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Schreiben mit der KI: Bitte noch einen Glitch!

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Von: Lisa Berins

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Texte schreiben ohne selbst zu tippen - so ganz funktioniert das noch nicht.
Texte schreiben ohne selbst zu tippen - so ganz funktioniert das noch nicht. © IMAGO/YAY Images

Die Künstliche Intelligenz ist ein Urknall absurder Ideen und skurriler Fehler - das muss man einfach fürs Schreiben nutzen. Ein Werkstattbericht.

Es soll Menschen geben, denen die Worte zufliegen. Wenn sie, wie Truman Capote zum Beispiel, beim Schreiben im Bett liegen, oder wie Haruki Murakami nebenbei Jazz hören. J.K. Rowling hat kein Problem, Bestseller im Trubel eines Cafés zu fabrizieren. Einfach so, ohne sich abzuschotten, ohne größere Schwierigkeiten bei der Konzentration, fließen die Gedanken scheinbar direkt und unverkrampft zwischen zwei Buchdeckel. Das sind Ausnahmen. Denn Schreibende, egal ob Journalistinnen, Autoren, Schriftstellerinnen quälen sich, zumindest ein großer Teil von ihnen.

Einige schreiben in der Stille der Nacht, andere ganz früh am Morgen, halten strenge Routinen ein – oder nehmen bewusstseinserweiternde Drogen. Das Schreiben ist oft auch ein Warten; darauf, dass sich die Synapsen zur passenden Verbindung zusammenfügen. Schreiben ist harte Arbeit. Schreiben ist oft sehr einsam. Schreiben heißt: immer wieder umschreiben. Wie nur diesen Eindruck, das Gefühl, das Bild vor dem inneren Auge in Text, in Buchstaben übersetzen? Es ist ein Ringen um den Aufbau, das richtige Wort, den nächsten Satz, die beste Idee. Sie entscheidet darüber, ob der Text etwas wird oder nicht. Dieses Ringen ist essentiell.

Dachte man. Dann kam ChatGPT - und die Qualen hatten ein Ende. Echt? Ja. Leider. Beziehungsweise: nicht ganz.

Vor den Fenstern eines Seminarraumes hat sich eine graue Wolkensuppe zusammengebraut – das war’s mit dem schönen Frühlingstag. Den Teilnehmerinnen des Workshops ist es sowieso egal. Sie haben schon lange etwas Besseres gefunden, als aus dem Fenster zu schauen. Sie ko-laborieren mit der KI. Sie unterhalten sich mit ihr. Sie lassen sich kitschige Gedichte generieren und feministische Schlagertexte oder lassen eine berühmte Kindergeschichte für die Generation Z übersetzen – das Setting der Erzählung wandelt sich in eine Welt voller Insta-Posts und Emojis. Sie lachen über die KI, wenn sie etwas Dummes ausspuckt. Wenn sie sich in einem Loop verfängt. Dann verwerten sie diese Fehler, diese „Glitches“ – für ihre eigenen Texte.

Was hier passiert, in diesem kreativen Safe-Space der Kunsthochschule, das sind vielleicht die ersten Schritte hin zu einer Art Superkreativität, einer Verschmelzung von künstlicher und menschlicher Kreativität. Eine Teamarbeit unter menschlichem Kommando. Die Autorinnen – sie sind nicht mehr bloße Schreibende, sie sind zu Prompterinnen, Text-Regisseurinnen, Wort-Direktorinnen geworden.

Einige Stunden vorher ist die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Jenifer Becker für das Blockseminar „Kreativ Schreiben mit der KI“ angereist. Sie klappt den Laptop auf und sucht das kleine Buch mit Schreibaufgaben heraus, das sie beim Frühstück von der KI hat schreiben lassen. An der Hochschule für Gestaltung in Offenbach (HfG) soll sie den Studierenden zeigen, welches Potenzial die KI für die künstlerische Arbeit hat. Kleiner Spoiler an dieser Stelle: Es ist unfassbar groß. Vor Kurzem hat die HfG eigens ein „KI-Labor“ eingerichtet, es ist Teil eines Verbundprojekts mit anderen Hochschulen und wird hauptsächlich vom Bund gefördert. Künstliche Intelligenz – sie wird hier auch als Künstlerische Intelligenz verstanden.

