Wenn Statuen und Denkmäler stürzen: Kopflos in die nächste Debatte

Wie auch die Kulturkämpfe der jüngeren Zeit wird die Diskussion über die Stürze von Statuen und Denkmälern von Ignoranten und Identitätern beherrscht.
- In den USA und im Rest der Welt stürzen Statuen und Denkmäler historischer Persönlichkeiten
- Wie verständlich ist der Zorn der Unterdrückten?
- Die rituelle Hinrichtung von Standbildern steht einer langen Tradition einer kompromisslosen Identitätspolitik
Kopfschütteln hilft nicht, kopflos zu reagieren ebenso wenig. Was aber dann? Denn nur zu verständlich die ohnmächtige Wut der Afroamerikaner in den USA, die seit Jahrhunderten drangsaliert und diskriminiert werden. Verständlich auch der zielgerichtete Zorn der Unterdrückten?
Symbolische Tötung von Standbildern
Wenn man sich nicht täuscht, waren in den letzten zwei Wochen ziemlich viele Menschen darüber bestürzt, wie Denkmäler gestürzt wurden. Bestürzt über den Akt symbolischer Tötung, begleitet von Johlen und unverhohlenem Feixen, fuchtelnden Armen oder geballten Fäusten – denn ein jeder Denkmalsturz, da gleichen sich die Bilder, braucht solche Szenen. Kein Vandalismus ohne Posen, ohne Triumphgefühl, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Was artikuliert sich in der Denkmalsturzbewegung? Der Zorn von Gerechten? Sind Feixende, heute nicht mehr bewaffnet mit Mistgabeln oder Dreschflegeln, sondern mit Fotohandys, Gerechte?
Ob es sich um einen spontanen Akt handelte oder um systematische Bilderstürmerei: Bei der symbolischen Tötung von Standbildern stand der Sinn nicht nach Vergegenwärtigung, im Gegenteil, die Tilgung der Erinnerung motivierte den politischen, den religiösen oder antireligiösen Denkmalsturz. Zuletzt waren es antirassistisch und antikolonialistisch motivierte Taten, so dass auch Kolumbusstatuen in den USA dran glauben mussten. Nicht anders, denn vor der symbolischen Bestrafung sind alle gleich, galt das auch für ein Standbild des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol.
Edward Colston war ein gnadenloser Ausbeuter und skrupelloser Manager der Sklaverei
Tatsächlich war Colston vor 300 Jahren ein gnadenloser Ausbeuter und skrupelloser Manager der Sklaverei, so dass sich die Frage stellt, wie mit solchen Figuren im öffentlichen Raum verfahren. Durch eine Inschrift, ein Gegendenkmal, durch Entfernen? Also durch ein Vorgehen, auf dass sich eine legitimierte Öffentlichkeit verantwortungsbewusst und nicht vergeltungssüchtig, diskursiv und demokratisch geeinigt hat. Für ein solches Verfahren hat der destruktive Charakter allerdings nur Hohn übrig, denn es geht nicht um Aufklärung und Recht - es geht um Rache.
Abgesehen davon, dass es, wie Berichte aus der Reformation oder der Französischen Revolution nahelegen, auch um so etwas wie Sadismus am toten Objekt geht, wird im Denkmalsturz nicht die Differenzierung verfolgt, sondern die Generalisierung exekutiert. Generell, so das undifferenziert-ignorante Urteil, handele es sich bei Kolumbus um einen Kolonialisten. Wobei noch unheimlicher als diese Zuschreibung ist, dass in den letzten Tagen nicht etwa ein so entsetzlicher Schlächter wie der Eroberer Mittelamerikas, Hernan Cortéz, ins Visier von Attentätern geraten ist – dafür aber Immanuel Kant. Weil man Kant kennt, weil man Kants Werk zu beherrschen glaubt?
An Immanuel Kant rangehen?
So hieß es von einem Historiker, dem Menschenrechtsexperten Michael Zeuske soeben, man müsse „an Kant rangehen“. Soll der Aufklärer, weil er „den europäischen Rassismus mitbegründet“ habe, körperlich angegangen werden, der Begründer des autonomen Subjekts mal so richtig angerempelt werden? Ein anderer Historiker meinte, Kant solle doch zumindest auf den Kopf gestellt werden, jedenfalls seine Statue. Der Gedanke kam dem Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer in den Sinn. Von Zimmerer ist der Begriff der „kolonialen Amnesie“ bekannt, der nachdrücklich darauf verweist, wie sehr auch in Deutschland die kolonialen Verbrechen verdrängt, vertuscht und verleugnet werden, darunter die Verantwortung am Genozid an den Herero und Nama.
