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Überfall auf Mexiko: Den ganzen Kontinent unterwerfen

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Von: Arno Widmann

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1842 nehmen die US-Truppen das kalifornische Monterey ein, damals noch Teil von Mexiko.
1842 nehmen die US-Truppen das kalifornische Monterey ein, damals noch Teil von Mexiko. © Heritage Images/IMAGO-Images

Am 2. Februar 1848 endet ein Krieg, der mit dem Überfall der USA auf Mexiko begonnen hat – zur Vorgeschichte gehören auch hier Lügen, Ideologie und Wirtschaftsinteressen.

Der Überfall der USA auf Mexiko hatte am 25. April 1846 begonnen und endete am 2. Februar 1848. In der Zeit war die Zahl der eingesetzten US-Soldaten von 8600 auf 32 000 Mann gestiegen. Dazu kamen 59 000 Kriegsfreiwillige. Das Ergebnis des Überfalls: Mexiko akzeptiert den Rio Grande als Grenze und die Übereignung der Hälfte seines Territoriums – 1,36 Millionen Quadratkilometer – an die USA. Deutschland hat nicht einmal 358 000. Auf dem damals hinzugekommenen Territorium befinden sich heute die US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien, Nevada, Utah sowie Teile von Colorado, New Mexico und Wyoming. Seit 1848 reicht das Territorium der USA vom Atlantik bis zum Pazifik.

Wie jede Geschichte hat auch diese eine Vorgeschichte. Seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts hatten die USA Mexiko immer wieder den Verkauf des Landes Oberkalifornien vorgeschlagen. Mexiko hatte stets abgelehnt. Seit den 30er Jahren hatten Siedlerfamilien aus den USA die großzügige Immigrationspolitik Mexikos genutzt, um sich im mexikanischen Bundesstaat Texas (695 000 Quadratkilometer) niederzulassen. Eine wichtige Etappe in dieser Entwicklung war das Jahr 1823. Damals erhielt der nordamerikanische Oberst Stephen F, Austin von der mexikanischen Regierung die Genehmigung, mit 300 Familien im Staatsgebiet von Texas zu siedeln. Er gründete die Stadt San Felipe de Austín. 1835 hatten etwa 45 000 Menschen aus Nordamerika sich im mexikanischen Texas niedergelassen. Die USA hatten derweil Mexiko auch mehrmals Angebote für den Ankauf von Texas gemacht. Die mexikanische Regierung hatte auch dies abgelehnt.

Seit 1830 beschränkte die mexikanische Regierung die Immigration aus Nordamerika. Die Konflikte mit den Siedlerfamilien nahmen weiter zu, als Mexiko Druck auf sie ausübte, die Sklaverei zu beenden. Das lief ihrem Geschäftsmodell völlig zuwider. 1836 erklärten die ehemaligen US-Bürger den mexikanischen Staat Texas für unabhängig. Die mexikanische Regierung schickte Truppen. Am 21. April 1836 wurden sie in der Schlacht von San Jacinto geschlagen. Der mexikanische Präsident wurde gefangen genommen.

Gegenschläge der mexikanischen Truppen brachten keinen Erfolg. Die Republik Texas war geboren. Die USA hatten Mexiko ein riesiges Territorium entrissen. In der neuen Republik gab es zwei Lager. Die einen wollten sich so schnell wie möglich den USA anschließen, die anderen träumten von einer Ausweitung ihrer Republik bis hin zum Pazifik.

Die Sache wurde bald entschieden. Am 19. Februar 1845 annektierten die USA die Republik Texas. Der Kongress billigte die Annexion am 1. März 1845 und beschloss am 29. Dezember 1845 die Aufnahme von Texas in die Union.

Die nächste Etappe war der sogenannte Mexikanisch-Amerikanische Krieg. Er begann als ein Überfall auf mexikanische Dörfer am Rio Grande. US-Präsident James Knox Polk behauptete, blutige Angriffe gegen US-Bürger auf US-Territorium seien dem vorausgegangen. Er hat das nie belegen können. Abraham Lincoln hatte ihn in seiner ersten Rede im Kongress aufgefordert, den genauen Ort und den genauen Zeitpunkt der angeblichen mexikanischen Übergriffe zu nennen. Polk tat nichts dergleichen. Der Krieg wurde mit äußerster Brutalität geführt. Der Präsident und die, die seinen Krieg befürworteten, waren stolz darauf, einen Begriff für ihre Politik gefunden zu haben: „Eroberung des Friedens“.

