Schröder und Putin: Eine Freundschaft aus der Sauna endet im politischen GAU

Ein grandioses Buch zeigt, wie der SPD-Kanzler die Bundesrepublik an russische Interessen auslieferte.
Frankfurt - Er hat uns alle getäuscht. Na so was. Ex-Kanzler Gerhard Schröder blieb trotzdem an seiner Seite, riskierte einen Parteiausschluss und sogar einen schlechten Ruf im eigenen Land. Das war ihm schnurzpiepegal, dem Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser hatte dafür gesorgt, dass Deutschland aus dem Dornröschenschlaf mit einer schallenden Ohrfeige aufwachte. Am 24. Februar 2022 überfielen seine Truppen die Ukraine. Die Folgen sind für das Land und die Menschen erschreckend. Aber auch in Deutschland wird nach und nach klar, dass die fetten Jahre nun vorbei sind. Die Abhängigkeit von der russischen fossilen Energie war zu groß. Gigantisch groß, meinen viele sogar.
Doch wie konnte es dazu kommen? Warum traute man einem Mann wie Putin über den Weg, der bereits etliche Kriege angezettelt hat und brutal führen ließ? Warum machte man sich immer abhängiger vom russischen Gas, obwohl Putin eine Stadt wie das syrische Aleppo in Grund und Boden bombardieren ließ und womöglich für Giftgasanschläge verantwortlich war?
„Moskau-Connection“ um Putin und Schröder - das Netz in Deutschland reicht weiter
Ein Mann steht im Zentrum des Buches „Die Moskau-Connection“ der beiden FAZ-Redakteure Reinhard Bingener und Markus Wehner: Gerhard Schröder. Aber es ist nicht allein der frühere SPD-Chef, der für die Ostpolitik der vergangenen 20 Jahre verantwortlich war, sondern auch Angela Merkel in ihrer Kanzlerschaft und mit ihr die CDU. Die beiden Autoren wollen zeigen, „dass ein einflussreiches Netzwerk an diesen Fehlern einen bedeutenden Anteil hatte, in dessen Mittelpunkt Gerhard Schröder steht“. Und für sie steht fest: „Sein Einfluss endete nicht mit seinem Auszug aus dem Kanzleramt im Jahr 2005.“ Schröder und sein Netz seien aber nicht allein für die Fehler der Energiepolitik verantwortlich zu machen. Vor allem auch die ostdeutschen CDU-Landesverbände hätten eine unrühmliche Rolle gespielt.
So wird die Zeit von 1998 bis 2022 in den Blick genommen, auf die Wahl Schröders zum Kanzler geschaut, die Vorgeschichte dazu erzählt: der Aufstieg Schröders. Dann geht es um Putin, seine Entwicklung und die seines Herrschaftssystems. Ein starkes Kapitel! Denn hier wird im Grunde genommen klar, was Putin antreibt. Viele seiner Drohungen und Aktionen finden Vorläufer in frühen Jahren des heutigen russischen Präsidenten. So etwa hat er den Einsatz taktischer Nuklearwaffen gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft stets zum Arsenal der Einschüchterung des Gegners als inbegriffen angesehen.
Nicht fehlen darf natürlich die Entspannungspolitik, also die spezifische SPD-Ostpolitik seit Willy Brandt. Die Autoren zeigen eindrücklich, wie sehr viele Sozialdemokraten in ihren heutigen Überzeugungen einem Mythos aufgesessen sind, der wenig mit der Realität zu tun hat.
Putin und Schröder in der Sauna: Ein Feuer begründet eine Männerfreundschaft
Putin und Schröder, dass es diese Freundschaft zwangsläufig geben musste, ist eher zu verneinen. Schröders Motto lautete ja: „Raus aus der Sauna“, weil sein Vorgänger Helmut Kohl so oft mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin, Putins Vorgänger also, in der Sauna gesessen hatte. „Putin passte diese Haltung Schröders nicht“, heißt es in dem Buch. Er tat alles, um Schröder für sich zu gewinnen.
Deutschland, die stärkste Wirtschaftsmacht der EU, war für ihn von Beginn an wichtig, nicht nur wegen seiner Zeit als Spion in der DDR. Der Anfang, Putins Besuch in Deutschland 2000, ist noch von gebremster Herzlichkeit. Doch Putin geht geschickt mit dem deutschen Kanzler um, er lädt ihn nach Russland ein, erinnert ihn an die Gemeinsamkeiten, die sie haben: Sport, beide studierten Jura, die schwierige Herkunft.
