Psychologin über Esoterik: „Magisches Denken kann Weg in radikalere Welten ebnen“

Psychologin und Buchautorin Pia Lamberty spricht darüber, wie verbreitet Esoterik in der Gesellschaft ist und wie gefährlich sie für die Demokratie werden kann.
Frau Lamberty, was stand heute in Ihrem Horoskop?
Wahrscheinlich, dass ich bald reich und der glücklichste Mensch auf Erden sein werde.
Nach „Fake Facts“ haben Sie im vergangenen Herbst ein Buch mit dem Titel „Gefährlicher Glaube - Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ herausgebracht. Wenn man Sie so hört, scheint es, als wäre doch alles gar nicht so dramatisch, sondern eher amüsant?
Esoterik und Aberglaube sind stark in der Gesellschaft verankert. Selbst, wenn man sich für rational hält, klopft man vielleicht auf Holz, um sich das Beste zu wünschen. Viele Menschen haben ihre Glücksbringer, und das ist per se nichts Schlechtes. Spirituelle Dinge können Menschen in bestimmten Phasen Halt geben, gerade in Trauerphasen oder Krisen. Das Perfide ist, dass das, was in einem Moment harmlos aussieht, unter anderen Umständen gefährlich werden kann. Wenn ich in einer schwierigen Lebenssituation bin, und dann kommt jemand mit einem Heilsversprechen, das vielleicht noch modern verpackt ist, kann ich leicht in die Falle tappen.
Was ist diese „Falle“, worin liegt die Gefahr?
Um es kurz zu sagen: darin, dass man Quatsch glaubt und daraus Schäden entstehen – auf gesundheitlicher Ebene zum Beispiel. Wenn man mit schweren oder chronischen Erkrankungen bei Menschen Hilfe sucht, die medizinische Evidenz ablehnen, die keine valide Ausbildung haben, kann das fatale Auswirkungen haben. Es ist nachvollziehbar, wenn man mit einer Krebserkrankung nach Alternativen sucht, die erstmal harmloser erscheinen als eine Chemotherapie. Aber wenn man durch das Alternativangebot die medizinische Behandlung verweigert, wird das schnell gefährlich. Im Namen der sogenannten Alternativmedizin wird mit Bleichmitteln, ätzenden Salben und Tinkturen behandelt. Wir haben furchtbare Beispiele gesehen, wo Menschen eine kleine Hautveränderung oder einen Pickel hatten und dann eine „MMS“-Tinktur, ein vermeintliches Wundermittel, aufgetragen haben. Das Ätzloch war für sie der Behandlungserfolg! Solche Zusammensetzungen werden auch oral verabreicht und auch Haustieren oder sogar Kindern gegeben, die sich nicht dagegen entscheiden oder wehren können.
Ein Begriff, der in Ihrem Buch immer wieder vorkommt, ist das „magische Denken“, das scheinbar eine Voraussetzung dafür ist, dass Menschen an unerklärliche Wirkkräfte und generell an esoterische Ideen glauben. Was verstehen Sie darunter?
Magisches Denken ist die Tendenz, dass Menschen Zusammenhänge sehen, wo keine sind. Es ist ein Versuch, sich die Welt zu erklären. Das kann bei Kindern der Glaube an den Weihnachtsmann sein oder, dass sie glauben, dass es schlechtes Wetter gibt, wenn der Teller nicht aufgegessen wird. Je älter wir werden, desto weniger spielt magisches Denken eine Rolle – verschwindet aber selten komplett. In Extremformen kann es auch Teil von psychischen Erkrankungen sein.
Sie schreiben, dass Esoterik, abgesehen davon, dass sie für Individuen potenziell gefährlich ist, auch zu einer Bedrohung für die Gesellschaft werden kann. Wie das?
Es gibt in der Esoterik Verquickungen mit Verschwörungserzählungen und mit Rechtsextremismus. Das ist nicht in allen esoterischen Strömungen so, aber diese Verbindungen sind schnell da. Die kostenlose Zeitschrift im Biosupermarkt bewirbt beispielsweise die rechtsesoterische „Anastasia“-Bewegung, und dann haben Menschen auf einmal Kontakt mit anderen Spielarten von Rechtsextremismus, denen sie sonst nicht begegnet wären. Oder sie vertrauen der „Germanischen Neuen Medizin“ des selbsternannten Pseudo-Krebsheilers Ryke Geerd Hamer, der Menschenleben auf dem Gewissen hatte und antisemitische Positionen vertrat. Insgesamt ist schon die Grundidee, dass man geheimes Wissen besitzt, im Kern antidemokratisch, weil eine Demokratie ja genau das Gegenteil erreichen will: Transparenz über Entscheidungen, Möglichkeiten der Mitbestimmung. Und sicher nicht, dass nur einige Auserwählte in der Lage sind, die Geschicke der Welt zu lenken – wie wir es bei den sogenannten Reichsbürgern zum Beispiel sehen. Bei der Gruppe, bei der im Dezember die Razzia durchgeführt wurde, spielte Esoterik eine Rolle. Es gab Beratungen durch vermeintliche „Seher“, oder es wurde an einen Bund von Außerirdischen geglaubt.
