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Regionalismus in der Architektur: Wenn das Gute nahe liegt

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Von: Robert Kaltenbrunner

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Frankfurts Neue Altstadt. Foto: Renate Hoyer
Frankfurts Neue Altstadt. © Renate Hoyer

Ist der Regionalismus eine Antwort auf die allgegenwärtige Schuhschachtel-Architektur?

In einem Interview hat der französische Philosoph Tzvetan Todorov einmal formuliert: „Ohne es zu wollen und ohne es wirklich zu bemerken, sind wir eingebettet in eine ganz bestimmte, regional geprägte Kultur. Und die gibt uns die Raster vor, durch die wir die Welt sehen. Das ist so selbstverständlich, dass wir es leicht vergessen. Jede Veränderung unserer Kultur nehmen wir darum als Aggression wahr. Die Anwesenheit einer fremden Kultur bedroht uns zwar nicht wirklich. Aber anders als den schleichenden Niedergang der Wirtschaft nehmen wir sie intensiv wahr.“

Diese Wahrnehmung lässt sich sehr gut auf die Architektur übertragen. Hier ist seit Jahrzehnten eine aus dem Funktionalismus abgeleitete Analyse- und Planungstechnik wirksam. Sie ermöglichte und beförderte die Herausbildung unserer heutigen Siedlungsstruktur. Und einer ubiquitären Schuhschachtelarchitektur. Wenn das (der schmerzhafte!) Ausdruck eines zivilisatorischen Prozesses ist, dann muss man heute mit anderen Augen auf unsere bauliche Entwicklung blicken. Und laut nach einer grundlegenden Reform schreien. Liegt die Alternative vielleicht im Regionalismus?

Grob vereinfacht gesagt steht dieser Begriff für eine „architektonische Sprache“, die die jeweiligen traditionellen Elemente zu abstrahieren und reduzieren sucht, sie aber doch wiedererkennbar belässt. Des Regionalismus meistzitiertes Beispiel dürfte die „Tessiner Schule“ um Mario Botta, Fabio Reinhart und Luigi Snozzi darstellen, die in den 1970er Jahren in der italienischen Schweiz „ortstypische“, aber dezidiert moderne Bauten schuf, welche Assoziationen zu dieser Berglandschaft auch in typologischer Hinsicht hervorrufen (wollen). Daran knüpfte auch in Graubünden, in Vorarlberg sowie in Südtirol eine schulbildende Auseinandersetzung an, die offenbarte, dass Regionalismus viel innovatives Potenzial besitzt.

Erste intellektuelle Impulse freilich hatte das Thema bereits in den 1930er Jahren durch John Crowe Ransom erfahren. Regional war für ihn der Gegensatz zu „Progressivität, Industrialisie-rung, zu freiem Markt, Internationalismus, zu Eklektizismus, liberaler Erziehung, zur Weltvereinigung oder einfach zur Entwurzelung“. Von dieser Warte wird die Region nun zu einer Figur der Randständigkeit, des Gegensatzes und der Opposition. Womit der Begriff plötzlich eine tendenziell utopistische Konnotation erfährt.

Just da setzt auch der renommierte Architekturtheoretiker Kenneth Frampton an, der sich in diesem Gebiet die Deutungshoheit erobert hat: Region in seinem Verständnis ist eine Art suggestives „Vorstellungsfeld“, das in einer anderen Welt als der unsrigen liegt. „Die Kraft der provinziellen Kultur beruht auf ihrer Fähigkeit, das künstlerische Potenzial der Umgebung aufzunehmen und zugleich Einflüsse von außen zu verarbeiten.“ Es ist der Versuch, im Zeitalter von Utilitarismus und Arbeitsteilung einen Ort zu entwerfen – eine „Region“ –, in der die Architektur eine Erfahrung spiritueller Einheit ist, in der die Gesamtheit einer Gemeinschaft wiederhergestellt und die mechanischen Stereotypen der Moderne überwunden werden.

