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Massen-Vernichtungswaffen, die es nie gab

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Von: Arno Widmann

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Spanische Soldaten im Irak beim Erinnerungsfoto.
Spanische Soldaten im Irak beim Erinnerungsfoto. © Imago

Der Krieg der USA gegen den Irak sollte durch Fotos gerechtfertigt werden, die angeblich die Herstellung von Massenvernichtungswaffen dokumentierten.

Keine Ahnung, wann genau ich das erste Mal die Fotos sah, die beweisen sollten, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte. Diese Fotos waren die einzigen „Beweise“, die die Regierung des damaligen US-Präsidenten George W. Bush der eigenen und der Weltbevölkerung vorlegte.

Die Mehrheit empfand das als ganz offensichtliche Verhöhnung. Ein paar Laster, ein paar Kanister – das war alles. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, angebliche Zeugen zu offerieren, die hätten erklären können, was in diesen Behältern war. Die größte Militärmacht der Welt glaubte, das nicht nötig zu haben.

Der Begriff Fake News war noch nicht geläufig. Die Sache aber war seit Jahrtausenden erprobt: Wer die Macht hat, bestimmt über Wahrheit und Lüge. Davon gingen jedenfalls die Mächtigen aus. Aber es gab immer auch Leute, die sich mehr auf die eigenen Augen und den eigenen Verstand verließen – oder auch ihre anders gelagerten Interessen.

Im Jahre 2003 war das die Haltung der United Nations. Sie lehnten den Antrag der USA ab. Daraufhin ließ die Bush-Regierung nicht etwa ab von ihrem Vorhaben – schließlich hatte sie seit dem Anschlag vom 11. September 2001 den Sturz Saddam Husseins geplant –, sondern sie setzte ihre Bündnispartner und „Geschäftsfreunde“ unter Druck.

Keine Ahnung, was sich da abspielte an Erpressungen und Versprechungen, also an dem, was man gerne als „Diplomatie“ bezeichnet. Sie diente, wie so oft, nicht etwa der Verhinderung, sondern der Vorbereitung eines Krieges.

Am 20. März vor zwanzig Jahren war es dann soweit: Eine Koalition von 43 Staaten zog in den Krieg. Bereits am 1. Mai 2003 erklärte US-Präsident George W. Bush den Krieg für siegreich beendet. Er tat das, ein weiteres wohlbekanntes Bild, in Uniform, als käme er gerade frisch vom Kriegsschauplatz. Er stand strahlend auf dem Deck des Flugzeugträgers „Abraham Lincoln“ an der kalifornischen Küste vor dem zwölfeinhalbtausend Kilometer von Bagdad entfernten San Diego. Ein großer Schriftzug verkündete „Mission completed“. Von wegen.

Der „Spiegel“ titulierte das Unternehmen zu Recht als schnellsten Pyrrhus-Sieg aller Zeiten.

Das US State Department „belegt“ mit einem Foto das Verladen chemischer Waffen.
Das US State Department „belegt“ mit einem Foto das Verladen chemischer Waffen. © AFP

Eine offizielle Aufstellung aus dem Jahre 2006 zählt Besatzungstruppen von 170 855 Soldaten aus 36 Ländern. Die USA stellen davon 138 000. Das zweitgrößte Kontingent entsandte das Großbritannien des Labour-Regierungschefs Tony Blair: 8900 Personen. Das Schlusslicht bildete Neuseeland mit neun Personen. Dazu kamen noch 25 000 bis 30 000 als nicht-militärisch deklarierte Sicherheitskräfte. Das größte miliärische Kontingent stellten Söldner, also die Truppen privater Militärkontingente: 190 000 Personen. Ich schreibe hier „Personen“, weil ich nicht weiß, wo Frauen mit von der Partie waren.

Die Gesamtzahl aller Soldaten aller Verbündeter Staaten lag also unter der Zahl derer, die man für diesen Krieg eingekauft hatte. Die „Willigen“ waren also in erster Linie „Bezahlte“. Wir neigen dazu, die Rolle der Privatarmeen in modernen Kriegen zu unterschätzen. Der Ukraine-Krieg ist ohne die von Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin geleitete sogenannte Gruppe Wagner nicht zu begreifen. Putins Krieg ist er nicht nur darum nicht, weil Putin ihn ohne Zehntausende Russen nicht führen könnte. Er ist es auch nicht, weil, wie wir inzwischen wissen, auch wie er geführt wird, nicht unwesentlich von der Politik der Gruppe Wagner abhängt.

