Ukrainischer Botschafter Melnyk: Verbalattacken eines Hilfesuchenden

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk trägt Bitten als Forderungen vor und lässt jedes Maß vermissen.
Noch immer überzieht Wladimir Putin mit seiner Armee ein souveränes Land, die Ukraine, mit einem mörderischen Krieg. Längst werden nicht bloß militärische Einrichtungen bombardiert, sondern gezielt auch Wohnblöcke mit deren Zivilpersonen, Krankenhäuser mit ihren Ärzten, Pflegern und Patienten, ohnehin Verkehrswege angegriffen. Ferner hört man immer mehr von sexuellen Gewalttaten. Und dort, wo sich russische Soldaten zurückziehen, findet man wie zum Beispiel im Kiewer Vorort Butscha Dutzende von kaltblütig ermordeten Zivilisten.
Die Gesamtzahl dürfte sich schon auf mehr als 700 Personen belaufen. Selbst Russlandfreunde, die es bislang nicht wahrhaben wollten, können dies nicht mehr leugnen: Hier werden Kriegsverbrechen in so großem Stil begangen, dass man schon von Völkermord sprechen darf. Zumindest kommt es einem Genozid nahe.
Reaktionen auf den Ukraine-Krieg: Proteste, Sanktionen, Waffenlieferungen
In dieser Situation versteht sich, dass Rechtsstaaten und Demokratien – beschämenderweise freilich nicht alle – dagegen scharf protestieren. Viele Einzelpersonen verhalten sich nicht anders, beteiligen sich wie der Verfasser beispielsweise bei einem internationalen Aufruf von Philosophen: „Stoppt Putin!“. Mit bloß diplomatischen Maßnahmen und medialen Protesten aber längst nicht mehr zufrieden, werden zunehmend härtere Sanktionen erlassen.
Darüber hinaus leisten diese Länder, sowohl ihre Parlamente und Regierungen als auch viele karitative und andere Organisationen, nicht zuletzt zahllose Einzelpersonen, Hilfe finanzieller, sozialer und medizinischer Art, überdies, hier „natürlich“ nur seitens der Legislative und der Exekutive, militärische Unterstützung mittels Lieferung von mehr und mehr schweren Waffen. In einer für manche Zeitgenossen überraschenden, für wirklichkeitsoffene Bürger des Landes aber überfälligen Wende hat sich nach anfänglichem Zögern auch Deutschland dem angeschlossen.
Ukraine-Krieg: Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk fehlt diplomatisches Augenmaß
Da sich in diesen Punkten alle Regierungen und Bürger guten Willens einig sind, verdient eine andere Sache, obwohl sie nur eine sekundäre Bedeutung hat, doch Aufmerksamkeit: Wer Hilfe benötigt, bittet darum. Allenfalls äußert er seine Bitte dringend und drängend. Bei einem Land, das um sein Überleben kämpft, muss man zwar seine Worte nicht auf die Goldwaage legen. Das Augenmaß darf aber nicht verlorengehen.
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hingegen trägt Bitten als Forderungen vor und versteigt sich zu Verbalattacken, die jedes Maß vermissen lassen. Schon vor einiger Zeit warf er dem Bundespräsidenten des Landes, in dem er als Botschafter akkreditiert ist, ein „Spinnennetz“ von Beziehungen nach Russland vor. Einen Forscher, der sich Gedanken über eine politische Ordnung nach diesem Krieg macht, tituliert er als „echtes Arschloch“. Und die Russen, wohlgemerkt nicht nur Putin, seine Armeeführer und putinfreundliche Oligarchen und Kunstschaffende sowie Intellektuelle, sondern alle Russen bezeichnet er als Feinde.
Ukraine-Krieg Botschafter Melnyk und seine Rolle bei der Steinmeier-Ausladung
Diese Verunglimpfungen sind umso empörender, als es sich bei ihnen nicht um eine einmalige, als momentane emotionale Überforderung zu entschuldigende Reaktion handelt. Die Wortwahl erweist sich vielmehr als Methode, die deshalb noch verstörender ist, als sie aus dem Mund einer Person, eines Botschafters, stammt, in deren Funktion man eher diplomatische Vorsicht walten zu lassen hat.
Ein Land, das – zu Recht! – etliche Hunderttausend Flüchtlinge aus der Ukraine aufnimmt und großzügig versorgt, das zudem für die Ukraine und innerhalb dieses Landes vielfältige Hilfe leistet, verdient nicht Beschimpfungen, sondern das, was man „Dank und Anerkennung“ zu nennen pflegt. Statt dessen erklärt die Ukraine, also letztlich ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj, den obersten Repräsentanten von Deutschland, ihren Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, als in Kiew nicht willkommen. Vermutlich geht diese „Ausladung“ auf einen Vorschlag von Andrij Melnyk zurück. Ohne Rücksprache mit ihm dürfte sie jedenfalls nicht zustande gekommen sein.
Otfried Höffe ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Tübingen. Sein aktuelles Buch „Was hält die Gesellschaft noch zusammen?“ ist im Kröner Verlag erschienen.
Diplomatie im Ukraine-Krieg: Verspielt Kiew durch seine Kommunikation wichtige Chancen?
Kiew dürfte damit den Druck auf Deutschland erhöhen wollen, für die Ukraine noch mehr zu tun, namentlich auf Gaslieferungen aus Russland ganz zu verzichten, darüber hinaus Panzer zu liefern. Die hier entscheidende Frage lautet allerdings nicht, ob Kiew mit seiner Sanktionierung des deutschen Bundespräsidenten Erfolg haben wird oder eher gewisse Chancen verspielt. Es geht nicht um die Einschätzung der Ausladung als eine törichte oder aber kluge Handlung.
Auch kommt es in erster Linie nicht darauf an, dass einem Staatsoberhaupt Vorwürfe für Handeln in früheren Aufgabenfeldern gemacht werden. Vielmehr greift hier ein Land in die Politik eines anderen Staates ein, was dieses sich aus zwei Gründen verbitten sollte: Als erstes müsste Deutschland den Versuch, den aus ukrainischer Sicht zu freundlichen Umgang Steinmeiers mit Russland in der Zeit, als er deutscher Außenminister war, nachträglich nicht nur zu kritisieren, sondern sogar zu bestrafen, als unzulässigen Eingriff in die eigene Souveränität zurückweisen.
Ukraine-Krieg: Deutschland müsste Kiew und seinen Botschafter zur Vernunft rufen
Denn ein Ausladen hat den Rang eines Strafens und sucht diesen Rang auch. Dass Steinmeier offen eingestanden hat, sein früherer Einsatz für einen Weiterbau der Gaspipeline Nord Stream 2 sei aus heutiger Sicht ein Fehler, spielt hier allenfalls eine sekundäre Rolle. Selbst wenn dieses Eingeständnis nicht erfolgt wäre, bliebe das ukrainische Verhalten recht skandalös. Kein deutscher Politiker schuldet der Ukraine zu einem in der damaligen deutschen Politik hochkontroversen Thema eine Entschuldigung für mangelndes Wohlverhalten.
Zum anderen müsste Deutschland aus Gründen der Selbstachtung Kiew zur Vernunft rufen. Ein Land, das seit bald drei Generationen gewiss nicht erfolglos eine rechtsstaatliche Demokratie pflegt, darf und sollte auch das Ausladen seines Bundespräsidenten deutlich zurückweisen. (Otfried Höffe)