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Die Niederlande gegen Spanien 1572: „Was Menschen wagen dürfen“

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Von: Arno Widmann

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Nach der Unabhängigkeitserklärung: Prinz Wilhelm I. von Oranien-Nassau in Antwerpen, hier im 19. Jahrhundert illustriert.
Nach der Unabhängigkeitserklärung: Prinz Wilhelm I. von Oranien-Nassau in Antwerpen, hier im 19. Jahrhundert illustriert. © H. Tschanz-Hofmann/Imago

Vom Kampf der Niederländer gegen die Supermacht Spanien vor 450 Jahren

Für den 15. Juli 1572 hatte der offizielle Statthalter Philipps II., Königs von Spanien (1527–1598), die niederländischen Stände nach Den Haag mehr vor- als eingeladen. Die Vertreter des Adels und der Städter kamen nicht. Die Geistlichkeit war in den niederländischen Ständen nicht vertreten. So blieb also der Gastgeber allein. Der sogenannte Achtzigjährige Krieg um die Unabhängigkeit der Niederlande hatte zwar schon 1568 begonnen, aber einen derartigen offiziellen Affront gegen die habsburgische Herrschaft hatte es noch nicht gegeben.

Die Niederländer setzen dann noch einen drauf, als sie sich am 19. Juli ganz ohne die spanischen Herren trafen und in der Dordrechter Ständeversammlung Wilhelm von Oranien (1533–1584) zum „Statthalter der Niederlande“ wählten. Wilhelm wurde als Graf von Nassau-Dillenburg geboren und erbte erst 1544 von seinem Vetter das Fürstentum Oranien.

Die kaiserliche Zustimmung zu dieser Erbschaft wurde allerdings erworben durch einen Verrat an seiner protestantischen Herkunft. Als er 1561 Anna von Sachsen heiratete, war Wilhelm aus Dillenburg einer der reichsten Männer Europas geworden. Da er als enger Berater Karl V. am Hof in Brüssel arbeitete, gehörte er sicher zu den einflussreichsten Figuren des Heiligen Römischen Reiches. Hier in Dordrecht, am 19. Juli 1572, ernannten ihn die niederländischen Stände wohl auch deshalb zum „Statthalter“. Die Revolution war keine der Armen und Entrechteten. Es war eine der Reichen, die fürchteten, an Einfluss zu verlieren. Wilhelm finanzierte den Krieg gegen die Spanier erst einmal aus eigener Tasche.

Allerdings knüpfte er sein Engagement an eine Bedingung: In den von Spanien befreiten Niederlanden sollte Religions- und Versammlungsfreiheit gelten. Das stieß zunächst auf wenig Verständnis. Der Aufstand war ja nicht zuletzt auch in großen Teilen einer von calvinistischen Protestanten gegen die von Philipp II mörderisch betriebene Gegenreformation. Vielen der Aufständischen leuchtete nicht ein, dass sie in ihren befreiten Gebieten, dem „Glaubensfeind“ als gleichberechtigten Mitbürger anerkennen sollten. Aber: Wer zahlt, bestimmt die Musik. So konnte der Weg zu einem europäischen Europa beschritten werden.

Schon 1564 hatte Wilhelm sich in einer Staatsratssitzung zum Entsetzen aller für Gewissensfreiheit eingesetzt, und als der Graf Lamoral von Egmond 1555 nach Madrid zog, um König Philipp die Lage in den Niederlanden zu erklären, gab ihm Wilhelm mit auf den Weg: „Sag dem König, dass hier ganze Städte offen gegen die Verfolgungen revoltieren und dass es unmöglich ist, seine Dekrete hier umzusetzen. Was mich angeht, so werde ich festhalten an meinem katholischen Glauben, aber ich werde niemals den tyrannischen Anspruch von Königen unterstützen, die ihrem Volk sein Gewissen und seine Religion vorschreiben wollen.“

Damit war Wilhelm weit weg von der Grundlage des Augsburger Religionsfriedens, die ja gerade darin bestand, dem Landesherrn die Macht zu geben über die Glaubensorientierung seiner Bürger zu bestimmen. Das führte damals zu großen Migrationsbewegungen, wie es das heute noch tut.

An eine kleine Migration sei hier kurz erinnert: die von Jan Rubens, dem Vater des Malers Peter Paul Rubens. Der Antwerpener flieht vor der Inquisition aus seiner Heimatstadt nach Köln. Die Jahre 1571 bis 1573 verbringt er wenigstens teilweise im Dillenburger Schlossgefängnis Wilhelms von Oranien. Der hatte ihn dort untergebracht, weil Jan Rubens Anna, der Gemahlin des „Vaters des Vaterlandes“ – so die Niederländer über ihn -, so sehr beglückt hatte, dass sie eine gemeinsame Tochter zur Welt brachte. 1577 kam Peter Paul Rubens in Siegen, also noch in der Emigration, als Kind seiner wiedervereinigten Eltern zur Welt.

