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Kaiser Otto I. – Das unverzagte Projekt des Mittelalters

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Von: Christian Thomas

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Heute sind in Memleben Ruinen zu sehen –hier aber eine digitale Rekonstruktion. Foto: Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben
Heute sind in Memleben Ruinen zu sehen –hier aber eine digitale Rekonstruktion. Foto: Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben © Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben

Am 7. Mai vor 1050 Jahren starb Otto I. – auf Spurensuche in der Pfalz von Memleben, wo „Des Kaisers Herz“ vermutet wird.

Rundherum Ruinen, doch dabei bleibt es nicht. Auferstanden aus Resten, rekonstruiert durch ambitionierte Technik, führen hochmoderne Hilfsmittel vor Augen, wie es mal war. Wie es aussah in Memleben im frühen Mittelalter. Das Tablet bekommt man am Eingang der Kaiserpfalz geliehen, ein Smartphone bringt man womöglich mit. Scannt man dann auf der Aussichtsplattform inmitten der Anlage einen Code ein, baut sich auf dem Bildschirm ein Bauwerk auf, Stück für Stück eines aus dem 10. Jahrhundert, eine Kirche aus ottonischer Zeit, ein monumentales Bauwunder.

In diesen Tagen hineingestellt in die Anlage von Memleben stehen Besucher und Besucherinnen, umgeben von Spuren, die Steine weisen. Denn wie die Dinge liegen, handelt es sich um eine weitgehend schriftlose Zeit. Die Quellenlage – mehr als dürftig. Das Zeitalter wurde zum „saeculum obscurum“, zum undurchsichtigen Jahrhundert erklärt, so dass eine Mittelalterkapazität wie Johannes Fried, der sich stets gegen das Klischee vom „finsteren Mittelalter“ verwahrte, dennoch einräumte, dass die Ottonenzeit zu einem „düsteren Zeitalter im wahrsten Sinne des Wortes“ zählte. Und dies trotz einer strahlenden Gestalt wie Otto I., dem Memleben eine besonders ans Herz gewachsene Pfalz war.

Es war im Jahr 973, dass Otto nach mehreren Jahren in Italien zurückkehrte nach Sachsen. Vom Papst hatte er die Zusage zur Gründung des Erzbistums Magdeburg erwirkt, auf die Stadt richtete sich das für das Reich im Norden reichhaltigste symbolische Interesse des Kaisers. Auf seiner Reise durch das Kernland der Ottonen kaum angekommen in Memleben, erlitt der Herrscher eine Fieberattacke. Der Tod des Kaisers noch in der Nacht, am 7. Mai 973, vor 1050 Jahren.

Weil es der Reliquienkult so wollte, wurde der Körper des Gestorbenen umgehend ausgeweidet, darunter das Herz. Anders als die Gebeine, die nach Magdeburg verbracht wurden, soll das Herz in Memleben verblieben sein – doch wo genau? Die Frage hat der Nachwelt keine Ruhe gelassen, das Herz rumort in der Vorstellungswelt der Forschung, es animiert seit Jahrzehnten Grabungsteams an diesem Ort im Tal der Unstrut, im Bannkreis einer so hochherrscherlichen wie herrlichen Memorialanlage.

Das Herz ist eminent präsent, ohne anwesend zu sein. An das Herz, irgendwo hier und nirgendwo anders, wird geglaubt, seitdem und weil Thietmar von Merseburg es so sagte in seiner Chronik, die zwischen 1012 und 1018 entstand, so dass Thietmar die Umstände der Bestattung nur vom Hörensagen kannte. Dennoch stieg Thietmar in den Rang einer Autorität auf, trat aus einer weitgehend schriftlosen Zeit heraus als vielfach zitierter Autor, nicht anders als Widukind von Corvey, der Otto im Jahr 968, also zu dessen Lebzeiten, in seiner Sachsenchronik „das Haupt der ganzen Welt“ nannte. Widukind stand den Ottonen nahe, anders als ein Otto von Freising, der den Imperator zum Großen kürte, im Nachhinein.