Zweifellos fragwürdig die anthropologischen Standards, auf die sich Kant vor 250 Jahren berief. Allerdings möchte man hoffen, dass Zimmerer historische Mindeststandards wahrt und seine Kolonialismuskritik nicht ahistorisch an Kant wetzt, auch wenn Kant über die „Racen der Weißen, der gelben Indianer, der Neger, der kupferfarbig-rothen Amerikaner“ beschämende Ansichten hegte. Ein Studium ist allemal sinnvoller als ein umstürzlerisches Urteil. Und in der Tat ließe sich gerade von Kant wahrscheinlich einiges lernen – aber wie ist das mit einem Philosophen, der in den letzten Tagen als Rassist hingestellt worden ist? Will der kenntnislose Zeitgenosse von einem Kant noch lernen? Äußerst hilfreich der Gedanke der Philosophin Sabine Döring, die in Tübingen Praktische Philosophie und Ethik lehrt, als sie auf die „pauschal formulierten“ Aussagen reagierte und meinte: „Der Universalismus Kants ist mit Identitätspolitik nicht vereinbar“. Das, tatsächlich, ist das Dilemma: Identitätspolitik.
Identitätspoltik ist das Dilemma
Identitätspolitik schlug sich auch nieder im Furor gegen die Verse des Lyrikers Eugen Gomringer an einer Berliner Hochschulhauswand. Irgendetwas stimmte irgendwie nicht, gefühlt nicht, so die Studentenvertretung, die sich gegen das Gedicht aussprach. Der Allgemeine Studentenausschuss als identitätspolitischer Wohlfahrtsausschuss. Das Ende vom Lied war, dass sich die Ignoranz durchsetzte, eine öffentlich eingestandene literarische Ignoranz gegen die Expertise. Die Auslöschung des Gedichts an der Hochschulfassade wurde zum Menetekel, ausgelöst durch ein „Regime der Affekte“, wie es sich, ein solches Regime, immer wieder in den jüngsten Kulturkämpfen selbst installiert hat.
Vor zwei Jahren erwischte es ein Gedicht Eugen Gomringers, weil es von zunächst drei Studentinnen sexistisch missverstanden wurde, horrend fehlinterpretiert wurde, wie sich rasch herausstellte. Die eingestandene Laienperspektive zeigte sich taub gegenüber dem guten Zureden von Experten. Ausdrücklich in den hysterischen Reaktionen auf das Gedicht Gomringers sprach sich ein Bauchgefühl aggressiv aus: „Nein, du kennst dich nicht besser aus. Auch nicht, wenn du was mit Kunst oder so studiert hast.“
Auch in Deutschland existieren die scheußlichsten Kolonialdenkmäler
Anstelle des Arguments verschaffte sich die allergische Reaktion Gehör – und bevor das Thema Denkmalsturz weiter erörtert werden soll, sei ausdrücklich betont, dass nicht nur in der Ferne der USA, sondern auch in Deutschland die scheußlichsten Kolonialdenkmäler existieren (deren rassistische Hintergründe vom Autor schon vor 40 Jahren aufgedeckt wurden, darunter die Ausrottung der Herero und Nama. Die Folge, damals, vehemente Anfeindungen von Kolonialisten und Rassisten, gewillt, sich an ihren Götzenbildern zum Ruhm von Vertreibung und Mord bis hin zum Genozid weiterhin zu ergötzen.) Diese Schandmäler kann man nicht einfach so stehen lassen, doch nachhaltiger als die kurzfristige Empörung, die sich in einem Denkmalsturz entlädt, dürfte die Kontextualisierung sein, eine Gedenktafel, ein Gegenmahnmal, warum nicht ein Pranger? Oder auch ein paar Verse aus der Opferperspektive?
Zur Vergegenwärtigung gehört die Einsicht, dass Kolonialismus nicht in jedem Weltwinkel existiert, während der Antikolonialismus in diesen Tagen solche Orte identifiziert, an denen um üble Denkmäler weiterhin eine Bannmeile der Verschwiegenheit herrscht, bis heute. Doch um den Bann sehr ernst zu nehmen: Denn durch den Denkmalsturz wird ein weiterer Bann verhängt, was ebenfalls im Zeichen des Verschweigens und des Vergessens geschieht. Die Spuren der Vergangenheit zu tilgen, ist nur eine weitere Form der Amnesie, eine alternative Form der Amnesie. Angesichts einer affektgeladenen Wegräummentalität kein Wunder.
Legitimiert wird der Denkmalsturz einem sogenannten Denkanstoß
Bei allem Verständnis für die große Wut über den Alltagsrassismus (nicht nur) in den USA: Angesichts der Riesengereiztheit, mit der die jüngsten Kulturkämpfe ausgetragen werden, besteht an besonnenen Reaktionen kein Interesse. Zumal eine „Irgendwiestimmung“ das Terrain beherrscht – dumm, wenn es die falschen Objekte erwischt, in London war’s eine Gandhi-Statue. Es lag eine Verwechslung vor, so sorry.
