1. Startseite
  2. Kultur
  3. Gesellschaft

Jürgen Habermas: Warnung vor dem Weltkrieg

Erstellt:

Von: Michael Hesse

Kommentare

Philosoph Jürgen Habermas plädiert für Friedensverhandlungen. Rechts der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD).
Philosoph Jürgen Habermas plädiert für Friedensverhandlungen. Rechts der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). © imago/photothek

Der Philosoph Jürgen Habermas warnt in einem erneuten Beitrag vor der Gefahr eines Weltkrieges. Die Waffenlieferungen hätten eine nicht zu unterschätzende Eigendynamik.

Jürgen Habermas ist ein großer Denker. Schon Jacques Derrida staunte über seine Berühmtheit. Ob in Japan oder Brasilien oder den USA, Habermas gilt überall als einer der letzten verbliebenen großen deutschen Philosophen. Er ist einer, der sich oft zu Wort meldet. Vor einigen Jahren hat er einen gigantischen Streifzug durch die Philosophie von Platon bis, ja bis zu ihm selbst angetreten. „Auch eine Geschichte der Philosophie“ heißt das bei Suhrkamp erschienene Großwerk. Und soeben hat er sich erneut in die Debatte über die westlichen, besonders aber deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine eingemischt. Und hier ist er deutlich schärfer als in seinem vorhergehenden Beitrag. Er warnt nun in der „Süddeutschen Zeitung“ vor der Gefahr eines Weltkrieges.

„Der Krieg zieht sich hin, die Zahl der Opfer und der Umfang der Zerstörungen schwellen an. Soll nun die Eigendynamik unserer aus guten Gründen geleisteten militärischen Hilfe ihren defensiven Charakter abstreifen, weil nur ein Sieg über Putin das Ziel sein kann?“, fragt Habermas in der SZ. „Das offizielle Washington und die Regierungen der anderen Nato-Mitgliedsstaaten waren sich von Anbeginn einig, vor dem point of no return – dem Kriegseintritt – haltzumachen.“

Habermas deutet in diesem Kontext das Zögern des US-Präsidenten Joe Biden als eine Bestätigung der Haltung, die auch der deutsche Kanzler Scholz eingenommen habe. Und dieses Zögern sei „offensichtlich strategisch und nicht nur technisch begründet“.

Doch Habermas erkennt einen Wendepunkt in der Debatte, „seitdem sich auch China zur Ächtung des Einsatzes von ABC-Waffen bekannt hat“. Nun sei diese Sorge in den Hintergrund gerückt, so Habermas. Der mittlerweile 93 Jahre alte Philosoph und Soziologe warnt deshalb eindringlich: „Aus der Perspektive eines Sieges um jeden Preis hat die Qualitätssteigerung unserer Waffenlieferungen eine Eigendynamik entwickelt, die uns mehr oder weniger unbemerkt über die Schwelle zu einem dritten Weltkrieg hinaustreiben könnte.“

Die Sorge des Weltgeistes aus Gummersbach scheint groß zu sein, dass man nun wie vor dem Ersten Weltkrieg quasi in einen neuen Weltkrieg hineintaumelt. Bei dem Theoretiker der kommunikativen Vernunft ist jedes Wort wohlbedacht, umso erstaunlicher ist es, dass er den Buch-Titel des Historikers Christopher Clark „Die Schlafwandler“ abwandelt, um den derzeitigen Weg der westlichen Staaten zu beschreiben: „Das Schlafwandeln am Rande des Abgrundes wird vor allem deshalb zu einer realen Gefahr, weil die westliche Allianz der Ukraine nicht nur den Rücken stärkt, sondern unermüdlich versichert, dass sie die ukrainische Regierung so ,lange wie nötig‘ unterstützt und dass die ukrainische Regierung allein über Zeitpunkt und Ziel möglicher Verhandlungen entscheiden kann“, schreibt Habermas.

Bereits Clark war für den Gebrauch des Wortes „Schlafwandler“ kritisiert worden. Er bezog sich damit auf eine Aussage des damaligen britischen Kriegspremiers Lloyd George, die Staaten seien in den Weltkrieg unbeabsichtigt „hineingeschlittert“. Ein früherer guter Bekannter und Gummersbacher Schulfreund von Habermas, der Historiker Hans-Ulrich Wehler, hatte Clark massiv dafür kritisiert. Denn man verschleiere so besonders die deutsche Schuld an dem Kriegsausbruch im Juli 1914. Habermas scheint sich nun daran nicht zu stören. Und so unterstellt er der internationalen Staatengemeinschaft eine ähnliche Sorglosigkeit wie dem imperial ausgerichteten Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg.