Bei all diesen angeblichen Privatarmeen – überall auf der Welt – ist völlig unklar, inwieweit sie in Wahrheit nichts anderes sind als unter staatlichem Oberbefehl agierende geheimdienstliche Organisationen. Wie zum Beispiel auf ganz anderen Gebieten der Kongress für Kulturelle Freiheit oder die Dichterszene vom Prenzlauer Berg es waren. Aber man muss nicht Organisationssoziologie studiert haben, um zu begreifen, dass eigene Strukturen nicht nur ein eigenes Führungspersonal, sondern auch eigene Gesetze oder doch Gesetzmäßigkeiten hervorbringen.

Sicher gibt es eine Reihe von Untersuchungen über die Rolle, die Privatarmeen in den Kriegen der jüngsten Vergangenheit gespielt haben. Ich sollte sie mir mal heraussuchen. Friedensschlüsse liegen, das glaube ich schon jetzt sagen zu können, ganz sicher nicht in ihrem Interesse.

Die Bundesrepublik Deutschland zählte nicht zur Koalition der Willigen. Es gehört zu den großen Verdiensten der ersten rot-grünen Regierung, Deutschland aus diesem Krieg herausgehalten zu haben. Ich erinnere mich nicht – vielleicht trügt diese Erinnerung – dass die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel auch nur mit einer Silbe den vorgelegten „Beweisen“ der US-Regierung Recht gegeben hätte. Es ging ihr ausschließlich darum, Rot-Grün – ich nenne es mal – „Bündnisverrat“ vorzuwerfen. Saddam Hussein bedrohe die USA mit dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln, da hätten wir an der Seite der USA zu stehen. Eine Begutachtung und nun gar eine Verwerfung der vom Bündnispartner vorgelegten Argumente und Dokumente stehe uns gewissermaßen nicht zu.

Gerade darin aber lag der entscheidende Schritt. Das wiedervereinigte Deutschland war erwachsen geworden. Es machte klar, dass man es nicht mehr einfach herbeibefehlen konnte. Man musste es überzeugen. Der Bush-Regierung fiel das Überzeugen schwer. Nicht nur, weil es beim Krieg gegen Saddam Hussein überdeutlich um einen Sohn ging, der seinem Vater, dem ehemaligen US-Präsidenten George Bush, zeigen wollte, dass der Junior mit einem fertig werden würde, den der Vater nicht in die Knie gezwungen hatte. Es war auch die religiöse Übermalung, die die US-Politik nicht nur unappetitlich, sondern unglaubwürdig machte. Wer seine Gegner als „Achse des Bösen“ bezeichnet, wer glaubt, sich in einem apokalyptischen Endkampf zwischen himmlischen und satanischen Kräften zu befinden, der minimiert die Chance darauf, vernünftige Lösungen für komplizierte Situationen zu finden. Und schon gar nicht wird er Freunde außerhalb seiner eng gezogenen religiösen Überzeugungen gewinnen.

Kommende Woche wird der US-Senat wohl jene Regelung außer Kraft setzen, die Bush den Irak-Krieg ermöglichte.

Die „Authorization for Use of Military Force“ (AUMF) aus dem Jahr 2002 gestattete dem US-Präsidenten, die Streitkräfte „nach Bedarf und Zweckmäßigkeit“ einzusetzen, um „die nationale Sicherheit der USA zu verteidigen“. Die republikanische Senatsmehrheit möchte dem demokratischen Präsidenten Befugnisse entziehen. Auf die wird freilich ein republikanischer Präsident sehr bald wieder zurückgreifen wollen, zumal einer, der „America great again“ machen möchte.

Bis zum Ende der Besetzung im Jahre 2011 gab es bis zu 600 000 tote irakische Zivilistinnen und Zivilisten und 4800 tote US-Soldaten. So sehen Sieger aus.

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