Ein kleines Panorama der neuen Möglichkeiten: Auf der Seite „boredhumans.com“ kann man sich stundenlang damit beschäftigen, künstlich generierte Roboterfürze zu hören, sich mit „Celebrities“ oder „der Zukunft“ zu unterhalten, sich Tarotkarten legen zu lassen oder KI-generierte Krimigeschichten aufzulösen. Mit dem „Poem-Generator“ werden zu einem Stichwort in Sekundenschnelle Gedichte generiert. Und die GPT-Vorgängerversionen, die noch keine Chatfunktion besaßen, schreiben einen angefangenen Text fort: Skurrile Dinge kommen dabei heraus. Hochgeladene Bilder können in Text oder Prompts umgewandelt werden. Das sind alles keine fertigen, perfekten Kunst-Produkte, ganz im Gegenteil: Spielereien, absolut unfertige Fetzen aus dem KI-Kosmos, ein Urknall absurder, abstruser, wahnwitziger Vorschläge. Eine sprudelnde Quelle der Schreibideen: Schritt 1 zum eigenen Text.

Neu ist der Ansatz, mit Computerprogrammen Texte zu schreiben, übrigens keineswegs, erklärt Jenifer Becker. Schon 1959 hatte der Mathematiker Theo Lutz die Idee, Gedichte mithilfe von Algorithmen zu schreiben: Er wählte 16 Substantive, 16 Adjektive, vier Konjunktionen und vier Pronomen aus Franz Kafkas Roman „Das Schloss“ als Ausgangsmaterial aus. Die Kombination der Wörter ermöglichte über vier Millionen unterschiedlicher Sätze. In der Electronic Literature oder der Digitalen Literatur wurden später weitere technische Fortschritte genutzt. Mit dem Hypertext-Verfahren konnten die Lesenden die Richtung der Erzählung selbst bestimmen, eines der frühesten Beispiele ist das textbasierte Abenteuerspiel für Computer „Colossal Cave Adventure“ von Will Crowther aus dem Jahr 1976. Das Genre KI-Literatur, bei dem es um natürliche Sprachgenese durch neuronale Netzwerke geht, ist noch relativ neu. Für einen der ersten mit einer KI verfassten Roman „1 the Road“ fuhr der KI-Entwickler Ross Goodwin im März 2017 mit einem Auto von New York nach New Orleans, auf dem Dach waren eine Kamera und Sensoren angebracht, die mit einem Laptop verbunden waren. Eine KI wandelte die Eindrücke in geschriebene Sprache um – heraus kam ein experimenteller, literarischer Roadtrip.

Knapp sechs Jahre später braucht es für das Generieren von KI-Texten keine speziellen Programmier-Kenntnisse mehr: Jede und jeder kann heute eine Geschichte von ChatGPT schreiben lassen. Na ja, ganz so einfach ist es doch nicht. Zumindest nicht, wenn ein Text mit einem gewissen sprachlichen Niveau, inhaltlicher Kohärenz und einer bestimmten Länge herauskommen soll. Denn die KI sieht es nach wie vor mit der Logik der Erzählung nicht so eng, problematisch sind auch ihre seelenlose Sprache, das schemenhafte, hölzern wirkende Formulieren, die klischeehafte Dramaturgie mit einer Hauptfigur, die – amerikanischer Traum lässt grüßen – über sich hinauswächst: Happy End. Deshalb Schritt 2: das „Prompting“ und „Plotting“, wie es Jenifer Becker nennt. Also die präzise, konkrete Eingabe von Kommandos und das Dirigieren in die richtige Richtung. Wie soll der Text vom Stil her aussehen, welchen Drive, welches Ende soll er haben?

