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Michael Degen: Der Holocaust-Überlebende, der Hitler spielte

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Von: Harry Nutt

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Michael Degen als Robert Schuster in „Heldenplatz“. Foto: dpa
Michael Degen als Robert Schuster in „Heldenplatz“. © dpa

Der Schauspieler, der von den Nazis verfolgt wurde, war überzeugt: „Nicht alle waren Mörder“. Jetzt ist er gestorben.

Als am Montagabend die Nachricht vom Tod des Schauspielers Michael Degen kolportiert wurde, stellte sich alsbald Erleichterung ein. Nur eine Falschmeldung – wie beruhigend. Am Dienstag aber war die Bestätigung unwiderruflich. Michael Degen ist am Samstag im Alter von 90 Jahren in Berlin gestorben. Der Rowohlt-Verlag verabschiedete sich in der Mitteilung über seinen Tod mit folgenden Worten. „Wir trauern und verneigen uns vor einem Menschen und Künstler, der mit seiner Wärme und Begeisterung berührte und mitriss, und dessen vielseitiges Werk bleiben wird.“

Als markantes Signal seiner Lebensgeschichte gilt eine Ohrfeige. Ein kleiner Junge, der seine Mutter schlägt. Es ist die Urszene eines Films, der schockartig verdeutlicht, dass die herkömmlichen Verhaltensregeln außer Kraft gesetzt sind. Die Mutter in dem Film „Nicht alle waren Mörder“ ist Nadja Uhl, den Jungen spielt Aaron Altaras. Er war elf, als er in die Rolle des jungen Michaels schlüpfte, der die Mutter mit dem Schlag ins Gesicht erst wachrütteln musste, damit sie sich selbst und ihren Sohn vor einem Suchtrupp der SS im Berlin der 1940er-Jahre in Sicherheit bringt.

Sicherheit? Das ist ein trügerisches Wort in der Geschichte, die Michael Degen 1999 als Überlebenskampf im nationalsozialistischen Berlin erzählt hat. 2006 wurde sie von Joe Baier verfilmt. Michael Degen war fast 70, als er seine Geschichte von der Flucht vor Entdeckung, die er in wechselnden Verstecken durchlitt, einer breiten Leserschaft preisgab. Der Titel hatte etwas erstaunlich Versöhnliches, für uns, die nichtjüdische Restgesellschaft, die längst danach gierte, von Menschen wie dem kleinen Michael zu hören, der nicht zwangsläufig den Tod fand wie die tragisch-berühmte Anne Frank.

Eine Fluchtgeschichte in Berlin

Michael Degen wurde 1932 als Sohn des Professors und späteren Kaufmanns Jacob Degen und dessen Frau Anna in Chemnitz geboren. Der Vater starb 1939 an den Folgen der Folter, die er im KZ Sachsenhausen in Oranienburg erlitten hatte. Danach begann die Fluchtgeschichte mit der Mutter quer durch Berlin.

Er war 14, als er eine Schauspielausbildung am Deutschen Theater begann. Nach einem Aufenthalt in Israel trat in das Ensemble von Bertolt Brecht ein. Bald darauf folgten zahlreiche Bühnenengagements, darunter bei Ingmar Bergman und Claude Chabrol. Spätestens seit Beginn der 80er wurde Degen zu einem Gesicht des Fernsehens, vor allem als Vice Questore Patta, dem Polizeipräsidenten, in den in Venedig spielenden Donna-Leon-Krimis.

Als Altersrollen für Michael Degen kaum mehr zu vermeiden waren, sah man ihn oft in der Rolle jüdischer Bürger, etwa als der Zionist Kurt Yehuda Blumfeld in dem Film „Hannah Arendt“ von Margarethe von Trotta. Festlegungen dieser Art aber waren nicht seine Sache, und so hatte Degen es sich bereits in den 80er Jahren nicht nehmen lassen, in Michael Kehlmanns Film „Geheime Reichssache“ Adolf Hitler zu spielen. Es gehört nun einmal zu den größten Geschenken der Schauspielkunst, über die Geschichte triumphieren zu können.

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