Als die Schröders 2001 zum orthodoxen Weihnachtsfest nach Moskau reisen, wird eine Männerfreundschaft begründet. „Putin und Schröder gehen noch - Kohl hin, Jelzin her - in die Sauna. Die fängt plötzlich Feuer, beide müssen aus ihr fliehen, die Feuerwehr rückt schon an. Schröder soll aber, was seinen Gastgeber beeindruckt, noch zuvor sein Bier ausgetrunken haben.“ Die Gespräche der beiden setzen sich bei Sauerkraut und Wodka bis tief in den Morgen fort. Schröder berichtet später, in dieser Nacht sei etwas entstanden, das weit über das Politische hinausgehe.
Deutschlands Russland-Politik als Nachkriegs-GAU - ein Schlüssel liegt in Hannover
Die Autoren sind überzeugt, dass die Russland-Politik der letzten Jahrzehnte - getragen von dem Motto „Wandel durch Verflechtung“ - und vor allem die Energiepolitik den größten politischen GAU der Nachkriegszeit darstelle. Doch um zu verstehen, wie alles so kommen konnte, muss man Hannover verstehen.
Hannover ist eine Stadt mit einem feinverästelten Netz der Sozialdemokraten. Lange hat die SPD dort am Stück regiert. Auch Schröder zieht es nach seinem Studium nach Hannover. Er stammt aus prekären Verhältnissen, sein Vater war vor dem Zweiten Weltkrieg wegen schweren Diebstahls verurteilt worden - und das gleich zweimal. Er fällt an der Ostfront, Schröder wird von der Mutter aufgezogen. Ihm stehen für seinen Aufstieg zwei Dinge zur Verfügung: Bildung und sein SPD-Parteibuch. Er macht das Maximale daraus.
Das Buch:
Reinhard Bingener/ Markus Wehner: Die Moskau-Connection. C.H. Beck, München 2023. 319 Seiten, 18 Euro.
Gerhard Schröders Aufstieg - ein Netzwerk entsteht
Schon in Göttingen lernt er das Handwerk des innerparteilichen Machterwerbs. „Von den quälenden marxistischen Theoriedebatten hält sich Schröder allerdings instinktsicher fern“, heißt es, er konzentriert sich auf sein persönliches Fortkommen. Tritt er zunächst als radikaler Juso auf, so wandelt er sich rasch, als er Chancen in der Bundespolitik sieht. Seine Weggenossen nehmen ihm das übel. In die Sowjetunion reist Schröder erstmals Mitte der 1970er Jahre. 1978 vertritt er die Jusos auf dem Großkongress der sowjetischen Staatsjugend im Großen Kremlpalast. Es folgen weitere Visiten in Moskau.
Schröders Aufstieg geht ungehindert weiter. Er wird Ministerpräsident in Niedersachsen. 1998 löst er Helmut Kohl als Bundeskanzler ab. Zuvor hat er die Niedersachsen-Wahl mit großem Erfolg für sich entschieden. Sein Nebenbuhler Oskar Lafontaine muss erkennen, dass Schröder nun die Nummer eins ist und ihm die Kanzlerkandidatur nicht mehr zu nehmen sein wird. Kurze Zeit später kommt es bekanntlich zum Bruch zwischen ihnen.
In Hannover entsteht derweil ein Netzwerk, das Schröder aufbaut und das ihn über Jahrzehnte begleiten wird. Schon für seine frühe Zeit erkennen die Autoren Schröders mangelnden Willen, politische und private Belange klar voneinander zu trennen. Zum engeren Kreis zählt etwa der AWD-Chef Carsten Maschmeyer, ein Mann, der als „Drückerkönig“ viel Geld gemacht hat. Ebenso wie Schröder stamme er aus schwierigen familiären Verhältnissen, heißt es im Buch. Maschmeyer unterstützt Schröder im Wahlkampf 1998, da er ihn im Vergleich zu Lafontaine als das kleinere Übel ansieht. Er lässt in niedersächsischen Zeitungen Anzeigen schalten, um Schröder bei der Landtagswahl zu unterstützen. 650.000 Mark soll die Kampagne gekostet haben.