Das ist vielleicht sympathisch, aber nur bedingt realistisch. Und man schwebt in der latenten Gefahr, bloß nostalgische Assoziationen zu bedienen. Andererseits leuchtet es ja durchaus ein, sich mit den Möglichkeiten der Architektur stärker als bisher auf regionale und lokale Charakteristika zu besinnen, ohne sich den neuen Rahmensetzungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu verschließen. Im gleichen Maße, wie die Globalisierung eine stärkere Nivellierung der Lebensumstände provoziert, scheint – komplementär dazu – das Bedürfnis nach je eigenen Kulturen und Traditionen zu wachsen.

Selbst in der drängenden Ökonomie der Zeit schwingt – in einer Art gegenläufigem Pendelschwung – die Ahnung davon mit, dass die Beständigkeit der gewohnten Räume um die Menschen herum das Aushalten von sozialen und anderen Veränderungen abfedert, wenn nicht gar ermöglicht. Wenn die Zeitachse aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keine sichere Orientierung mehr bietet, sucht man den Fortschritt im Bewahren.

Zumal ja Architektur, wie es der amerikanische Theoretiker Karsten Harries formuliert, „nicht nur um den domestizierenden Raum herum ist. Sie ist auch eine große Schutzmaßnahme gegen den Terror der Zeit.“ In diesem Zusammenhang ist es nur scheinbar paradox, dass etwa die 1970er Jahre als hohe Zeit des Bauwirtschaftsfunktionalismus, zugleich aber als Dekade der Denkmalpflege gelten. Dem liegt vielmehr eine gewisse Logik zugrunde. Nachdem Alexander Mitscherlich sehr folgenreich die „Unwirtlichkeit der Städte“ konstatiert hatte, kam den Denkmalen eine neue gesellschaftliche Bedeutung zu: Sie wurden gleichsam zu Trägern emanzipatorischer Postulate gegen ebendiese Unwirtlichkeit. Bürgerbewegungen setzten sich erfolgreich gegen Abbruch und Auskernung von Altbauten zur Wehr und bekämpften den fort-schreitenden „autogerechten“ Kahlschlag der Innenstädte. Gründerzeit und Historismus wurden wiederentdeckt, ihre Wohnbauten neu geschätzt.

Dass diese Art des Rückbezug nichts per se Schlechtes ist, sollte klar sein. Modern, so Cornelius Gurlitt, „modern ist der Individualismus. Man wird auf der Grundlage, dass man bloß sich für modern, die andern aber entweder für altmodisch oder irregeleitet erklärt, zu der gewünschten Volkskunst nicht kommen. Die Altertümelei ist doch auch etwas noch nie oder doch nur selten Dagewesenes; jene, die wir betreiben, die wissenschaftlich alles umfassende, ist nur unserer Zeit eigen. Das Nachahmen des Alten ist also sicher eine ganz moderne Tätigkeit.“

Nicht frei von Ironie verteidigte der Kritiker und Publizist Gurlitt schon vor gut hundert Jahren die Nachahmung des „Alten“ und bezeichnete es – wenn schon nicht als innovativ – doch als modern. Und Bruno Taut, eines unkritischen Historismus sicherlich unverdächtig, notierte 1905 in seinem Tagebuch: „Wir Architekten gehen zur Tradition zurück. Weil wir einsehen, welche Geschmacklosigkeit durch das Opfern der guten alten Sitte im Bauen eingerissen ist.“ Seine Konsequenz lautete: „Darum wollen wir wieder an das gute Alte anknüpfen und daraus gutes Neues machen.“

Daraus darf man folgern, dass die Auseinandersetzung mit den lokalen Gegebenheiten durchaus einen architektonischen Selbstfindungsprozess manifestiert. Mit Retro-Architektur hat das nichts zu tun. Es geht eben nicht darum, ganze Quartiere mit halbverstandenen, billig imitierter Formen aus der Rumpelkammer aller erdenklichen Lokalstile zu maskieren (wie es bei der neuen Frankfurter Altstadt der Fall ist), sondern um eine eigenständige Typologie an Lösungen (wie sie etwa seit einigen Jahren in der Oberpfalz gebaut werden). Genauso wenig darf man sich nur auf Neubauten kaprizieren, sondern sollte sich damit auseinandersetzen, wie man in einer kleinteilig zersiedelten Landschaft die Strukturprobleme der Dorfkerne lösen kann. Nur so lässt sich das innovative Potenzial des Regionalismus tatsächlich herauskitzeln.

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