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Robert Menasse über Angst: Im Hellen zu stehen und die Dunkelheit zu fürchten

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Von: Andrea Pollmeier

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Robert Menasse. © AFP

Robert Menasse spricht über eine neue „Epoche der Angst“ und wie eine Gesellschaft damit umgehen könnte.

Wer Robert Menasse als Gewinner des Deutschen Buchpreises 2017 erlebt hat (mit seinem Roman „Die Hauptstadt“), erinnert sich, wie gern der österreichische Autor und Essayist öffentliche Podien flieht. So geschah es auch dieses Mal am Ende, als er den Publikumsfragen auswich und von dannen eilte. Im Schauspiel Frankfurt hatte er mit seinem Vortrag zum Thema „Wo beginnt die Angst“ den Antisemitismus-Schwerpunkt der Spielzeit eröffnete und im Gespräch mit der Direktorin des Jüdischen Museum, Mirjam Wenzel, betont: „Angst, die sich in Wut entlädt, verhindert eine vernünftige Gestaltung des Zusammenlebens.“ Als Beispiele verwies er auf Hassreden, die das Internet fluten, und Wutbürger, die sich mit ihrer Angst an die Seite von Neonazis stellen.

Von seinem Wunsch, fliehen und sein Alterswerk beginnen zu können, spricht Menasse auch in seinem rhetorisch sorgsam entwickelten Vortrag über eine neue Epoche der Angst, die schon vor Ausbruch der Pandemie begann. Angst habe in dieser Zeit einen Funktions- und Bedeutungswandel erfahren, so die Hauptthese des Autors, und seine evolutionäre Sinnhaftigkeit verloren. Angst sei heute das, was allen Menschen gemeinsam sei und zudem mit Wut verbunden.

Der Frage „Wo beginnt die Angst?“ fügt Menasse die selbstgestellte Frage hinzu: „Was ist eigentlich Angst?“ Er antwortet mit einem Bild, das er inmitten einer Naturidylle (mit Mülltrennung) ansiedelt. Am Gartenrand beschreibt er die Situation eines Menschen, der aus Wut, eine Pflanze zu verlieren, an deren Wurzeln sich auf böhmischem Granitmassiv eine Kröte eingenistet hat, das angstvolle Tier mit einem Spaten niederschlägt. Das Bild der Kröte bleibt präsent. Der Gartenfreund geht seiner Wut nach und entdeckt im Nachhinein Sinn und Nutzen dieses Tieres, das zudem vom Aussterben bedroht und gesetzlich geschützt ist.

Der Garten an der Grenze zu Tschechien, der heute so heimelig wirkt, war einst Grenzregion. Wachtürme und Stacheldraht sind zwar inzwischen Geschichte, doch Vertreter der „neueren Geschichte“ forderten nun den Stacheldraht zurück, bedauert Manesse. Der Virus komme, so die Projektion, mit dem Auto über die Grenze.

Dumm sei keine Angst, aber krank machend, so Menasse, wenn man stets mit einer Angst lebe, die sich nie konkretisiere. Es sei ein Unterschied, ob man im Hellen stehe und vor der Dunkelheit Angst habe oder sich in der Dunkelheit befinde. Zudem gebe es heute nicht nur eine Angst, sondern Ängste vor einer Vielzahl unterschiedlicher Bedrohungen. Dieser Pluralismus der Angst sei der Schatten, den unsere pluralistische Gesellschaft heute werfe. Wütende Bürger und ihre niederschlagende Angst seien evolutionsgeschichtlich etwas Neues, zudem die kritische Masse, die eine Demokratie ins Wanken bringen könne. Populistische Politiker („es gibt kaum noch andere“) sehen diese als „die Menschen“ an, die es ernst zu nehmen gelte, richten ihre Politik nach ihnen aus, doch, so Menasse, werde die Angst jener, die vor den Wutbürgern Angst haben, von den Volksparteien nicht hinreichend berücksichtigt.

Katzen mögen keine Käfer

Menasses Vortrag endet mit einem Traum von der Idee, alles habe auch sein Gutes: Selbst der Käfer, der nicht wie gewünscht als Vogel geboren worden sei, habe das Glück, nicht zum Menuplan der Katze zu gehören, die ihn anstarrt.

Im Gespräch mit Mirjam Wenzel kritisiert Menasse, dass Glanzstücke unseres Denkens nicht mehr zu unserer Realität passen. So seien Begriffe wie „Nation“ und „Demokratie“ nicht stimmig, wenn es um die Realität multinationaler Konzerne gehe.

Die Wirklichkeit passe sich diesem Wandel nicht an. Die der EU angehörenden Staaten verweigerten bis heute den Transfer nationaler Rechte, so dass das Europäische Parlament bisher ein „Palast demokratischer Defizite“ sei. Auch in der Bevölkerung habe man nicht verstanden, was für die Demokratie wesentlich sei. Wer glaube, Demokratie schütze den Wohlstand, so Robert Menasse, habe nicht im Blick, dass Wohlstand auch in diktatorischen Staaten entwickelbar sei.

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