Spiritualität und Esoterik schienen - zumindest in meiner Wahrnehmung - lange eher eine Sache von hippiesken oder ökologischen Szenen zu sein. Während der Pandemie haben wir verblüfft auf die Querdenkerszene geschaut. Was ist das verbindende Element zwischen Esoterik und Verschwörungsglaube bzw. rechtem Gedankengut?
Das war immer schon miteinander verschränkt. Für mich war das überhaupt keine Überraschung. Bevor Katharina Nocun und ich an dem Buch „Fake Facts“ gearbeitet haben, hatte ich mich schon länger mit esoterischen Szenen beschäftigt. Da gibt es sehr große Schnittmengen zu Verschwörungserzählungen, zum Beispiel beim Thema Impfverweigerung. An Waldorfschulen, die sich auf die Anthroposophie von Rudolf Steiner beziehen, gab es schon vor der Pandemie wiederholt Masernausbrüche, wenn dort die Zahl der Ungeimpften sehr hoch war. Sobald es um eine vermeintlich starke Naturverbundenheit geht, um magisches Denken, um Geheimwissen, sind die Überlappungen zu Verschwörungserzählungen groß, und das kann dann auch den Weg in radikalere Welten ebnen.
Wo liegen diese Anknüpfungspunkte an die rechte Gedankenwelt denn genau, was sind die Wegbereiter in die rechte Szene?
Die deutsche Esoterik hatte ihren Startpunkt mit Helena Blavatsky; sie hat die Theosophie und das Konzept der Wurzelrassen begründet. Davon abgespalten haben sich dann die Ariosophie und die Anthroposophie, die Rudolf Steiner noch mal christlicher interpretieren wollte. Esoterik ist immer ein Patchwork aus allen möglichen Religionen. Auffallend sind heute auch antimodernistische und antifeministische Haltungen. Da gibt es dann oft die Überzeugung, dass die Natur das Gute, die Technik das Böse ist, oder es gibt eine Sehnsucht nach dem Früher, und die moderne Welt wird als belastend, als künstlich verstanden. In Extremvarianten geht es so weit, dass Russland romantisiert wird, das Ursprüngliche, Naturverbundene, der starke Führer verehrt wird. Das geht auch mit einem dichotomen Geschlechterverständnis einher: Das Weibliche ist das Spirituelle, das Emotionale, Erdverbundene. Der Mann ist die Ratio, der Stratege. Es gibt Kurse extra für Frauen, die Frauen empowern sollen, in denen aber Geschlechterklischees zementiert und gefeiert werden. Und wenn man das nicht gut reflektiert, sieht man das vielleicht zuerst nicht. Dann erkennt man vielleicht auch nicht, dass dieses nette Hofprojekt, zu dem man geht, rechtsextreme Siedler sind, die ganz andere Pläne haben.
Das Buch
Pia Lamberty, Katharina Nocun: Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik. Quadriga, Köln 2022. 303 S., 22 Euro.
Eine These im Buch ist, dass Esoterik auch deshalb toxisch für die Demokratie sein kann, weil Individuen sich dadurch entpolitisieren. Was meinen Sie damit?
Es geht bei diversen spirituellen oder esoterischen Lifestyle-Angeboten hauptsächlich um die eigene Person, um Selbstoptimierung, aber nicht darum, wie man eine gute, lebenswerte Gesellschaft und demokratische Prozesse gestalten kann, oder wie man Parteien gründet. Dieser dauerhafte Rückzug ins Private ist apolitisch. Und das politische Desinteresse ist wiederum Einfallstor für schwierige Positionen, die die Demokratie gefährden.
Der Glaube an ein Karma - dass man Gutes tut und dafür Gutes zurückbekommt –, kann der nicht vielleicht positiv sein für die Umwelt und die Gesellschaft?
Auf der einen Seite ja, aber umgekehrt kann das Konzept des Karma auch bedeuten: Wenn mir etwas Schlechtes passiert, bin ich selber schuld. Diese karmisch begründete Schuldumkehr ist etwas, das wir sehr häufig sehen. In einigen zweifelhaften Ansätzen heißt es zum Beispiel: Wenn man von Hochwasser betroffen ist, ist man selbst schuld, weil man seine weiblichen Energien unterdrückt hat. Die stauen sich angeblich an – und mit ihnen das Wasser. Die Menschen im Ahrtal waren demnach also selbst für die Überschwemmung verantwortlich. Wenn man daran glaubt, fragt man sich auf der anderen Seite auch: Warum sollte man den Flutopfern überhaupt helfen? Auch die Schoah wird in antisemitischen, esoterischen Kreisen mit einer eigenen Schuld der Jüdinnen und Juden erklärt. Oder eine Erkrankung wird als gerechtfertigte Strafe gesehen, und das Fehlschlagen einer Behandlung dann ebenfalls auf die betroffene Person selbst geschoben. Natürlich liegt es in den Augen der Behandelnden nicht an dem „alternativen“ Verfahren selbst.
