund Joseph Brodsky widmete. Polen kennt diese Angst, dass Russland jederzeit einmarschieren könnte, zur Genüge, und ich muss an dieser Stelle dazu nichts mehr sagen, zumal einige Widersprüche für beide Seiten – Ost und West – unauflösbar zu sein scheinen.
Die Konklusion ist ernüchternd: Viele Menschen in Westeuropa haben ein diffuses Wissen über „Osteuropa“ (und umgekehrt auch), und sie denken nach wie vor (was erstaunlich ist) in Mustern des Kalten Krieges und der in Jalta geschaffenen Wirklichkeit. Und, natürlich: Sollte Russland andere Länder angreifen, z. B. Litauen oder Polen oder gar Deutschland, wäre Osteuropa daran schuld. Ganz klarer Fall. Übersetzt heißt es: Um des Weltfriedens willen muss man leider die „Osteuropäer“ wieder einmal ihrem Schicksal überlassen, das Imperium darf man nicht allzu sehr ärgern, sonst wird es auch noch uns angreifen, in unserem schönen Frankfurt am Main und in unserem schönen Paris. (Artur Becker)