Kultursymposium über Vertrauen: Wenn das Vertrauen erschüttert wird

Das Goethe-Institut lädt zum vierten Mal zu einem Netzwerktreffen ein.
Für die in den 90er-Jahren insbesondere bei Punk-Konzerten praktizierte körperliche Selbsterprobung des Stagedivings war Vertrauen essentiell. Wer den freien Fall vollends genießen wollte, setzte voraus, dass er von den anderen schon aufgefangen werde. Gefährlich wurde die lustige Flugshow erst, wenn sie sich abzunutzen begann. Irgendwann war es das Publikum einfach leid, die Mutigen in Empfang zu nehmen. Autsch.
Das nach einer Pandemiepause erstmals wieder als analoge Veranstaltung in Weimar stattfindende Kultursymposium des Goethe-Instituts hatte sich vom 10. bis 12. Mai zur Aufgabe gemacht, die Verkehrsformen des Vertrauens in so vielen Spielarten wie möglich aufzurufen und zu befragen. Das Motiv für die Themenwahl war keineswegs uneigennützig. Für die kulturelle Mittlerorganisation, deren Aufgabe darin besteht, in über 100 Ländern der Welt Beziehungen zur jeweiligen Zivilgesellschaft zu unterhalten und Vertrauen aufzubauen, ist es opportun, ein möglichst weites Verständnis über die Qualität der geknüpften Beziehungen zu entwickeln.
Wenn man aber erst einmal begonnen hat, darüber nachzudenken, erweist Vertrauen sich bald als kniffliger Begriff. Der in Luzern lehrende Philosoph Martin Hartmann schlug im Kontext eines der vielen Panels vor, den vielfach mit Erwartungen aufgeladenen Begriff versuchsweise durch Verlässlichkeit zu ersetzen. Wenn diese enttäuscht wird, wird man nicht gleich jener schmerzlichen Erfahrung ausgesetzt, die als Vertrauensverlust die Stabilität des Ichs nachhaltig gefährden kann. Das ist weit mehr als eine philosophische Kaskade.
Wie es gelingen kann, nach radikalen Erschütterungen, etwa durch Krieg und Flucht, verlorengegangenes Vertrauen wieder aufzubauen, war wiederholt Thema der Diskussionen und Berichte. Hartmann war es denn auch, der der Tagung gleich zu Beginn die Paradoxie mit auf den Weg gab, dass zwar vielfach von Vertrauensbildung die Rede sei, wir in der sozialen Praxis aber sehr viel dafür tun, gerade nicht vertrauen zu müssen.
Aber ist Kontrolle besser? Für den kühl-pragmatischen Systemtheoretiker Niklas Luhmann ist Vertrauen zuallererst ein Mechanismus zur Reduktion von Komplexität. Jenseits der pathetischen Begriffe interessierte sich Luhmann dafür, wie Gesellschaft funktioniert, wenn sie funktioniert.
Ein pathetischer Begriff
Das Goethe-Institut ist natürlich kein sich in Trockenübungen erschöpfender Thinktank. Sein kulturelles Kapital besteht vielmehr in einem aus vielen klugen Köpfen bestehenden Netzwerk, das versuchsweise bereit ist, die verschiedenen Aggregatzustände des Vertrauens in die Waagschale zu werfen. Und so wurde in Weimar ebenso unterhaltsam wie anregend über das prekäre Verhältnis zur Welterschließung über Medien debattiert, die sich einerseits den bekannten autoritären Formen der Zensur und Manipulation ausgesetzt sehen, darüber hinaus aber mit rasend schnell lernenden Variationen der künstlichen Intelligenz konfrontiert sind. Eine aus Kiew zugeschaltete ukrainische Journalistin wusste indes eindrucksvoll zu berichten, wie durch die Ausnahmesituation des Krieges das Vertrauen in lokale Institutionen nicht nur an Bedeutung gewinnt, sondern auch gestärkt wird. Die ukrainische Gesellschaft, in der es weiterhin so etwas wie einen funktionierenden Alltag gibt, schöpft soziale Energie aus der Erfahrung des Zusammenhalts in der Notgemeinschaft.
Dass soziale Bewegungen deswegen noch keinen privilegierten Zugang zur Ressource Vertrauen haben, machte ein Panel deutlich, auf dem politische Aktivisten wie der über die Regenschirmrevolution in Hongkong berühmt gewordene Nathan Law von seinen Erfahrungen berichtete. So bewegend die authentischen Erlebnisse über die Organisation des Protests auch waren, wurde an ihnen jedoch auch deutlich, dass es keine Gebrauchsanweisung zur Umsetzung aktivistischer Energie gibt. Der sehnsuchtsvolle Aufruf einer jungen Panel-Teilnehmerin: „We need rebels“ hatte zugleich etwas naiv Hilfloses an sich. Für die aus Syrien stammende Sara Mardini sei es vor allem ihre Wut gewesen, die sie hat überleben lassen. Die möchte sie nun an Menschen in prekären Lagen weitergeben. Taugt sie auch im Umgang mit dem Pflegenotstand? Auf die Frage einer Krankenschwester, was denn gegen die Arbeitsüberlastung zu tun sei, antworteten die Aktivisten eher verlegen.
Vertrauen sei der Anfang von allem, behauptete eine deutsche Bank einmal in einem wohlklingenden Werbespot. Eine Botschaft des Weimar-Symposiums bestand in dem Misstrauen gegen derart plakativ angepriesenes Vertrauen. Wenn über Vertrauen verhandelt werden muss, hat es längst Risse bekommen.