Ein Ausrutscher, wie so oft allein in der Gewaltgeschichte gegen Sachen. Legitimiert wird der Denkmalsturz mit einem notwendigen Anstoß, einem sog. Denkanstoß, mit dem Anstoß zu einer überfälligen Debatte, einer unbedingt notwendigen Debatte, wie in den letzten Tagen fleißig behauptet und noch emsiger nachgeplappert wurde.
Um die Debatte also zu führen: Wie immer dann, wenn es zu Gewalttaten in aller Öffentlichkeit kommt, geht es um Aufmerksamkeit, und zur (kapitalistischen) Ökonomie der Aufmerksamkeit gehört ein Überbietungswettbewerb, der von Antikapitalisten und Antikolonialisten in den letzten Tagen, nun ja, instrumentalisiert wurde. Was aber, mit Immanuel Kant zu sprechen, ist von den Zielen und Zwecken zu halten, wenn bereits die Mittel fragwürdig sind? Um die Debatte fortzusetzen: Der „missionarische Hassausbruch“ oder die „kollektive Aktion“, so der Althistoriker Alexander Demandt 1999 in seinem Buch über Vandalismus legitimiere sich durch eine Selbstermächtigung, ob im Namen der Religion, des Rechts – oder, wie zuletzt des Antirassismus.
Der „destruktive Charakter ist immer frisch bei der Arbeit“
Den Vandalismus, um auch das zu sagen, haben nicht die berüchtigten Vandalen in die Welt gesetzt vor 1500 Jahren, nicht die Taliban vor 20 oder zuletzt der IS. Bereits die Geschichte des alten Ägypten vor über 4000 Jahren war eine der immer wieder verheerenden Vernichtungsaktionen. Um jedoch nicht ins Historische abzuschweifen, sondern um vielmehr aktuell zu verharren, sei auf Walter Benjamin verwiesen. Meinte er doch, der „destruktive Charakter ist immer frisch bei der Arbeit“. Der unbekannte Fundamentalist, der den Kolumbus von Boston einen Kopf kürzer gemacht hat, findet Gewalt nicht nur geil. „Frisch“ bedeutet aber auch: Die rituelle Leichenschändung, wie sie sich an Denkmälern umstürzlerisch abarbeitet, verjüngt die Attentäter. Im Denkmalsturz, so darf man Benjamins Debattenbeitrag verstehen, tilgt der Attentäter die Spuren seines Alterns.
Die Welt war in den letzten Jahren konfrontiert mit einem religiösen Fundamentalismus, der Menschendarstellungen gnadenlos abgeräumt hat. Denn der Horizont der Zerstörungswut ist die Übersichtlichkeit. Vandalismus verfolgt Strategien eines Reinlichkeitsfanatismus. Dass auch dieser Kulturkampf im Zeichen der Identität geführt wird, macht den Kulturkampf ebenso bedrohlich wie die Identität selbst.
Die Denkmalsturzdebatte wird bald durch sein
Ginge es nach der Logik und reinen Lehre der Identitäter, müssten Juden gegen Lutherdenkmäler vorgehen, denn der Reformator war ein entsetzlicher Judenhasser. Nicht mehr sicher dürften Denkmäler Karls des Großen sein wegen seiner erbarmungslosen Sachsenpolitik (Stichwort Kolonialismus im Zeichen der Christianisierung). Dagegen müsste es unbedingt eine Denkmaloffensive von Widukind-Statuen geben (mit unbedenklichen Statuten) sowie, damit nicht genug, ebenso eine neue Sammlungsbewegung zur Errichtung weiterer Hermannsdenkmäler zum Ruhm des Germanenfürsten, der den römischen Imperialismus die Grenzen aufzeigte (9 n. Chr., Limes und so).
Zur Kriminalgeschichte des Denkmalsturzes gehören die absurdesten intellektuellen Kapriolen. Die rituelle Hinrichtung von Standbildern und Bildwerken steht nicht nur in einer langen Tradition des Ikonoklasmus, die wohl geil macht, aber nicht schön, sondern in der einer kompromisslosen Identitätspolitik.
Und noch ein Beitrag zur Debatte: Die Denkmalsturzdebatte wird bald durch sein. Dennoch darf man davon ausgehen, dass die von Identitätsideologen abgesteckten Terrains und kolonialisierten Claims in den nächsten Jahren zu den Hauptkrisenherden im globalen Dorf zählen werden.
Die Welle des Denkmalsturzes spült auch den Rassisten Woodrow Wilson weg