Rürup und Anda - immer wieder Maschmeyer in Schröder „männerbündischem“ Dunstkreis
Maschmeyer spielt auch eine Rolle, als es um die Memoiren von Schröder geht, er sichert sich bereits 2005 die Rechte hierfür, zwei Millionen Euro inklusive Umsatzsteuer habe er dafür auf den Tisch gelegt. Der Historiker Gregor Schöllgen wird sie später schreiben. Auch Schröders Renten-Experte Bert Rürup habe mit Maschmeyer später Geschäfte gemacht, heißt es weiter. Genauso wie Béla Anda, der Regierungssprecher unter Schröder war und der nach dem Ende von Rot-Grün 2005 zu Maschmeyer wechselt. „Parallel schreibt Anda wohlwollende Kolumnen über Russland“, so die Autoren. In Schröders Netz gebe es eine auffällig hohe Zahl der Wechselbeziehungen, die finanziell unterlegt seien, „teils unter Verwendung von Steuergeldern“.
Schröders Netzwerk „trägt männerbündische Züge“, erklären die beiden Autoren. „Es besteht vorwiegend aus erfolgreichen und wohlhabenden Herren, die meist ungefähr im gleichen Alter wie Schröder sind, die oft einen steilen sozialen Aufstieg geschafft haben und über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein sowie hohe Konfliktbereitschaft verfügen. Weniger ausgeprägt sind Schamgefühle.“ Denn „Drückerkolonnen und Kontakte zu kriminellen Rockern gelten ebenso wenig als Zugangshindernis wie ausgeprägte Kontakte nach Iran, nach China oder eben nach Russland.“ Die Autoren schließen: „Man trinkt miteinander. Man hilft einander.“
Man hält auch Hannover die Treue. Die wesentlichen Interaktionen spielen sich demnach rund um den Stadtwald Eilenriede ab. Dort liegen die begehrten Wohnanlagen Hannovers. Auf Herrenabenden sei über Geschäfte und Karriereperspektiven gesprochen worden, heißt es. Neben Maschmeyer kommen Sigmar Gabriel, Peter Hartz, Michael Frenzel mit Schröder zusammen. Man knüpft bereits frühzeitig Kontakte in die Energiewirtschaft. Auch wichtige Chemiegewerkschafter hätten eine bedeutende Nähe zu Schröder gehabt. „Wesentliche Merkmale von Schröders Kumpanei mit Putin und seiner Tätigkeit für Gazprom“ seien bereits in Hannover angelegt worden. Ihn habe stets der Osten mehr als der Westen interessiert. Und auch sein Verhältnis zu autokratischen Politikmodellen sei unkritisch gewesen - was sein geringes Interesse an deren Opfern erkläre.
Böses Erwachen im Fall Putin - nun heißt es „er hat uns alle getäuscht“
Auch Frank-Walter Steinmeier zählt zu Schröders Netzwerk. Er wird ein enger Vertrauter und erledigt wichtige Aufgaben für ihn völlig geräuschlos. Steinmeier wird Kanzleramtsminister unter ihm. Später, trotz des immensen Widerstandes von Merkel, gelingt es ihm, Bundespräsident zu werden. Schröders Einfluss reicht bis 2017 in die schwarz-rote Koalition hinein. Doch dann weht der Wind aus einer anderen Richtung. Mit dem Außenminister Heiko Maas wird die Russland-Politik von kritischeren Tönen begleitet - was ihm innerhalb der SPD zum Vorwurf gemacht wird. Auch aus der CDU gibt es nun stärkere Kritik am Nord-Stream-2-Projekt.
Doch der alte Schröder-Kreis zeigt sich unbeirrt. Und das, obwohl Putin sich nicht nur für Giftanschläge auf frühere Geheimdienstmitarbeiter verantwortlich zeigt und zudem für einen immer stärkeren Demokratie-Abbau in Russland selbst sorgt. Er schürt Konflikte und lässt in Syrien auf extrem brutale Art und Weise militärisch eingreifen. Die Annexion der Krim und der zunächst mehr oder weniger vertuschte Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine bringen den Kreis und seinen Meister nicht zur Räson. Im Gegenteil. Schröder ist einer von Putins wichtigsten Männern in der Energiewirtschaft, Steinmeier und auch Gabriel werden nicht müde, ein Ende der Sanktionen gegen Russland zu fordern, die die EU nach dem Einfall in die Ukraine 2014 erhoben hatte. Das böse Erwachen folgte bekanntlich vor einem Jahr. Nun heißt es: „Er hat uns alle getäuscht.“
Das Buch von Reinhard Bingener und Markus Wehner ist ganz gewiss eines der besten, wenn es um die Hintergründe der jetzigen Energiekrise geht: Glänzend geschrieben und unglaublich spannend. Fest steht schon jetzt, dass dies nicht das letzte Buch zum Thema gewesen sein wird: zu zweifelhaft war die Rolle der Union, zu verstörend das Wegsehen von Angela Merkel.
Michael Hesse