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Tsitsi Dangarembga: „Es gibt eine Art mentaler Sklaverei“

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Von: Michael Hesse

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Spürt die Welle des Nationalismus: Buchpreisträgerin Tsitsi Dangarembga.
Spürt die Welle des Nationalismus: Buchpreisträgerin Tsitsi Dangarembga. © IMAGO/Panama Pictures

Schriftstellerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga über die Folgen des Kolonialismus, ihre Verurteilung in Simbabwe und die Kraft des Feminismus.

Frau Dangarembga, würden Sie sagen, dass Sie das beste Beispiel für den feministischen Grundsatz sind, dass das Persönliche immer politisch ist?

Ich habe versucht, ein gutes Beispiel zu sein, eine Feministin zu sein, die sich an dieses Prinzip hält. Als ich als junge Frau in meinen Zwanzigern von diesem Grundsatz hörte, war ich wirklich beeindruckt. Damals habe ich auch erkannt, dass er sich nicht nur auf geschlechtsspezifische Unterschiede bezieht, sondern auch auf geografische, auf politische und physische Unterschiede. Und das habe ich in einige meiner Arbeiten einfließen lassen, auch in meine feministische Arbeit als Filmemacherin über die Rolle der Rasse im Film. Ja, ich habe versucht, nach diesem Prinzip zu leben, und wenn Sie denken, dass ich ein gutes Beispiel dafür bin, freue ich mich darüber.

Das Thema Ihres neuen Buches „Schwarz und Frau. Reflexionen über die postkoloniale Gesellschaft“ sind die Ungleichheiten, die weltweit zwischen Männern und Frauen bestehen. Manche sagen, der Feminismus sei gescheitert.

Es ist richtig, dass schwarze Feministinnen eine kleine, oft bekämpfte Gruppe sind. Für Augenblicke der Bestätigung in ihrem Kampf um Gleichberechtigung müssen die Frauen hart kämpfen. Auch wenn die Mehrheit der Frauen weltweit durch patriarchale Strukturen marginalisiert wird, glaube ich nicht, dass der Feminismus gescheitert ist. Ich denke, was der Feminismus getan hat, ist, dass er eine Möglichkeit geschaffen hat, sich eine andere Welt vorzustellen. Die Vorstellungskraft ist die Quelle des Handelns, und weil wir uns eine andere Welt vorstellen können, können wir für sie handeln. Die Ideen des Feminismus reisen um die Welt, also denke ich, wir befinden uns in einem Prozess der Verbindung vieler Ideen, einschließlich feministischer. Viele junge farbige Frauen aus Afrika, auf dem Kontinent und außerhalb des Kontinents, vertreten selbstbewusst ihre Vorstellungen. Die Welt hat sich verändert, das Internet macht es einfacher, Ideen zu verbreiten, so dass feministisches Gedankengut viel leichter zirkulieren kann.

Ihre Bücher kann man in Simbabwe nicht kaufen.

Aber wer eine Kreditkarte hat, kann Bücher bei Amazon oder in einem Nachbarland kaufen. Ich gehöre zu denjenigen, denen die Ideen der feministischen Theorie ein anderes Selbstverständnis als wirksame, machtvolle Menschen gegeben haben, Menschen, die das Recht haben, die Gleichheit mit allen anderen Menschen einzufordern. Für mich ist Feminismus ein Werkzeug von Ideen, das Frauen benutzen können, um die Welt zu verändern.

Sie schreiben in Ihrem Buch über ein erschütterndes Ereignis in Ihrem Leben: Kinder aus Simbabwe wurden nach England gebracht, wo sie in Pflegefamilien aufwuchsen. Das scheint System gehabt zu haben. Auch Sie und Ihr Bruder waren davon betroffen. Wie fühlen Sie sich dabei?

Als ich für das Buch recherchierte, dachte ich zunächst nicht daran, dass es System haben könnte. Es ging um Menschen, die aus Sicht des britischen Imperiums intelligent genug erschienen, zu studieren. Sie wurden nach England gebracht, um später für das Imperium nützlich sein zu können. So verlangte man von meinen Eltern, ihr Zuhause in Südrhodesien zu verlassen. Sie mussten nach London gehen, wo sie ein Stipendium für eine Ausbildung erhalten hatten. Meine Eltern gaben mich in eine Pflegefamilie, in der ich aufwuchs. Ich blieb in der Obhut dieser Menschen. Es war, als würde eine Guillotine auf mich fallen. Ich galt als „schwieriges Kind“. Als ich bei meiner Pflegefamilie lebte, erzählte mir meine Pflegemutter immer von den anderen Kindern aus Afrika, die sie bereits aufgenommen hatte. Ich wusste also, dass so etwas passierte. Was ich aber nicht wusste, war, dass es ein System war, das vom Kolonialamt eingerichtet worden war, um bestimmte Menschen in den Kolonien zu besseren Interessensvertretern des Imperiums auszubilden. Das habe ich erst bei meinen Recherchen für das Buch herausgefunden.

Noch weiß man wenig über dieses System.

Aber es kommt immer mehr ans Licht. Ich habe einige interessante Informationen bekommen, die auch im Buch zu finden sind. Zum Beispiel, dass es mehr Informationen über die Haltung der Kolonialbehörden gegenüber Afrikanern in Pflegefamilien gibt, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren nach England kamen, als man dachte. Sie fanden heraus, dass es diesen Menschen in der damaligen britischen Kolonie Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, nicht gut ging und ihr Verhalten offenbar nicht so war, wie das Imperium es sich vorgestellt hatte.

