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Julian Reichelt: Gegen die „Bild“ und auf den Spuren Tucker Carlsons

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Von: Martin Benninghoff

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Das Verlagshaus Springer sorgt für Schlagzeilen – allerdings derzeit in eigener Sache. Nun klagt Springer gegen den ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt.

Berlin - Im Idealfall macht ein Verlagshaus Schlagzeilen – allerdings aus redaktioneller Anstrengung und über andere Akteurinnen und Akteure. Im Falle Springers häufen sich allerdings die Meldungen über das Verlagshaus selbst. In dieser Woche wurde bekannt, dass Springer den ehemaligen Chef der Bild-Zeitung, Julian Reichelt verklagt, der seinerseits in zahlreiche Skandale verwickelt ist. Verlagschef Mathias Döpfner sitzt trotz allem fest im Sattel.

Der Springer-Verlag kommt nicht zur Ruhe: Taktzahl der Vorwürfe ist hoch

Die Taktzahl der Vorwürfe gegen den Springer-Verlag ist hoch: Bild gegen den ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt, der frühere Springer-Autor Benjamin Stuckrad-Barre gegen Vorstandschef Mathias Döpfner, Zeit gegen Döpfner, Stern gegen Döpfner, Stuckrad-Barre gegen Döpfner und Reichelt, ohne letzteren Namen in den Mund zu nehmen. Offenbar ekelt es ihn dabei. Medien sind schnell dabei, von einer „Schlammschlacht“ zu sprechen – hierbei ist der Begriff gedeckt.

Das Gebäude des Axel-Springer-Verlages.
Das Gebäude des Axel-Springer-Verlages. © Soeren Stache/dpa

Aber der Reihe nach: In dieser Woche hat eine Verlagssprecherin von Springer einen Spiegel-Bericht bestätigt, wonach der Verlag Ex-Bild-Chef Reichelt verklagt. Neben einer Zivilklage, die auf die Rückzahlung einer siebenstelligen Abfindung sowie eine sechsstellige Vertragsstrafe abzielt, hat der Verlag demnach auch Strafanzeige wegen Betrugs erstattet. Reichelt war im Oktober 2021 von seinen Aufgaben als Chefredakteur entbunden worden. Er soll mit Mitarbeiterinnen Verhältnisse gehabt haben, von denen einige ihm Machtmissbrauch vorwerfen. Eine interne Prüfung war zunächst eingestellt worden. Auch anschließend habe Reichelt jedoch „Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt“, hatte Springer erklärt.

Julian Reichelt soll gegen Abwerbeklausel in Abwicklungsvertrag verstoßen haben

Julian Reichelt vor Bild Logo
Der Axel-Springer-Verlag will die siebenstellige Abfindung von Julian Reichelt zurückhaben. © Malte Ossowski/SVEN SIMON/imago

Der Verlag verweist auf einen 2021 mit Reichelt geschlossenen Abwicklungsvertrag. Neben der Millionenabfindung sieht dieser Pflichten vor, gegen die er nach Auffassung seines früheren Arbeitgebers verstoßen haben soll. Dabei geht es unter anderem um den Umgang mit unternehmensinternen Daten, aber nicht nur: Wie der Spiegel berichtete, hatte Reichelt im Abwicklungsvertrag auch zugesagt, keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzuwerben. Doch mehrere ehemalige Bild-Leute sind Reichelt zu dessen rechtem Medienunternehmen Rome Media gefolgt, darunter der frühere Leiter der Parlamentsredaktion, Ralf Schuler.

Reichelt versucht mit solchen Zugängen - Schuler war die populistische Bild zu queerfreundlich geworden - und vor allem mit seinem YouTube-Format „Achtung, Reichelt!“ den rechten Meinungsjournalismus von „Fox News“ oder des gerade von „Fox“ geschassten Tucker Carlson zu kopieren.

Ihm zur Seite stehen radikalisierte Stichwortgeberinnen wie Gloria von Thurn und Taxis, die als angebliche „Stimme der Mehrheit“ gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, queere Menschen, Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten oder Abtreibung zu Felde zieht. Reichelt wird damit seinem ehemaligen Arbeitgeber mit seinen Reichweiten zwar nicht direkt gefährlich. Aber angesichts der Tatsache, dass Springer zuletzt seine eigene Fernsehmarke „Bild TV“ zusammengekürzt hat, sind die mehr als 330.000 Abonnentinnen und Abonnenten von Reichelts Krawall-Kanal nicht nichts.

