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Operation Upshot-Knothole: Als die USA die erste atomare Artillerie zündeten

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Von: Arno Widmann

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Mai 1953: Nukleare Detonation während der Operation Upshot-Knothole.
Mai 1953: Nukleare Detonation während der Operation Upshot-Knothole. © Piemags/Imago

Im Mai 1953 testen die USA unter dem Namen Operation Upshot-Knothol erstmals atomare Artillerie. Kernspaltung galt vor 70 Jahren noch als Hoffnungsträgerin.

Der damalige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, erklärte am 5. April 1957 auf einer Pressekonferenz, taktische Atomwaffen seien „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie“. Mir erschien das später als die ungeheuerlichste Verharmlosung der Atombombe und des Atomzeitalters, in dem wir lebten.

Franz Josef Strauß war damals noch Bundesminister für besondere Aufgaben. Sein Verlangen auf einen deutschen Zugriff auf Atomwaffen wurde bald heftig diskutiert. 1955 wurde er Chef des eigens für ihn geschaffenen Ministeriums für Atomfragen. Wikipedia macht uns darauf aufmerksam, dass es der Vorgänger des heutigen Ministeriums für Bildung und Forschung ist. Vom Atom- kam Strauß 1956 ins Verteidigungsministerium.

Im Mai 1953 testen die USA Atomgranaten während der Operation Upshot-Knothole

Jahrzehntelang wusste ich nichts von W9. Also auch nichts davon, dass der alte Fuchs Adenauer nicht einfach gelogen hatte. Am 25. Mai 1953 waren in den USA Atomgranaten während der mehrtägigen Operation Upshot-Knothole auf der Nevada Test Site erfolgreich getestet worden. Sie hatten eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen TNT. Das ist in etwa die von „Little Boy“, der Atombombe, die 1945 Hiroshima zerstört hatte. Die Artilleriegranate W9 wurde aus Haubitzen mit einem Kaliber von 280 mm abgefeuert. Tatsächlich eine Weiterentwicklung der Artillerie. Vor allem aber der Umstieg auf eine ganz neue Munition: Atomgranaten. Als Adenauer darüber sprach, war man in den USA gerade mit der Ausmusterung der W9 beschäftigt. Es wurden kleinere Einheiten entwickelt, die in die herkömmliche Infanterie-Ausrüstung integrierbar waren. Adenauers Diktum wurde also noch wahrer.

Seit es die Atombombe gibt, stellt sich die Frage: Wie kann man sie zu einer handhabbaren militärischen Waffe machen? 1952 zog General Dwight D. Eisenhower in den Wahlkampf um die Präsidentschaft der USA mit dem Versprechen, schnellstens Schluss mit dem Krieg in Korea zu machen. Das amerikanische Wahlvolk war kriegsmüde. Eisenhower setzte auf die Atombombe. Weniger auf ihren Einsatz als vielmehr auf ihre abschreckende Wirkung. Er lehnte lange alles ab, das diesen Effekt verringern könnte. Strategien, die kleineren Angriffen mit kleineren Kontern begegnen wollten, hielt er für grundfalsch, weil sie nur in die Länge zögen, was man mit einem einzigen furchtbaren Gegenschlag sofort würde beenden können. Eisenhower war klar, dass militärisch die logische Konsequenz dieser Strategie der atomare Erstschlag war. Aber den hielt er politisch für nicht durchsetzbar. Also war es wichtig, eine solche Zweitschlagstärke zu haben, dass der Gegner niemals den Erstschlag wagte.

Atombombe ersetzte in Eisenhowers Augen zu einem Gutteil die konventionelle Rüstung

Das schien Eisenhower nicht nur aus militärischen und politischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen das einzig Vernünftige. Die Atombombe ersetzte in seinen Augen zu einem Gutteil die konventionelle Rüstung. Erst recht, als Russland auch zu einer ernstzunehmenden Atommacht geworden war. Von jeher hatte gegolten: Wer den Frieden will, rüste sich für den Krieg. Das war – so schien es Eisenhower – noch wahrer geworden.

