Palmer-Auftritt an der Uni Frankfurt: Von sich reden machen

Die Ausrichterin der „Migrationskonferenz“ Susanne Schröter ist eine Profiteurin des Rummels um Palmers Phrasen. Von Anna Yeliz Schentke
Am Abend nach der vieldiskutierten sogenannten „Migrationskonferenz“ an der Goethe-Universität trendet auf Twitter „N-Wort“. Die Veranstalterin Susanne Schröter, die schon im Vorfeld sowohl von anderen Wissenschaftler:innen als auch von der Studierendenschaft scharf für ihre einseitige und in Teilen unwissenschaftliche Zusammenstellung der Redner:innen kritisiert worden war, profitiert von dem Rummel um Boris Palmers Äußerungen.
Bei dem Vorgehen Schröters handelt es sich vermutlich um eine Strategie, die vor allem aus dem Spektrum neurechter Akteur:innen bekannt ist und vorher hätte erkannt werden müssen. In diesem Fall von der Universitätsleitung, die auf die vorherigen Warnungen vor populistischen Tendenzen der in der Öffentlichkeit viel diskutierten Konferenzen Schröters nicht reagiert und diese in der Vergangenheit sogar verteidigt hat. Gerechtfertigt wird diese Haltung von Verantwortlichen meist mit der inflationär platzierten Warnung vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit. Im Fall Schröters ist es die Wissenschaftsfreiheit, die hier als Argument und Instrument verstanden werden kann, um Kritik zu diskreditieren.
Eine gefährliche Entwicklung, denn nicht nur die Grenzen des „Sagbaren“ scheinen sich in den letzten Jahren massiv verschoben zu haben, auch Wissenschaftlichkeit wird zu einem dehnbaren Begriff, wenn es in erster Linie um die Erzeugung von Aufmerksamkeit zu gehen scheint, um das Generieren von Schlagzeilen. Denn als nichts anderes wurde die Konferenz beworben – als eine wissenschaftliche.
Warum dann also Boris Palmer einladen, der nicht für wissenschaftliche Arbeit, sondern vielmehr aufgrund seiner rassistischen Aussagen bekannt ist? Vielleicht weil er auch einer derjenigen ist, die ihre Meinungsfreiheit bedroht sehen? Der, wenn es darauf ankommt, mal so richtig austeilt? „Es gibt keine schlechte Presse“ gilt jetzt wohl auch für Wissenschaftler:innen – denn was passiert ist, war nicht überraschend, es könnte vielmehr als ein Vorhaben bezeichnet werden, das sich auch auf Twitter und Instagram finden lässt, auf Tiktok. Ein Vorhaben, das „Von-sich-reden-Machen“ heißt, egal um welchen Preis.
Hier geht es um einen Kampf um Aufmerksamkeit, und wir werden Zeug:innen von den kommenden Talk-Show-Auftritten, Interviews und Schlagzeilen werden, in denen in diesem Fall Susanne Schröter beteuern wird, dass sie völlig unwissend war, ein Opfer des fürchterlichen Boris Palmer, der ihre Konferenz diskreditiert hat. Eine Konferenz, von der nun ganz Deutschland weiß.
Eine Konferenz, zu der Palmer wohl nicht nur eingeladen wurde, damit er von Zuständen von Migration von „on the ground“ berichten kann, sondern vielleicht auch, weil Palmers Anwesenheit die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Skandal kommen könnte, vielfach potenziert. Nun hagelt es Postings und Stellungnahmen, die sich abgrenzen von dem „bösen Rassisten“, das hätte man ja nicht erwartet, eine Schande für die Goethe-Universität.
Der viel größere Skandal war aber schon vor der Konferenz da: In Kauf zu nehmen, dass menschenverachtende, undemokratische Äußerungen normalisiert werden, indem sie zu einem Instrument verkommen, um Reichweite zu generieren. Das Gesagte ist gesagt.
Um jene Strategien um die Aufmerksamkeit aber im Vorhinein erkennen zu können, muss nicht nur die Sprache, sondern auch der Kontext, das Performative am Sprechakt beachtet werden. Sprache zu sezieren, heißt auch ihr Umfeld in den Blick zu nehmen. Schröter entschied sich in diesem Fall, den Äußerungen Palmers ein Podium zu geben, indem Sie nach Palmers rassistischen und antisemitischen Aussagen, die außerhalb des Veranstaltungsraumes stattfanden, als „Zwischenfall“ bezeichnet, den sie gerne besprechen würde. Nun standen die beiden auf der Bühne, Schröter begründet: „Weil das so eine Denunziationsspirale wieder nach oben zieht“, solle er nun die Möglichkeit haben, sich zu dem Vorfall zu äußern. Will sie damit sagen, dass Boris Palmer denunziert wird? Von Studierenden, die ihn kritisieren? Ist das nicht genau jene Täter-Opfer-Umkehr, die Palmer auf niederträchtigste Weise angewandt hat als er auf die Kritik der Studierenden, das N-Wort zu benutzen, gesagt hat: „Das ist nichts anderes als der Judenstern“?
Zur Person
Anna Yeliz Schentke, 1990 in Frankfurt geboren, hat an der Goethe-Universität Literaturwissenschaften studiert. Ihr Debütroman „Kangal“, bei S. Fischer herausgekommen, stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022. Schentke erzählt stimmenreich von der Situation junger Menschen in der Türkei und Deutschland in der Zeit um den Putschversuch 2016 herum.