Habermas wendet sich gegen einen unbedachten Bellizismus. Was er fordert, sind Friedensverhandlungen. Die Staaten würden sich über die Notwendigkeit täuschen, „eigene Initiativen für Verhandlungen zu ergreifen“. Und hier wiederholt er ein Argument, das nicht nur von der Ukraine scharf kritisiert wird, nämlich über den Kopf des angegriffenen Landes zu einer Verhandlungslösung zu kommen. „Einerseits ist es trivial, dass nur eine am Krieg beteiligte Partei über ihr Kriegsziel und gegebenenfalls über den Zeitpunkt von Verhandlungen bestimmen kann. Andererseits hängt es auch von der Unterstützung des Westens ab, wie lange die Ukraine überhaupt durchhalten kann“, schreibt er.

Und die Ausgangslage für den Westen sei doch klar, so Habermas. Der Westen müsse nun einmal wichtige Entscheidungen selber treffen und verantworten. Das zeige sich an jener Situation, „die er am meisten fürchten muss – nämlich die erwähnte Situation, in der ihn eine Überlegenheit der russischen Streitkräfte vor die Alternative stellen würde, entweder einzuknicken oder zur Kriegspartei zu werden“.

Das aber sei nicht der einzige Grund, der zur Eile gemahne, es gebe auch näherliegende Gründe wie die Erschöpfung von personellen Reserven und kriegsnotwendigen materiellen Ressourcen, weshalb die Zeit zu Verhandlungen dränge, so Habermas. Man dürfe den Zeitfaktor nicht unterschätzen.

Es sei kein Zufall, dass dieser schwelende Konflikt jetzt auf Klärung dränge. Ganz offensichtlich zieht Habermas starke Parallelen zum Ersten Weltkrieg. So zitiert er einen leitenden Nato-Funktionär, der sich zu dem verlustreichen Stellungskrieg um Bachmut im Norden des Donbass äußert: „Es sieht dort aus wie in Verdun.“

Seit Monaten sei der Frontverlauf eingefroren. Es erinnere ihn an Darstellungen des Grauens an der Westfront von 1916, betont er: „Soldaten, ,die sich an die Kehle gehen‘, Berge von Toten und Verwundeten, die Trümmer von Wohnhäusern, Kliniken und Schulen, also die Auslöschung eines zivilisierten Lebens – darin spiegelt sich der destruktive Kern des Krieges, der die Aussage unserer Außenministerin, dass wir ,mit unseren Waffen Leben retten’, doch in ein anderes Licht rückt.“ Auch die Differenzierung, ob man nun von einem Sieg der Ukraine über Russland oder davon spreche solle, dass die Ukraine den Krieg gegen den Aggressor nicht verlieren dürfe, ist aus seiner Sicht von Bedeutung. Dieser begrifflich ungeklärte Unterschied habe zunächst mit einer Parteinahme für oder gegen Pazifismus wenig zu tun, wägt er ab. Die rhetorische Nuancierung zwischen den Formulierungen, den Krieg „nicht zu verlieren“ oder „zu gewinnen“, trenne nicht schon Pazifisten von Nicht-Pazifisten, argumentiert er.

Habermas, der für die Theorie eintritt, dass sich moralische Einsichten aus dem herrschaftsfreien Diskurs gewinnen lassen, betont: „Es sind vor allem moralische Gründe, die auf ein Ende des Krieges drängen.“ Er plädiert daher für eine Lösung im Sinne von „erträglichen Kompromissen“. Dem Westen gibt er eine moralische Mitverantwortung für Opfer und Zerstörungen. Die Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörung müssten im Blick gehalten werden, fordert er.

Aber abgesehen davon, ob Verhandlungen mit Putin überhaupt möglich sind, muss auch Habermas sich der Frage stellen, ob mit einem Friedensschluss mit Russland Dämonen in der Zukunft heraufbeschworen werden, die noch weitaus schlimmer wüten, als es nun in der Ukraine der Fall ist.

Auch interessant

Kommentare