Sie beschreiben, wie Sie das Sortiment im Biosupermarkt nach esoterischen Produkten durchforsten - und in erschreckendem Ausmaß fündig werden. Wo begegnen uns diese Produkte sonst noch?
Wir laufen über einen Markt, und an einem Stand werden Edelsteine angeboten – gegen Krebs, ADHS oder andere Krankheiten. In der Apotheke kaufen wir homöopathische Mittel. Man könnte jetzt sagen: Das ist ja nur Zucker, halb so wild. Aber von der Grundidee her geht es hier um magisches Denken, und damit einhergeht eine wissenschaftsablehnende Haltung. Im Biosupermarkt wird angeblich mit Energien aufgeladenes, „belebtes“ Wasser verkauft. In den Regalen liegen Produkte aus biodynamischem Anbau. Auch da kann man sagen: Ob jetzt ein Kuhhorn mit Kacke drin im Feld vergraben wird oder nicht – erst mal ist ja der umweltfreundlichere Ansatz von Landwirtschaft gut. Aber wenn dann Tiere mit Homöopathie, also mit Zuckerkügelchen, behandelt werden, dann ist das schon schwierig und kann Tierleid erzeugen. Das Problematische ist, dass diese Ansätze mittlerweile so weit verbreitet und in der Gesellschaft akzeptiert sind, dass es schwierig ist, sich ihnen zu entziehen, selbst wenn man möchte. Viele Menschen wissen übrigens oft auch gar nicht, was hinter solchen Dingen wie Homöopathie oder Biodynamik steckt.
Hilft es, diese esoterischen Produkte zu boykottieren, oder wie sollte man Ihrer Meinung nach damit umgehen?
Man kann natürlich mitteilen, dass man das nicht gut findet. Vor einigen Jahren gab es die „Barcode-Verschwörung“ – da wurden Barcodes auf Produkten aufgrund ihrer angeblichen gesundheitsschädlichen Strahlung durch einen Querstrich oder ähnliches „entstört“. Mit der Zeit gab es großen öffentlichen Druck, und einige Firmen haben daraufhin die „Entstörung“ wieder zurückgenommen.

Jetzt würden viele von sich behaupten, dass sie für solche Dinge ja gar nicht empfänglich sind, dass sie sie durchschauen, nicht drauf reinfallen. In Ihrem Buch beweisen Sie aber, dass sich da niemand ausnehmen kann. Wie werden wir „kassiert“?
Mir ist es wichtig, bei so einem Thema nicht von oben drauf zu schauen und zu sagen: Guck mal, wie doof die sind. Wir haben alle Momente, in denen wir auf Quatsch reinfallen können oder uns vielleicht etwas Magie im Leben wünschen. Dann ist es vielleicht nicht das Horoskop oder der Edelstein, sondern dieser Psychologietest, bei dem man meint: Ach, dieser Typus bin ich, auf jeden Fall! In der Psychologie gibt es den Barnum-Effekt, der das genau beschreibt: Wir glauben an bestimmte Dinge, weil sie unsere positiven Erwartungen befriedigen. Die Aussagen sind so vage gehalten, dass man sich ohne große Probleme darin wiedererkennen kann und dann alles ausblendet, was nicht passt. So funktioniert ja auch das Horoskop. Mittlerweile gibt es außerdem viele Coaching- und Persönlichkeitsangebote, die mit diesem Effekt arbeiten und die im Grunde nicht valider sind als ein Horoskop.
Sind wir in Krisenzeiten wie diesen, während der Pandemie, dem Ausbruch eines Kriegs, der Zuspitzung der Klimakrise, besonders anfällig?
Definitiv. Gerade in den krisenhaften Momenten sieht man einen Ansprung an esoterischen Angeboten, die Nachfrage nach Wunderheiler:innen und Wahrsager:innen steigt. Die Menschen in der Pandemie-Zeit sind einsam, und Gruppen im Internet bieten Gemeinschaft an. Außerdem werden in Krisen oft Sündenböcke gesucht, was Verschwörungserzählungen begünstigt. Ich denke, wir müssen uns darauf einstellen, dass es in Zukunft mehr esoterische, mehr potenziell gefährliche Angebote geben wird. Was übrigens auch mit einer Unterversorgung an Psychotherapie zu tun hat, zu der die Menschen in persönlichen Krisensituationen eher gehen sollten.
(Interview: Lisa Berins)