„Hier kein WLAN“ - Stattdessen miteinander reden

Manche Cafés bieten bewusst kein WLAN an. Sind Gespräche mit dem Internet etwa nicht wertvoll?
Ich besitze eine Sammlung selbst gemachter Fotos von Schildern vor Restaurants und Bars: „Kein W-LAN! Ihr müsst euch schon selbst unterhalten“, „Hier kein WLAN! Redet miteinander. Stellt euch vor, es ist 1995.“ Manchmal auch „Wir haben kein WLAN! Redet miteinander. Sauft.“
Man sieht das Schild nicht nur in der Gastronomie, sondern auch an Privathaushalten. In einem mir näher bekannten Dorf klebt es von innen an einem straßenseitigen Fenster: „Wir haben kein WLAN! Wir reden miteinander“. Eines Tages trug das Fenster eine von außen aufgeklebte, handschriftliche Ergänzung: „Wir benutzen das von unseren Nachbarn“. Kurze Zeit später verschwand der zweite Aufkleber wieder. Ich kenne die Beteiligten nicht und weiß nicht, ob irgendeine der drei Behauptungen stimmt.
Reden statt Surfen: „Hier kein WLAN“
Das Phänomen ist verwandt mit den „Hier keine Laptops“-Schildern, die sich ab 2016 in den Cafés meiner Berliner Nachbarschaft ausbreiteten. Auch bei „Keine Laptops“ gab es anfangs Versuche, das Verbot wie eine Weltverbesserungsmaßnahme erscheinen zu lassen. Inzwischen sind die Cafés von solchen Formulierungen abgerückt. Die meisten sagen einigermaßen ehrlich, dass sie nur keine Gäste möchten, die zu den Hauptgedrängezeiten stundenlang allein einen Tisch belegen. Auf den Schildern steht nicht mehr „redet miteinander“, sondern „Von 12 bis 14 Uhr und an den Wochenenden bitte keine Laptops, danke!“
Beim „Hier kein WLAN“-Schild ist unklarer, zu welchem Zweck es ausgehängt wird. Die Formulierungen sind oft identisch. Die Jahreszahl in „Stellt euch vor, es ist …” lautet meistens 1992, 1993 oder 1995. Das deutet darauf hin, dass die Schilder auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Dieser Vorfahr scheint im Jahr 2013 entstanden zu sein. Im November wird das Schild angeblich in einem Restaurant in Peru gesichtet, in englischer Sprache und noch ohne den Jahreszahlen-Zusatz. Anfang 2014 verbreitet sich dann das Foto eines handschriftlichen Aushangs: „No ‚Wifi‘... talk to each other. Call your Mom. Pretend it’s 1993. Live.“
„Kein WLAN! Redet miteinander“-Schild gibt es zu kaufen
Es wird in diesem Jahr häufig zusammen mit einer Sammlung spöttischer Kommentare geteilt, in denen die Ermahnungen immer extremer werden: „Keine ‚Telefone‘ … Schick deiner Mama ein Telegramm. Stell dir vor, es ist 1860.“, ‚Keine ‚Schrift‘ … Wirf einen Stein zu deiner Mama“ und „Keine ‚Mehrzelligkeit‘... Pflanz dich durch Zellteilung fort. Du bist deine eigene Mutter. Stell dir vor, es ist vor 2 Milliarden Jahren.“ Ab 2015 gibt es das „Kein WLAN! Redet miteinander“-Schild fertig aus Pappe, Holz oder Blech zu kaufen. Bis heute findet es sich in vielen Onlineshops.
Es ist überraschend, dass das Schild so spät in Mode gekommen ist, denn 2014 gab es in den meisten Gegenden, die Gastronomie enthalten, auch bereits mobiles Internet. Die Datentarife waren damals zwar noch etwas knapper bemessen. Aber ich habe 2014 für fünf GB mobile Daten drei Euro bezahlt, es war also nicht die Steinzeit. Ob ein Ort WLAN anbot oder nicht, war nicht mehr so entscheidend wie fünf oder zehn Jahre früher. Wo es keines gab, konnte schon damals wenigstens ein Teil der Gäste auf mitgebrachtes Handyinternet zurückgreifen. Dieser Teil ist seitdem weiter gewachsen.

Das Schild sagt also wenig darüber, was man an so einem Ort machen kann und was nicht. Vor allem signalisiert es, was die Gastwirtinnen und Wirte für Vorstellungen von der Welt haben. Nämlich: Erstens betritt niemand die Bar, das Café oder das Restaurant allein, um zum Beispiel nur etwas zu essen. Falls doch mal Gäste allein erscheinen, dann möchten sie gern mit Fremden reden, weil alle Menschen gern mit Fremden reden.
Zweitens ist Reden in jedem Fall besser als Irgendwas-im-Internet-Machen. (Aber nicht besser als Zeitunglesen, sonst gäbe es in der Gastronomie auch Schilder „Hier keine Zeitungen! Redet miteinander. Stellt euch vor, es ist 1695.“) Drittens reden alle gern ununterbrochen und haben nie das Bedürfnis, während ihrer Gespräche mal was im Internet nachzusehen. Viertens wird ins Internet immer nur passiv hineingeguckt, niemand benutzt es, um mit anderen Menschen zu reden. Oder falls doch, handelt es sich jedenfalls um Gerede minderer Qualität verglichen mit allem, was in einer Bar oder einem Restaurant passieren kann.
Gastronomie freut sich in Zeiten von Corona über alle Gäste
Ich halte das alles für falsch und bin deshalb froh, dass das Schild oft schon vor dem Eingang steht. Ich möchte mich als Gast nicht sorgen müssen, dass mich das Personal wegen meines Handygebrauchs am liebsten wieder rauswerfen würde. Allerdings habe ich schon fast zwei Jahre lang pandemiebedingt die Gastronomie weder von innen noch von außen gesehen. Es könnte sein, dass die „Bitte keine Laptops“ und die „Hier kein WLAN“-Schilder inzwischen wieder verschwunden sind. Vielleicht waren sie nur ein Übergangsphänomen bei der Einführung neuer Technologien. Vielleicht freut man sich derzeit in der Gastronomie aber auch über alle Gäste – sogar solche, die sich gern mit dem Internet unterhalten. (Kathrin Passig)