Radikalisierung Reichelts wirft Schlaglicht auf Verlagschef Mathias Döpfner

Die Radikalisierung Reichelts wirft im Kontext der anderen Vorwürfe gegen Springer vor allem ein Schlaglicht auf seinen langjährigen Gönner, Verlagschef Mathias Döpfner, der sich erst nach Zögern seines prominentesten Mitarbeiters entledigte. In Benjamin Stuckrad-Barres neuem Roman „Noch wach?“, der in der vergangenen Woche mit großem medialen Pomp und eigenem Spiegel-Titel erschienen ist, erzählt ein namenloser Schriftsteller von einem ebenfalls namenlosen Boulevard-Medium und dessen Konzernchef, den der Schriftsteller immer wieder als „meinen Freund“ bezeichnet, und dessen Chefredakteur, dem Mitarbeiterinnen Belästigung und Machtmissbrauch vorwerfen.

80. Geburtstag Friede Springer Feierlichkeiten Axel-Springer-Haus  Berlin Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender
Springer-Verlagschef Mathias Döpfner spricht im August 2022 anlässlich von Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag von Friede Springer im Axel-Springer-Haus in Berlin (Archivbild). © IMAGO/Chris Emil Janssen

Auch wenn Stuckrad-Barre alleine schon aus rechtlichen Gründen beteuert, sein Buch sei eine Fiktion, so sind die Parallelen zu Springer natürlich so offensichtlich, dass man sich das flankierende Gerede um den heißen Brei herum eigentlich sparen könnte. Dabei geht es um mehr als eine mediale Schlammschlacht, der man mehr oder minder amüsiert zusieht. Stuckrad-Barres Buch erzählt vom Leid der Frauen, die diesem System aus Machtmissbrauch und generell menschlich-männlicher Hybris solcher Alphawölfe wie Reichelt ausgeliefert sind.

Stimmung im Springer-Verlag offenbar „nah an der Kernschmelze“

Und es geht im Falle Döpfners um einen Verlagsmanager, dem in der Branche durchaus Anerkennung zuteilgeworden war, weil er massiv auch auf dem amerikanischen Markt in die Digitalisierung von Journalismus investiert – und die Zukunftsfähigkeit von Demokratie auch viel damit zu hat, ob Medien der Sprung aus dem Papier-Zeitalter in die digitale Welt gelingt, indem sie Geschäftsmodelle schaffen. In den USA ist man da weiter als in Deutschland.

Doch der Branchen-Ruf Döpfners ist dahin, nicht nur, weil Stuckrad-Barre ihn pulverisiert. Das Handelsblatt berichtete diese Woche von Springer-Managerinnen und -Managern, die angesichts der Enthüllungen und der von der Zeit geleakten Chatnachrichten Döpfners über „Ossis“ und Menschen mit Migrationsgeschichte erschüttert seien – die Stimmung sei im Verlag „nah an der Kernschmelze“, lässt sich einer zitieren, der bei einer Führungskräftetagung in Washington in dieser Woche dabei sein sollte.

In die Vorbereitung der Führungskräftetagung platzt eine neue Enthüllung

In die Vorbereitung der Tagung platzte eine weitere Enthüllung, die Gesprächsstoff bietet: Der Stern berichtete über einen Millionen-Kredit, den Döpfner von Christian Olearius von der Warburg-Bank bekommen haben soll. Das Pikante: Als bekannt wurde, dass dessen Bank in illegale Cum-Ex-Geschäfte verwickelt ist, gab es ein Interview mit ihm in der Welt am Sonntag, die zu Springer gehört – und in dem sich der Banker wortreich rechtfertigen konnte. Bewiesen ist damit allerdings gar nichts. Gegenüber dem Stern streitet ein Sprecher des Springer-Konzerns die Vorwürfe der fehlenden journalistischen Unabhängigkeit ab.

Aber jeder schiefe Eindruck zahlt derzeit auf das Anti-Döpfner-Konto ein, nachdem dieser in den Chatnachrichten nicht nur offenbart hat, was seine Mutter über „Ossis“ denkt, sondern sich auch in die Berichterstattung zur FDP eingemischt hat. Eine solche Einmischung verstößt eigentlich gegen den Kodex im Verlagshaus. Offenbar war das aber nicht die einzige Grenzüberschreitung bei Springer. Dass der Verlag nun Reichelt verklagt, kann deshalb auch als Akt der Vorwärtsverteidigung interpretiert werden – um endlich wieder ins Handeln zu kommen und den Abstand zum „System Reichelt“ zu vergrößern.

Springer ist dafür offenbar gut munitioniert, nachdem der Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, Springer die Information gesteckt hat, dass Reichelt ihm und Chefredakteur Tomasz Kurianowicz vertrauliche Dokumente von Springer angeboten habe, die man abgelehnt habe. Da geht es also auch um die Frage, wie es Medienschaffende mit dem Quellenschutz und ihrem Selbstverständnis als Verlagschefs halten. Für die berufliche Perspektive Döpfners heißt das alles nichts: Als Anteilseigner und Quasi-Erbe von Friede Springer ist der Springer-Chef fest mit dem Verlagshaus verwachsen.

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