Einer der US-Soldaten erklärte damals angewidert von dem, was er sah und wohl auch tat: „Sie verwüsten das Land und nennen das Frieden.“

Ulysses S. Grant, Oberbefehlshaber der US-Truppen im Bürgerkrieg und von 1869 bis 1877 Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte 1879: „Ich denke nicht, dass es jemals einen verlogeneren Krieg gab als den der USA gegen Mexiko. Ich war schon damals als junger Mann dieser Ansicht. Mir fehlte allerdings der moralische Mut zurückzutreten.“

Beim Krieg gegen Mexiko ging es ganz wesentlich darum, die Position der Sklavenhalter in den Vereinigten Staaten zu stärken. Die zu gewinnenden Territorien würden vor allem vom Süden her, also von Sklavenhaltern okkupiert werden. Das Ende der Sklaverei würde so in weite Ferne rücken. Lincoln war auch darum gegen den Krieg. Er und die, die auf seiner Seite waren, hatten recht. Das Ergebnis war, dass die Abschaffung der Sklaverei „im Land der Freien“ dann nur noch kriegerisch möglich war.

Wie immer fehlte es auch damals nicht an Intellektuellen, die die wirtschaftlichen Interessen mit großen Worten zu vergolden verstanden. Der New Yorker Journalist John L. O. Sullivan prägte 1845 den Begriff „Manifest Destiny“, als er schrieb, es sei „die offenkundige Bestimmung der Nation, sich auszubreiten und den gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Entwicklung des großen Experimentes Freiheit und zu einem Bündnis vereinigter Souveräne anvertraut hat“. Die Unterwerfung des Nachbarstaates fand also gewissermaßen in himmlischem Auftrag statt.

Die USA waren niemals eine friedliche Nation gewesen. Das ganze 19. Jahrhundert war der Entrechtung und immer wieder auch der Vernichtung der indigenen Bevölkerung gewidmet gewesen. Der Krieg gegen Mexiko wurde mit genau den gleichen Techniken – frei erfundenen Interventionsvorwänden und brutalen Militäreinsätzen gegen die Zivilbevölkerung – geführt. Wir erkennen ein Muster, das uns bis heute begleitet. Die Einverleibung der Krim war nur das Vorspiel für einen Vernichtungskrieg gegen die ganze Ukraine.

Aber zurück zum Überfall der USA auf Mexiko. Zu den Immigrationserfahrungen der USA gehört nicht nur, dass ihr Land – nach der weitgehenden Ermordung der ursprünglichen Bevölkerung – von freiwillig oder erzwungen immigrierten Menschen bevölkert wurde. Sondern es gehörte auch dazu, dass diese Menschen die Macht übernehmen können, wie es den Siedlerfamilien aus den USA im texanischen Mexiko gelang.

In ihrem beeindruckenden Buch „A Wicked War“ schreibt Amy S. Greenberg: Der Krieg war „ein Akt expansionistischer Aggression gegen ein Nachbarland. Es machte aus den Vereinigten Staaten den Herrscher des Kontinents und verkündete die Ankunft einer neuen Weltmacht … Amerikas erster Krieg gegen eine andere Republik brach entscheidend mit der Vergangenheit, formte die Zukunft und beeinflusst bis heute das Auftreten der USA in der Welt“.

Noch ein Wort: Als wir Ende der 60er Jahre gegen den US-Imperialismus demonstrierten, bekam ich oft zu hören, die USA seien kein imperialistischer Staat, sie hätten keine überseeischen Kolonien. Nun, ich sah das damals anders. Aber heute denke ich, dass diese Haltung unseren Blick auf Russland verstellte. Die Ausdehnung des russischen Reiches, die schon länger andauerte, war 1848 noch nicht zu Ende gekommen. Von russischem Imperialismus sprachen wir allerdings nicht.

Das russische Reich erweiterte sein Territorium stetig, aber immer auf dem eurasischen Kontinent. Es gab nichts, das dem britischen Indien vergleichbar war. Russland unterwarf sich einen Nachbarn nach dem anderen. Und das tut es immer noch. Auch daran erinnert ein Blick auf den Überfall der USA auf Mexiko.

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