„Man kann zum Beispiel sagen: ,Schreib den letzten Absatz um. Ich möchte, dass meine Protagonistin zynischer ist‘“, erklärt Jenifer Becker. Je besser und konkreter der Prompt, desto brauchbarer der KI-generierte Text, desto weniger nachträgliche, menschliche Überarbeitung ist nötig, und desto schneller geht’s mit der Geschichte voran. Während ChatGPT einen Vorschlag nach dem anderen abspult, merkt man, wie ermüdend das sein kann: das ständige Abwägen und Entscheiden – ist das gut, wäre es anders besser? Vielleicht fühlt sich dieses „kollaborative Schreiben“ weniger einsam an – unbedingt weniger anstrengend ist es jedenfalls nicht.

Mittlerweile gibt es professionelle Programme, mit denen man mit der KI ganze Bücher schreiben kann: gemeinsames Brainstorming inklusive, und dann arbeitet die KI die Vorschläge direkt in den Text ein, formuliert ganze Absätze; Stil und Genre sind aus einem Menü wählbar. Auf Selfpublishing-Plattformen gibt es seit kurzem einen Markt für Bücher, die – mal kenntlich gemacht, mal nicht – mit der KI entstanden sind. „Amor Cringe“ von K Allado-McDowell ist zum Beispiel eine „halb traditionell geschriebene und halb KI-generierte Deepfake-Autofiktion“. KI-generierte Publikationen sind auch in der Ratgeberliteratur oder zum Beispiel in der Sparte „Gute-Nacht-Geschichten für Kinder“ zu finden.

Das sind keine Texte mit literarischem Gehalt. Die KI kann auf keinen Fall einen glaubwürdigen Text im Stil einer Literaturnobelpreisträgerin - sagen wir; Annie Ernaux - schreiben! Oder doch? Jenifer Becker legt zwei Textbeispiele vor, und es wird gespielt „Was ist menschlich, was ist KI?“. Die Seminarteilnehmerinnen sind sich uneins. Auch wenn die künstliche Ernaux gerade noch so erkannt wird: viel fehlt nicht mehr, um sie als „echt“ durchgehen zu lassen. Stellt man sich vor, dass man eine KI explizit mit Ernaux-Texten füttert und vielleicht den Filter etwas verändert – dann könnten sich Fans bald ihr eigenes Ernaux-Buch „on demand“ schreiben lassen. Mit einem Thema ihrer Wahl. Natürlich ist das ethisch nicht einwandfrei. Rechtlich gesehen ist der Bereich noch dunkelgrau.

Am Ende des Seminars sind hunderttausend Ideen greifbar, ein erster Textentwurf steht. Die Begeisterung über die neuen Möglichkeiten und das neue kreative Universum ist groß, die Zweifel flüstern kaum hörbar: Wie viel zählt eine menschliche Idee in der Zukunft noch? Gibt es überhaupt noch berufliche Hoffnung für Autoren und Autorinnen? Wann werden wir alle überflüssig? Moment – andersrum gefragt: Wie zeitgemäß ist das einsame Ringen um Ideen, wenn man sich schnell ein paar Vorschläge von der KI servieren lassen kann? Ist ein Text nur deshalb schlechter, weil jemand Teile „gepromptet“ und dann überarbeitet hat? Haben wir nicht alle schon mal Ideen aus dem Internet geklaut? Sollte man als Schriftsteller, Autorin, Journalist eine solche immense Quelle der Kreativität links liegen lassen – wäre das nicht geradezu fahrlässig? Wie viel produktiver, also noch produktiver, hätte zum Beispiel Goethe sein können, hätte er schon effektiv „prompten“ und „plotten“ können?

Spaß beiseite. Noch sitzt der Mensch am längeren Hebel, und er muss dort sitzen, um die Texte der KI zu überprüfen, zu überarbeiten, zu hinterfragen. Die Wahrheit ist noch Menschensache. Und so lange das so ist, lassen wir uns von dem inspirieren, was die KI am besten kann, also: Bitte noch einen Glitch!

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