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Otto und die schwarzen Füße

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Von: Harry Nutt

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HANDOUT – 08.07.2020, ---: Otto Waalkes (l) und Günther Kaufmann als US-Soldat in einer Szene des Films „Otto – Der Film“ (1985). (undatierte Filmszene) (zu dpa: „35. Jubiläum: Wie rassistisch ist „Otto – der Film“?“) Foto: Wolfgang Jahnke/Rialto Film /dpa – ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung „Verein: Rassistischer Humor ist nicht erhaltenswert“ und dem Film und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Otto Waalkes (l) und Günther Kaufmann als US-Soldat in einer Szene des Films „Otto – Der Film“ (1985). © Wolfgang Jahnke/Rialto Film /dpa

Prinzipien der „Cancel Culture“ haben auch den Blödel-Künstler erfasst.

Otto, der Waalkes? Man hätte auch schon früher darauf kommen können. „Aaaah, schwarze Füß!“, ruft in „Otto – der Film“ von 1985 ein von dem deutsch-amerikanischen Schauspieler Günther Kaufmann dargestellter Soldat – und verwendet dann fragend an den Komiker Otto die rassistische Bezeichnung für Schwarze, die heute in schamhaft-kritischer Selbsterkenntnis mit dem Begriff N-Wort umschrieben wird. Auch Otto hat das Wort in dem Sketch zuvor schon benutzt und dem Mann erläutert: „Schwarzer Kopf, schwarzer Bauch, schwarze Füß.“ Otto zieht die Socken aus, um seine dreckigen Füße zu zeigen, worauf Kaufmanns Figur laut lachend fragt: „Du Neger?“

Ist das lustig? Für viele war der Film von Otto Waalkes schon damals eine Zumutung, was allerdings keinen Einfluss darauf hatte, dass es sich dabei bis heute um eine der erfolgreichsten deutschen Produktionen handelt. Rund 15 Millionen Zuschauer haben sie seinerzeit in Ost und West gesehen. Jetzt sollen ein paar weitere hinzukommen. Zum 35-jährigen Jubiläum soll der Film Ende Juli noch einmal in einigen Kinos zu sehen sein.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es danach zu einer Otto-Renaissance kommen wird – und das nicht nur, weil laue Witze wie der eingangs nacherzählte heute als rassistisch empfunden werden. Sie waren es wohl auch schon damals und hätten auch so wahrgenommen werden können. Und man begeht einen kulturhistorischen Fehler, wenn man solch einen Witz allein dem Zeitgeist zuschreibt, in dem er entstand. Die rassistischen Bezüge wurden keinesfalls übersehen, sondern hingenommen, weil Rassismus in einer beinah ausschließlich weißen Kultur, die sich zudem für aufgeklärt und aufgeschlossen hielt, keine Rolle spielte.

Mit etwas Wohlwollen könnte man in der Adressierung „Du Neger?“ sogar ein anti-rassistisches Motiv erkennen, weil es das in der Regel einseitig verwandte Ressentiment absichtsvoll umkehrt. Es ist ja der schwarze Schauspieler Kaufmann, der das N-Wort verwendet.

Im Kontext der aktuellen Diskussion, die nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeibeamte deutlich an emotionaler Intensität zugenommen hat, klingt das beschwichtigende Argument zu einem Otto-Witz allerdings nach einem unlauteren Abwiegelungsversuch. Der Verein Schwarzer Menschen in Deutschland jedenfalls mag derlei Entgegnungen nicht gelten lassen. Dass selbst bei solch offenkundigen rassistischen Inhalten noch geleugnet beziehungsweise eine anti-rassistische Intention „reingezaubert“ werde, sei symptomatisch für das mangelnde Rassismusverständnis, sagt Sprecher Tahir Della der Deutschen Presseagentur (dpa).

Aber führt die Frage, ob man Otto Waalkes aufgrund eines arglos dargebotenen Gags besser aus dem kulturellen Gedächtnis entfernt, hier wirklich weiter? Im Kontext der Humoroffensive jener Jahre, für die nicht zuletzt die der Neuen Frankfurter Schule zugerechneten Drehbuchautoren Bernd Eilert, Pitt Knorr und Robert Gernhardt stehen, war die Kunstfigur Otto letztlich auch ein Teil des Versuchs, die deutsche Humorproduktion zu radikalisieren. Als Mitarbeiter des Magazins „Titanic“ waren sie lustvoll bemüht, die eng gezogenen Grenzen des Biedersinns der Unterhaltungsbranche jener Zeit zu sprengen. Otto war gewissermaßen der populäre Arm des grob-subversiven Schabernacks, der in dem Magazin auf die Spitze getrieben wurde und nicht zuletzt darin bestand, Tabus aller Art zu Leibe zu rücken.