Von sich selbst wusste dieser Herrscher zu sagen: Ich, Otto – „Ego Otto“: so geschrieben auf Pergament. Im Jahr 962 in Rom zum Kaiser gekrönt, führte dieser die „grundlegende Verbindung der deutschen Geschichte mit der römischen Kaiserwürde“ herbei, so zuletzt der Biograf Ottos, Matthias Becher. Die Kaiserwürde katapultierte Otto an die Seite des Papstes, als Doppelspitze des Christentums. Die Herrscherjahre Ottos wurden zur Gründerzeit von Jahrhunderte andauernden Legenden, auch Stereotypen. Es blieb nicht aus, dass ihn Chauvinisten auf den Schild hoben. Die Reichsgründergeneration von 1870/71 sah in Otto den Urheber der Deutschen. Patriotische Konstrukte, rassistische Zerrbilder bestimmten das Bild von Otto, nicht zu vergessen die „Propagandaorgien“ (Hagen Keller) der Nazis. Otto war eine monströse Projektionsfläche.

Allerdings ließe sich auch auf das folgende Vermächtnis Ottos verweisen. In Quedlinburg war es im März 973, dass Otto einen Hoftag hielt mit Vertretern aus Byzanz, Ungarn, Bulgarien, des Kiewer Reichs, mit Römern, mit Dänen, mit Slawen – es war wahrhaftig ein G8-Gipfel. Neben den christlich motivierten Feierlichkeiten war es eine Feier der Diplomatie.

Schon zuvor waren Ottos Missionare bis in die Kiewer Rus geschickt worden, ohne allerdings Erfolg zu haben. In Kiew dürfte womöglich nicht die ganze Macht Ottos wahrgenommen worden sein, seine Verbindungen bis nach England, seine beherrschende Stellung in Frankreich und Burgund, sein Prestige im christlichen Spanien und in den Kalifaten von Cordoba und Kairo. Die politischen Beobachter in Kiew dürften Ottos Italienpolitik verfolgt haben, gegen die langobardischen Herzöge, sein Vorgehen gegen den Papst. Nicht absehen ließ sich in Kiew davon, dass Otto die Dänen und, ein Ereignis von besonderer Brisanz, die Ungarn besiegt hatte, 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg. Kurz nach diesem Erfolg bemühte sich Kiews Großfürstin Olga um Kontakte zu Otto, damals noch König. Sie erbat Missionare im Namen der lateinischen Kirche, ohne Erfolg. Wer sich in Kiew allerdings sehr intensiv umschaute, war später Thietmar, als er noch ein Mönch war.

Zur Sache

Im Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben, Thomas-Müntzer-Straße 48, ist die Sonderschau „Des Kaisers Herz“ bis zum 31. Oktober zu sehen. www.kloster-memleben.de

Memleben ist eine Station auf „Des Kaisers letzte Reise“ mit vier weiteren Orten: Magdeburg, Quedlinburg, Walbeck und Merseburg. Informationen dazu unter www.mittelalterausstellungen.de und www.deskaisersletztereise.de

Wenn das Herz, wie es eine uralte, weit über das Christentum zurückreichende Überlieferung besagt, der Sitz der guten wie der schlechten Eigenschaften eines Menschen ist, dann wurde in der Marienkirche Memlebens ein äußert komplexer Charakter bewahrt. Ein Herrscherherz von ungeheurer Brutalität und erstaunlicher Milde. Nicht so in Italien, wo der Kaiser seine Interessen mittels verheerender Kriegszüge durchsetzte. Er belagerte Rom, entthronte einen Papst, setzte einen ab, verbannte einen hoch in den Norden, nach Hamburg, inthronisierte einen eigenen. Zum Gesamtpaket von Ottos Kaisertum gehörte die Investition in Institutionen, in einem Reich ohne Strukturen war Sachsen so etwas wie eine Impulsregion.

Die Promenade durch die Kaiserpfalz, die auch durch das Klausurgebäude der Benediktiner führt, belegt die Bemühungen um die Schrift in einer weiterhin schriftarmen Zeit. Was die Buchkultur angeht, gibt es museums-pädagogische Angebote. Betreffs der Architektur der Epoche ist es ein Weihestein, den zu lesen etwas aufwendiger ist. Hingewiesen wird auf einen „Gottschalk“, und wenn es so ist, dass es sich um das Mitglied der kaiserlichen Kanzlei aus Aachen handelt, dann wurde in Memleben in einem Sandstein eine Spur hinterlegt. Sie verweist auf den größten unter allen Konflikten des 11. Jahrhunderts, den Streit zwischen Papst und Kaiser, bei dem Gottschalk als Notar die Fäden zog.