Das Buch

Tsitsi

Dangarembga:

Schwarz und Frau.

Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft.

Quadriga 2023. 160 S., 22 Euro.

Wie hat sich die Trennung von Ihrer Familie auf Sie ausgewirkt?

Der Kolonialismus hat meine Familie auseinandergerissen. Mein Bruder und ich haben aufgrund unserer Erfahrungen bis heute Trennungsängste. Das Zugehörigkeitsgefühl ist gestört, es ist sehr schwer, sich zu Hause zu fühlen, egal wo man ist. Es gibt immer etwas, das einen als untypisch kennzeichnet. Und das ist nicht die einfachste Situation, mit der man leben kann. Ich glaube, dass die meisten Menschen den Wunsch haben, zu einer Gruppe zu gehören, und deshalb ist es eine existenzielle Belastung, wenn man ein Zeichen trägt, das einen als nicht zugehörig kennzeichnet. Ich lebte in einer Gesellschaft, die mich als Mängelwesen konstruierte, als jemanden, der erst ein ganzer Mensch werden musste. Aber es war klar, dass ich diesen Status nie erreichen würde, weil ich einen schwarzen Körper habe.

Sind die Folgen der Kolonialzeit generell bis heute spürbar?

Die Normen und Standards des Kolonialismus existieren nach wie vor. Das neue Zeitalter des Imperiums passt sich einfach an die neuen Anforderungen an. Wir leben immer noch in Zeiten des Imperiums, und es ist ein Imperium des Kapitals. Die Kolonialzeit hat die Strukturen der Wirtschaft geschaffen, es ist wie ein geistiges Gebäude, das immer in dieser Wirtschaftslandschaft sein wird. Das globale System hat sich ja nicht wirklich geändert, denn wenn man sich China anschaut, dann produzieren die Chinesen im Grunde für diese Niedrigpreiswirtschaft des globalen Nordwestens. Ob sich das ändern wird oder nicht, bevor wir den Planeten komplett zerstören, ist eine offene Frage. Es gab früher Varianten kolonialer Gewalt, man verschleppte die Körper, um sie als Arbeitskräfte auszubeuten. Dann wurden die Rohstoffe ausgebeutet. Was wir jetzt erleben, ist der Braindrain: Das geistige Kapital wird den Ländern in Afrika entzogen. Zum Ressourcenabfluss aus Afrika kommt jetzt China hinzu. Der Überbau, der in der Kolonialzeit in die sozioökonomischen Systeme exportiert wurde, besteht heute weiter. Er ist einer der Gründe für die massive soziale Ungleichheit in den Ländern. Es gibt eine Art Mentalkolonisierung, von der schon Bob Marley sprach, eine Art mentaler Sklaverei.

Wer ist aus Sicht vieler afrikanischer Staaten der richtige Partner: Europa, China oder Russland?

Russland und China sind dabei, ihre Form der Kolonisierung zu praktizieren. Mir kommt der Gedanke des Karmas in den Sinn, dass das, was man auf die eine oder andere Weise tut, auf einen zurückfällt.

Die Situation der Flüchtlinge ist ein eigenes Thema. Wie bewerten Sie die schroffe Politik Europas gegenüber den Menschen auf der Flucht?

Es ist verwirrend, wenn ich an Länder wie Deutschland denke, denn eines der Vorhaben war es ja, Deutschland zu einem Einwanderungsland zu machen. Ich bin mir nicht sicher, ob das im Widerspruch dazu steht, nun paranoid zu werden. In der Regel geht es um die Zustimmung der einheimischen Bevölkerung zur Anwesenheit von Menschen, die ins Land kommen und auf Kosten des Gastlandes leben sollen. Wir erleben Wellen des Nationalismus. In Südafrika gab es afro-phobische Angriffe gegen Simbabwer und andere in Südafrika lebende Schwarze, weil die Südafrikaner sagten: Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg, sie sind in Verbrechen verwickelt und so weiter. Auch der Brexit war ja eine Folge einer durch und durch nationalistischen Haltung: Das ist unser Land. Warum sollten sie kommen und bei uns leben?

In Simbabwe hat es ein Gerichtsverfahren gegen Sie gegeben. Sie wurden verurteilt. Wie ist die Situation in Ihrem Heimatland?

Ich war zuletzt im September dort, ich habe derzeit ein Schreibstipendium in Harvard. Natürlich war das Urteil ein Schock für mich, auch wenn ich nichts anderes erwartet hatte. Ich musste es erst einmal verkraften. Nun läuft ein Revisionsverfahren. Ich habe Kontakt zu den Menschen dort und werde auch zur Wahlbeobachtung zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Sommer hinreisen. Es ist schwierig für Oppositionsparteien, Genehmigungen für ihre Wahlkampfauftritte zu bekommen. Wir wollen eine Verfassung, die allen Parteien die gleiche Zeit in den Medien einräumt, aber das ist nicht der Fall. Im Moment hält sich die Regierungspartei Zanu-PF noch für unantastbar. Sie pflegt Verbindungen zu europäischen Ländern und hat Verbündete in Russland oder China. Das Land geht den Bach runter. Die medizinische Versorgung in Simbabwe ist so schlecht, dass die Menschen über die Grenze nach Südafrika gehen. Es gibt nicht einmal ein Strahlentherapiegerät für Krebs, das einigermaßen funktioniert.

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