Es sollte ja quietschen, und es wäre gewiss eine ergiebige und erhellende Recherche, die „Titanic“ der früheren Jahre vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte zur „Cancel Culture“ zu durchforsten. Rassismus, Blasphemie, Sexismus – alles im Kontor. Angesichts einer solchen Recherche würde man Otto Waalkes vermutlich bald aus den Augen verlieren. Dessen Popularität gründete sich nicht zuletzt darauf, dass seine Figur konsequent in einer Infantilität verharrt, der nichts ernst ist und in der alles zur Angriffsfläche einer im Grunde harmlosen Witzigkeit wird. An den filmischen Erfolg von „Otto – der Film“ knüpfte Jahre später Bulli Herbig mit „Der Schuh des Manitu“ und „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ an, die über weite Strecken Nummernrevuen aus albernen Kalauern und Schwulen-Witzen waren. Zumindest daran fand damals das Magazin „Stern“ Gefallen, indem es den Film als Blockbuster bezeichnete, „dessen einziges witziges Element ein ultraschwuler Indianer ist“.

Ausgewogenheit, Rücksicht und Bedächtigkeit gehören ohnehin nicht zum Energiefeld des Mediums Witz. Der bezieht seine ganze Kraft und Wirkung vielmehr aus der Reduktion auf markante Merkmale. Identitätsbildende Kennzeichnungen und stereotype Bezugnahmen auf Herkunft und Geschlecht sind ganz ausdrücklich Zielscheiben des Witzes, über den Sigmund Freud überzeugend ausgeführt hat, „dass der humoristische Lustgewinn aus erspartem Gefühlsaufwand hervorgeht“. Je kürzer und schneller, desto treffender.

––Wenn dann noch intellektuelle Akrobatik ins Spiel kommt, ist es kaum mehr möglich, zwischen Autorintention, lyrischem Ich und einer sich verselbstständigenden Botschaft zu unterscheiden. Wie kunstvoll das in Schwingungen versetzt werden kann, hat Randy Newman in seinem Song „Short People“ aus dem Jahr 1977 vorgemacht. Die Liedzeile „Short People got no reason to live“ ist offen menschenverachtend. Kleinwüchsige haben, so singt Newman, keinen Grund zu leben. Unglaublich, oder? Wenn man sich aber als Hörer einmal dazu durchgerungen hat, das nicht für bare Münze zu nehmen, sondern als einen hintersinnigen Song über das Gift des Ressentiments zu verstehen, dann wird daraus gerade durch die sprachliche Verknappung große Kunst. „Don’t want no short people round here“ verhandelt dann die zersetzende Kraft der Ausgrenzung und macht den Song zu einem Stück poetischer Aufklärung.

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Kulturgeschichte nicht weiter verbissen nach verunglückten Botschaften und verdrehten Pointen abzusuchen, sondern in ihr jene Hervorbringungen zu würdigen, die früh die Spaltkraft menschlicher Gefühle und Ambivalenzen bearbeitet haben. Die großen Anstrengungen der Kunst zielen ja gerade darauf, Mehrdeutigkeit, Ambiguität und Ambivalenz zur Geltung zu verhelfen. Wie absurd wäre es da, unentwegt auf Eindeutigkeit zu pochen.

Bereits 1934 entstand der Film „Imitation of Life“ unter der Regie von John M. Stahl nach dem gleichnamigen Roman von Fannie Hurst. Der Film schildert die Geschichte der hellhäutigen Schwarzen Peola, die mit ihrer Mutter, der Hausangestellten Delilah, in einem wohlhabenden weißen Mittelstandshaushalt aufwächst und mit Ehrgeiz alles daransetzt, ihre Herkunft und das gesellschaftliche Stigma ihrer Hautfarbe hinter sich zu lassen. Douglas Sirk hat den Stoff 25 Jahre später erneut aufgegriffen und daraus ein bewegendes Melodram gemacht, das die Kämpfe der Identitätspolitik in einem engen Korsett von scheiternder Anpassung zeigt. Am Ende des Films wird Delilah beerdigt, der ihre Tochter Peola nie ihre auch sie prägende Herkunft verziehen hat. Ihre Reue aber kommt zu spät und geht auf im grandiosen Gesang der Mahalia Jackson, über den der Filmkritiker Georg Seeßlen schrieb, dass Jackson die „Sehnsucht nach Erlösung aller, wirklich aller Menschen“ in ihrer Stimme habe.

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