Dank der Atombombe war das Hauptziel nicht mehr die Zerstörung der militärischen Anlagen des Gegners, sondern die des ganzen Landes. Die Doktrin war: Der einfachste, billigste und zugleich effizienteste Weg zur Zerstörung der sowjetischen Kriegsmaschine ist die Zerstörung der Sowjetunion. Das Rezept hatte in Japan funktioniert. Die Hauptaufgabe des Kriegs der Zukunft lag also bei der Luftwaffe. Die Vertreter der Army tröstete Eisenhower: „Machen Sie sich keine Sorgen, ein Atomkrieg wird Sie nicht überflüssig machen. Die Truppe wird gebraucht werden, um Zuhause für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“ (Fred Kaplan, „The Bomb“).

Für die Marine war das kein Trost. Aber sie entwickelte 1960 die mit Nuklearsprengstoff bestückten Polaris-Raketen. Sie wurden von Unterseebooten aus abgeschossen. Die waren damals für die Sowjetunion nicht zu orten. Das Marineministerium legte eine Studie vor, in der es hieß: Die U-Boote sind unzerstörbar. Vierzig von ihnen, bestückt mit insgesamt 640 Raketen, werden ohne Probleme alle wichtigen und noch jede Menge unwichtiger Ziele in der Sowjetunion zerstören.

Nie aufgehört, mit Atomwaffen zu drohen

Die Strategie der Abschreckung war erfolgreich. Es kam zu keinem Atomkrieg zwischen den beiden Supermächten. Es kam freilich zu einer Unzahl von Stellvertreterkriegen, in denen konventionelle Waffen zum Einsatz kamen. Die Atomgranaten blieben in den Arsenalen.

Nie hatte man aufgehört, mit ihnen und der Bombe zu drohen. Putin war nicht der Erste, der es nach langer Zeit wieder tat. Donald Trump war erst ein halbes Jahr lang Präsident der USA, als er der Presse in seinem Golf Resort erklärte: Wenn Nordkorea die USA weiter mit harscher Rhetorik und Raketentests bedrohe, „werden sie Feuer und Zorn (fire and fury) erleben, wie die Welt es noch nie gesehen hat“. Wieder Korea! Wie bei Eisenhower.

Der hielt am 8. Dezember 1953 vor der UN-Vollversammlung seine berühmte Rede „Atoms for Peace“, ein Plädoyer für den zivilen Einsatz der Kernenergie. Es ist schade, dass diese Rede in keiner Anthologie utopischer Literatur zu finden ist. Dabei ist sie ein Musterbeispiel für deren charakteristische Struktur: Man nimmt ein Element, rechnet das hoch und entwirft von da aus die Gesellschaft, ja den Menschen neu. Die Atomkraft würde die Energiekosten so sehr senken, dass sie kaum noch eine Rolle spielen würden. Man sei auch nicht angewiesen auf Großanlagen. Bald werde jeder Bauer sein eigenes kleines Atomkraftwerk haben können. Die Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin würden diese revolutionieren.

Das Atomzeitalter war eine Utopie, die sich in einen Albtraum verwandelte

Der ukrainische Historiker Serhii Plokhy schreibt 2022 in „Atoms and Ashes“: „Heute, fast siebzig Jahre nach der ‚Atoms for Peace‘-Rede, haben wir weltweit 440 Atomreaktoren, die gerademal um die zehn Prozent des Weltenergiebedarfs decken.“ Der Grund ist einfach: Nichts ist teurer als Kernenergie. Ein AKW kostet mindestens 11.200 US-Dollar pro Megawatt, eine Windkraftanlage 30.000. Wir wissen nicht – dazu fehlen die Erfahrungen –, wie teuer der Abbau eines Atomkraftwerkes sein wird. Es ist damit zu rechnen, dass er noch einmal deutlich teurer sein wird als der Aufbau. Ganz abgesehen von den Kosten, die durch kleine und große Unfälle entstehen.

e, aus dem zu erwachen die Menschheit keine Chance mehr hat. (Arno Widmann)

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