Pablo Nerudas Tod: „Injektion einer biologischen Waffe“

Expertenbericht: Pablo Neruda vor 50 Jahren von Pinochet ermordet.
Für Rodolfo Reyes ist jetzt erwiesen, was er immer vermutete: „Sie haben meinen Onkel mit einer biologischen Waffe ermordet.“ Reyes’ Onkel war der chilenische Dichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda, der vor bald 50 Jahren, kurz nach dem Pinochet-Putsch, starb. Offiziell an den Folgen seiner Krebserkrankung. Nach jahrelanger Prüfung hat ein internationales Expertenteam der chilenischen Justiz jetzt das Ergebnis seiner Untersuchungen vorgelegt. Demnach starb Neruda an einer Vergiftung. Seit mehr als zwölf Jahren bewegt Chile das Schicksal des Nationaldichters, der Anhänger und Freund von Salvador Allende war, dem 1970 gewählten und 1973 von rechten Militärs und den USA gestürzten marxistischen Präsidenten.
Das Team aus Chile, Kanada und Dänemark übergab den Report der zuständigen Richterin Paola Plaza. Das Gericht werde den Bericht erst auswerten und sich dann zu den juristischen Folgen äußern, sagte Plaza. Auch wenn die juristische Einordnung des Berichts Wochen dauern könnte, so sickerte jetzt schon durch: Neruda starb am 23. September 1973 in einer Klinik von Santiago de Chile nicht an den Folgen von Prostatakrebs. Vielmehr wurde der 69-Jährige mittels Injektion einer todbringenden Bakterie ermordet. Die Kommunistische Partei Chiles und das Umfeld von Neruda gehen davon aus, dass der linke Autor von Schergen der Diktatur ermordet wurde. Pinochet wollte die für den 24. September geplante Ausreise Nerudas nach Mexiko verhindern.
Seinem Onkel sei Clostridium botulinum „als biologische Waffe injiziert“ worden, was bedeutet, dass er an einer Vergiftung starb, sagte Reyes, der als Angehöriger Nerudas vorab über die Ergebnisse in Kenntnis gesetzt wurde. „Ich kann das sagen, weil ich die Berichte kenne. Ich sage es als Anwalt und Neffe mit jeder gebotenen Verantwortung“. Demnach wurde im Körper des Dichters das Bakterium nachgewiesen, das ein Toxin produziert, welches die Muskeln lähmt und so zum Tod führen kann. „Wir wissen jetzt, dass es keinen Grund dafür gab, dass sich Clostridium botulinum in seinem Körper befand“, so Reyes.
Neruda, 1971 mit dem Literaturnobelpreis geehrt, war am 23. September 1973 spätabends in der Privatklinik Santa María in Santiago gestorben. Zwölf Tage zuvor hatte General Augusto Pinochet die Linksregierung „Unidad Popular“ von Präsident Allende gestürzt und eine Gewaltherrschaft errichtet, in der er Sympathisanten der demokratisch gewählten Regierung verfolgen und ermorden ließ. Der Kommunist Neruda war nicht nur enger Freund Allendes, sondern auch der bekannteste Unterstützer seiner Regierung, der er unter anderem als Botschafter in Frankreich diente.
Neruda wollte nach Mexiko reisen, um von dort eine Exilregierung gegen Pinochet zu führen oder zumindest den Widerstand gegen die Militärherrschaft zu organisieren. Schon vor acht Jahren legte das Innenministerium einen Bericht vor, wonach dem Dichter am Nachmittag des 23. September eine Substanz gespritzt wurde, die wenige Stunden später zu seinem Tod führte.
Die Zweifel an der Theorie des natürlichen Todes decken sich mit Aussagen seines ehemaligen Chauffeurs und Freundes Manuel Araya. Er hatte 2013 die Exhumierung von Nerudas Leichnam beantragt, weil auch er von Mord ausging. Stärkstes Indiz: Neruda hat laut Araya an jenem 23. September in einem Telefongespräch mit seiner Frau Matilde Urrutia davon berichtet, dass ein Arzt ihm im Schlaf eine Spritze gegeben habe. „Er bat mich, umgehend nach Santiago zu kommen. Als wir ankamen, war er fiebernd, rot und aufgedunsen“, erinnerte sich Araya. Der Literat starb dann um 22.30 Uhr. Araya wurde kurz danach von den Schergen der Diktatur gekidnappt, ins Nationalstadion gebracht und dort gefoltert.
Dass die chilenische Militärdiktatur während ihrer Gewaltherrschaft zwischen 1973 und 1990 bekannte und weniger bekannte Gegnerinnen und Gegner gnadenlos und sogar im Ausland ermorden ließ, weiß man seit Jahrzehnten. 1974 etwa wurde in Buenos Aires Carlos Prats mit einer Autobombe ermordet. Prats war Innenminister und Vize Allendes. Das gleiche Schicksal ereilte zwei Jahre später in Washington Ex-Außenminister Orlando Letelier. Auch ihn tötete eine Autobombe. Auch hier waren die Mörder Agenten des Regimes.