So verdichtet sich auf dem Areal von Memleben eine Reise durch gewaltige Räume und ebensolche Zeiträume. Ein paar Stufen hinunter geht es in die Krypta, hinein in eine Übergangszeit, herein in einen Raum, der eine Ahnung davon gibt, dass die Romanik, herb und gedrungen, aufwärts zu streben bemüht war ins Gotische. Schon deswegen belebt Memleben die Vorstellung einer wahrhaftig nicht nur düsteren Zeit. Denn auch wenn man an diesem Ort des Christentums fest davon überzeugt war, dass man in einer Endzeit lebte und dem Jüngsten Gericht entgegen, wurde dennoch in zukunftsweisende Projekte investiert.

Auch in Memleben lässt sich dem unverzagten Projekt des Mittelalters nachspüren. Zu sehen ist eine Pflasterung, die den ursprünglichen Grundriss der ottonischen Kirche andeutet, ebenso den Stand der Säulen. „Die Dinge, die uns vor die Füße fallen, sind vielfältig“, meint der Archäologe und Grabungsleiter Holger Grönwald. Sein bemerkenswertes Understatement bezieht sich auf eine Fläche von 82 Meter Länge und knapp 40 Meter Breite, es sind die Ausmaße einer dreischiffigen Basilika mit zwei Querschiffen sowie Ost- und Westchor. Wahrhaftig ein Monumentalbauwerk, ist es in seiner Größe vergleichbar mit den erzbischöflichen Bauten in Magdeburg oder Trier.

Was in der Pfalz zuletzt vor sich ging, wird auf dem Flyer – etwas heftig – als „Tiefenfahndung“ bezeichnet und bezieht sich ausdrücklich auf eine Kabinettausstellung in einem Flügel der Klosteranlage, in einem nicht allzu großen Raum. Präsentiert werden in der Sonderschau die Fundstücke der jüngsten archäologischen Grabungen seit 2017, auf den ersten Blick „wenig spektakuläre Objekte“, wie die Museumsleiterin Andrea Knopik einräumt, wohl aber solche von beträchtlicher Aussagekraft. Memlebens Kaiserpfalz, die im Mittelalter ein weitgehend unbeschriebenes Blatt blieb, äußert sich still durch Hervorbringungen der Archäologie, etwa durch zwei Kämme. Durch einen kleinen Flaschenhenkel, was Fertigkeiten bei der Herstellung von Glas verlangte. Durch eine Scherbe, solo in einer Vitrine, die etwas über das Geschick der Slawen im Umgang mit Keramik sagt. Oder das der Sachsen? Zu welcher Identität bekannte sich derjenige Mensch, von dem wir ein Skelett sehen?

Innerhalb der Mittelalterregion wird an fünf Orten an „Des Kaisers letzte Reise“ erinnert, in Magdeburg, Quedlinburg, Merseburg, Walbeck – in Memleben holpert man über das Kopfsteinpflaster der Thomas-Müntzer-Straße. Der Name gewidmet einem der Bauernführer während des großen Aufruhrs in den 1520er Jahren in Deutschland. Der „Exeget des chiliastischen Geistes“ (Ernst Bloch), der Aktivist einer ultimativen Endzeitstimmung erinnert außerdem daran, dass die Fähnlein der Bauern auch durch die Kaiserpfalz plündernd zogen. Ein Garaus auch für das Archiv des Klosters, das niederbrannte.

Trotz alledem in Memleben Reste eines steinernen Bauwunders. Der Stein, so zeigt es die Visualisierung auf Tablet oder Smartphone, wurde weitgehend hell verputzt. Es geschah, um ein Monumentalbauwerk ins Monumentale zu steigern. In Memleben aufgestoßen ein schmaler Spalt ins Mittelalter. Dadurch Einblicke in eine sagenhafte Geschichte, eine Mär aus alten Zeiten. Modern an der ganzen Sache, dass das Ende offen ist. Die Herzenssache hier ist das unvollendete Projekt von Memleben.

Otto I. (912-973).
Otto I. (912-973). © Imago
Die Krypta in Memleben. Foto: Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben
Die Krypta in Memleben. Foto: Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben © Stiftung/Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben

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