Zur „Woche der Meinungsfreiheit“ und zum hessischen „Tag für die Literatur“ am 7. Mai stellt Schentke „Kangal“ in der Frankfurter Buchhandlung Andere Seiten vor, 17 Uhr. Foto: dpa
Schröters Argument ist weiterhin das der Transparenz, lächelnd verkündet sie, dass „hier“ - gemeint ist die eigene Konferenz - alles auf den Tisch“ gelegt werde. Was als Abgrenzung verstanden werden kann – denn „dort“ in anderen Räumen, die hier nicht näher spezifiziert werden, würden Dinge verschwiegen? Nach Boris Palmers entsetzlichen Äußerungen kommen auch zwei Studierende zu Wort, die vorher mehrfach von Publikumszwischenrufern als Gesprächspartner:innen diskreditiert wurden, da sie nur „zwischenbrüllen“ würden.
Eine dann zu Wort kommende Studentin, die ihren Redebeitrag damit einleitet zu sagen „Sie können gleich zum Thema zurück, das ist gar kein Problem“ wird aus dem Publikum mit Zwischenrufen unterbrochen: „Maske ab!“ ertönt es. Wildes Geklatsche. Man hört „Wir diskutieren nicht mit dir“, „Tschüss“, während Frau Schröter zaghaft mit ihren Händen versucht Beruhigung zu signalisieren, ohne die Studentin, die von ihr eingeladen wird hereinzukommen und ihre Meinung zu sagen, in irgendeiner Weise in Schutz zu nehmen. Würde man das nicht von einer Universitätsprofessorin erwarten, die einen offenen Diskurs ernstnimmt? Wenn allerdings die Rahmenbedingungen dafür nicht gewährleistet werden können, pöbelnde und grölende erwachsene Menschen nicht eines Saales verwiesen werden, weil sie es nicht schaffen, zwei Minuten einer Studentin zuzuhören, dann wäre es vielleicht besser gewesen, die ganze Veranstaltung vorher abzubrechen.
Der eigentliche Moderator des Panels mit Boris Palmer erklärt kurz darauf, dass er mit Herrn Palmer nichts mehr zu tun haben möchte und seine Moderation niederlege. Er bedauert außerdem, dass Palmer mit seinem Auftritt „die vielen kritischen Debattenbeiträge“ zerstört habe. Mit Buh-Rufen wird er aus dem Raum verabschiedet. Schröter reagiert darauf, dass es wirklich schade sei, dass diese Sache nun so „nach vorne geschoben“ worden sei. War nicht sie diejenige, die auf einer Konferenz über Migration nun Palmer eine Bühne gibt, um den Sinn und Unsinn der Verwendung des N-Wortes zu besprechen? Hat sie es nicht „nach vorne geschoben“? Eine Bühne geboten? Den Raum geschaffen?
Palmer ist noch immer nicht bereit, seinen Vortrag zu halten, sondern geht wieder auf die Situation ein, entschuldigt sich auch bei Frau Schröter, denn es sei nicht seine Absicht gewesen, die Tagung zu diskreditieren. Schröter reagiert versöhnlich mit „alles gut, alles gut, ich glaube das haben wir jetzt abgehakt“, wird aber einige Stunden später auf Twitter verlautbaren, dass sie sich nachdrücklich von Boris Palmers Äußerungen distanziere, dass die Tagung durch ihn schwer beschädigt worden sei.
Einen Tag später schreibt sie: „Das Beschimpfen von Konferenzteilnehmern als ,Nazis‘ ist genauso zu verurteilen wie das Verhalten Boris Palmers. Dazu lese ich hier allerdings nichts, was tief blicken lässt.“ Tief blicken, im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich in Bezug auf Schröters kommunikative Strategie, lässt, dass vorher geäußerte Kritik an der Einladung Palmers, etwa im Senatsumfeld der Universität, oder durch schon erwähnte offene Briefe sowie durch eine Gegenkonferenz des AStA der Universität mit dem Titel „Migration entkriminalisieren, Pluralität leben“, in diesem Kontext nicht angesprochen werden.
Das eigene Insistieren auf einen freien Diskursraum wird vor allem dadurch zu einer Phrase, dass die Veranstalterin ein Bild zu konstruieren scheint, in dem „Andersdenkende“, in diesem Fall die Studierenden, „denunziatorisch“ seien. So macht es den Anschein, als ob die Studierenden eine homogene Masse seien, ein wildes, unzivilisiertes Gegenüber, das nicht in der Lage sei, Argumente vorzubringen. Schon dadurch, dass Palmer die Möglichkeit gegeben wird, von dem Vorfall „draußen“ im Konferenzraum zu sprechen, mit Mikrofon und als denunziertes Opfer eingeleitet, wird ein „Wir“ konstruiert, das sich auch räumlich gegen „die da draußen“ positioniert. Ein gefährliches „Wir“, das sich auch im Manifest des unter anderem von Schröter gegründeten „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ findet.
Die von Schröter und dem Netzwerk viel beschworene Sorge um die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit scheint angesichts der abgehaltenen Konferenz als nicht mehr als ein PR-Gag, als eine Rhetorik eines Aufmerksamkeitskatalysators. Palmer durfte bisher ungestraft auf dem Boden einer der größten Universität des Landes die Shoah relativieren und rassistische Beleidigungen tätigen, die Verantwortliche erhält in sämtlichen Zeitungen und Nachrichtensendungen eine Plattform. Das ist die maximale Sichtbarkeit.
Entschuldigungen und Abgrenzungen, seien es Schröters eigene oder die der Universitätsleitung, bleiben leere Worte, wenn aus ihnen nicht Handlungen folgen. Es handelt sich hier wohl am ehesten um selbstproduzierte Skandale, mit denen sich wesentlich mehr „Mehrwert“ generieren lässt als mit komplexeren, wissenschaftlichen Analysen.