Die Geschichte des Unabhängigkeitskriegs der Niederlande, des 80-jährigen Krieges, kann ich hier nicht erzählen. Aber ein paar Sätze dann doch: Am 5. Juli 1568 wurden die als Hochverräter und Rebellen verurteilten Grafen Egmond und Hoorn in Brüssel auf dem Großen Markt enthauptet. Das ist der Anfang, dem natürlich andere Anfänge vorangegangen waren. Das Ende findet am 30. Januar 1648 im Krameramtshaus, dem heutigen Haus der Niederlande in Münster statt.

Spanien und sieben nördliche Provinzen der Niederlande unterschreiben den Frieden von Münster. Die vereinigten Niederlande werden als „freie und Niemandem unterworfene Staaten“ anerkannt. Sie sind auch nicht mehr Staaten des Heiligen Römischen Reichs. Die Niederländer, ein kleines Land mit gerade mal 1,5 Millionen Bewohnern, hatte die europäische Supermacht Spanien in die Knie gezwungen.

Wie sie das tat, wie sie das getan hatte, wurde damals überall diskutiert. Und noch Schiller und Goethe nahmen für ihre Dramen „Don Carlos“ und „Egmont“ sich Helden aus dem Befreiungskampf der Niederländer. Schiller veröffentlichte 1788 – ein Jahr vor der Französischen Revolution – seine fesselnde Abhandlung „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung“. Darin schreibt er: „Groß und beruhigend ist der Gedanke, dass gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hilfe vorhanden ist, dass ihre berechnetsten Pläne an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden, dass ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmütige Beharrung seine schrecklichen Hilfsquellen endlich erschöpfen kann.“

Man liest das heute wieder mit jenem Pathos, das einem in unserem eigenen „tintenklecksendem Säculum“ im vorgeblich postheroischen Zeitalter der Menschheit schon ganz abhanden gekommen schien. Schillers Abhandlung ist ein agitatorisches Meisterwerk. Er erzählt diese Revolutionsgeschichte, „dieses schöne Denkmal bürgerlicher Stärke“, um „in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken und ein neues, unverwerfliches Beispiel zu geben, was Menschen wagen dürfen, für die gute Sache und ausrichten mögen durch Vereinigung“.

Schillers Buch ist eine Abhandlung zu „Geschichte und Klassenbewusstsein“. Mit Erörterungen zur Organisationsfrage. Ein paar Seiten kommen Sätze, die uns näher stehen als Georg Lukacs’ Epoche machende Aufsatzsammlung aus dem Jahre 1923. Also noch einmal Schiller: „Das Volk, welches wir hier auftreten sehen, war das friedfertigste dieses Weltteils und weniger als alle seine Nachbarn jenes Heldengeists fähig, der auch der geringfügigsten Handlung einen höhern Schwung gibt. Der Drang der Umstände überraschte es mit seiner eigenen Kraft und nötigte ihm eine vorübergehende Größe auf, die es nie haben sollte und vielleicht nie wieder haben wird. Es ist also gerade der Mangel an heroischer Größe, was diese Begebenheit eigentümlich und unterrichtend macht, und wenn sich Andere zum Zweck setzen, die Überlegenheit des Genies über den Zufall zu zeigen, so stelle ich hier ein Gemälde auf, wo die Not das Genie erschuf und die Zufälle Helden machten.“

Die „Geschichte des Abfalls der Niederlande“ ist die Geschichte von Menschen, die an ihren Aufgaben wachsen. Spaniens Krone sperrte die Einwohner einer kleinen Stadt in einer Kirche ein, zündete dann das Gotteshaus an und verbrannte so 3000 Menschen. Das würde sie abhalten von der Liebe zu ihrem protestantischen Gott, dachten die Spanier. Solcher Staatsterrorismus hatte in Spanien, hat überall auf der Welt funktioniert, aber immer wieder hat er auch das Gegenteil bewirkt. Die Unterworfenen merken, dass sie nur kämpfend eine Überlebenschance haben.

Eine Supermacht hatte damals wie heute einfach zu viel zu tun. Während die Spanier die Niederländer zu bezwingen versuchten, erklärte der katholische Fanatiker Philipp II. den christianisierten Mauren Spaniens den Krieg, schlug im Oktober 1571 in der Seeschlacht von Lepanto die Osmanen. Cervantes, der Autor des Don Quijote, behielt von dort eine Lähmung der linken Hand.

Jedes Schiff, das die Schätze der Neuen Welt ins kastilische Hochland brachte, musste Meile für Meile flankiert werden von Kriegsschiffen, die die Beute der spanischen Räuber gegen englische, niederländische, algerischen oder andere Kollegen sicherte. Am Ende war die Bewahrung und Verwaltung der eigenen Größe – so geht es immer wieder – teurer als die noch so gigantischen Einnahmen aus der Ausbeutung ganzer Weltregionen. Auch diese Lektion lässt sich lernen am spanisch-niederländischen Krieg.

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