„Jüdin zu sein, ist keine Qualifikation“

Hetty Berg, neue Direktorin des Jüdischen Museums in Berlin, über den Kampf gegen Stereotype und die Bedeutung von Begegnungen.
Frau Berg, wie ist es, an ein Haus zu kommen, das eigentlich offenstehen sollte, aber nun geschlossen ist?
Es ist sehr schade – ich hatte mir meinen Start natürlich ganz anders vorgestellt. Anstatt meinen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an meinem ersten Arbeitstag persönlich zu begegnen, habe ich sie per Videokonferenz begrüßt. Und jetzt fehlen mir die Geräusche, die Besucher, das Leben im Haus. Aber wir haben viel zu tun. Wir arbeiten mit aller Kraft daran, die Dauerausstellung und auch die Kinderwelt Anoha fertigzustellen.
Schaffen Sie das zum ursprünglich angesetzten Termin am 17. Mai?
Nein, es hat Verzögerungen gegeben, zum Beispiel bei Lieferungen aus dem Ausland für die Dauerausstellung. Die Grenzen sind ja zu. Es steht auch noch kein neuer Termin fest. Aber wir wollen natürlich so schnell wie möglich das Museum wieder öffnen und unsere neuen Ausstellungen zeigen.
Die Amtszeit Ihres Vorgängers endete mit einem Eklat. Damals wurde auch deutlich, wie sehr das Jüdische Museum unter Beobachtung steht, wie verschiedene Interessengruppen versuchen, darauf Einfluss zu nehmen. Die israelische Regierung zum Beispiel, der Zentralrat der Juden. Wie wollen Sie damit umgehen?
Das Jüdische Museum Berlin ist ein wichtiges Haus, es ist eines der größten Jüdischen Museen Europas. Die vergangene Debatte um das Museum hat seine besondere Bedeutung in der deutschen Gesellschaft gezeigt. Das ist auch etwas Positives.
Wie würden Sie mit solchen Einmischungsversuchen umgehen?
Dieses Museum ist ein Bundesmuseum, eine unabhängige Institution. Anders als in Polen oder Ungarn, wo die Regierungen sich in das kulturelle und wissenschaftliche Leben einmischen. Da kann Deutschland ein Vorbild sein. Es ist wichtig, dass offen diskutiert werden kann, auch in diesem Haus, aber mit Respekt. Und ohne dass Debatten von irgendeiner Seite instrumentalisiert werden.
Ist es das Gleiche, in einem Jüdischen Museum in Holland oder nun in Deutschland zu arbeiten?
Nein. Das Umfeld in Deutschland ist ganz anders, die Geschichte, der Kontext. Das macht es aber auch spannend. Das Haus in Berlin hat eine besondere Rolle in der Gesellschaft und eine symbolische Bedeutung. Das Jüdische Museum Berlin ist im Jahr 2001 vor dem Hintergrund der Shoa, des Nationalsozialismus gegründet worden. Es ist ein Statement dafür, dass es für die deutsche Gesellschaft wichtig ist, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Das Museum in den Niederlanden ist schon in den 1930er Jahren gegründet worden. Das ist ein großer Unterschied.
Worin sehen Sie die Aufgabe des Museums?
Das Museum bewegt sich in einem interessanten Spannungsfeld: Zum einen hat es die Aufgabe, die Geschichte und Kultur der Juden in Deutschland zu vermitteln. Zum anderen ist es auch wichtig, die dynamischen und komplexen Entwicklungen der deutschen Gesellschaft aus jüdischer Perspektive aufzugreifen. Hier leben so viele Gruppen zusammen, die so wenig voneinander wissen.
An wen richtet sich das Museum?
Es richtet sich an alle, die sich mit jüdischer Kultur und Geschichte beschäftigen wollen: an Juden und Nichtjuden. Die Geschichte der Juden in Deutschland ist eine gemeinsame Geschichte. Mir ist es jedoch wichtig, die Kontakte zur Jüdischen Gemeinde und den jüdischen Gemeinschaften auszubauen. Sie sollen sich hier im Haus willkommen fühlen. Ich möchte alle gleichermaßen anziehen und einbeziehen.
Zur Person:
Hetty Berg , 1961 in Den Haag geboren, ist seit dem 1. April 2020 Direktorin des Jüdischen Museums Berlin. Zuvor war sie mehr als 30 Jahre lang am Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam tätig. Seit 2002 wirkte sie dort als Chefkuratorin und Mitglied des Museumsmanagements am Aufbau des Jüdischen Kulturviertels mit. Das Jüdische Museum in Berlin mit rund 160 Beschäftigten und einem Etat von 19 Millionen Euro war fast ein Jahr lang ohne Leitung.
Können Sie schon konkrete Vorhaben nennen?
Unsere neue Kinderwelt Anoha spielt dabei eine wichtige Rolle: Wir schaffen damit einen neuen dauerhaften Ort für Familien und Kinder zwischen drei und zehn Jahren. Im Zentrum steht die Geschichte der Arche Noah, die das Judentum mit dem Christentum und dem Islam verbindet. Flutgeschichten gibt es in vielen Kulturen. Wir hoffen, dass Anoha ein neuer Anziehungspunkt im Kiez wird und eine Möglichkeit für einen ersten Kontakt mit dem Museum. Und wir hoffen, dass in Zukunft mehr Berliner kommen.
War das bisher nicht so?
Rund 75 Prozent unserer Besucherinnen und Besucher kommen bisher aus dem Ausland, 15 Prozent aus anderen Teilen Deutschlands. Aus Berlin kommen im Verhältnis also nur wenige. Schon vor Corona war es mein Ziel, mehr Deutsche und mehr Berliner in das Museum zu holen.
In den vergangenen Jahren sind viele junge Israelis nach Berlin gekommen, aber auch viele Juden aus anderen Ländern. Es gibt Yael Ronen am Gorki-Theater, es gibt die Musiker von Shtetl Neukölln. Es ist eine sehr lebendige Szene. Interessiert Sie das?
Das ist etwas, das mich auch nach Berlin gezogen hat: Die Vielfalt des jüdischen Lebens, all diese Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, die ihre jeweils eigene jüdische Identität haben – das ist sehr spannend. Ich möchte, dass das Haus dafür Raum bietet und auch die nicht-jüdischen Besucher diese Lebendigkeit spüren.
Sie müssen Ihre Bewerbung schon abgeschickt gehabt haben, als der Anschlag auf die Synagoge in Halle passiert ist. Sehen Sie den Kampf gegen den Antisemitismus als Aufgabe an?
Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass sich so etwas wieder ereignet. Dass sich die Lebenswirklichkeit von Juden in Deutschland so ändert, dass sie sich wieder bedroht fühlen. Hier sehe ich für das Museum und für mich als Direktorin eine wichtige Aufgabe, nämlich gegen vorhandene Stereotype zu kämpfen und Vorurteile abzubauen. Unsere Programme sollen die Besucher mit der jüdischen Kultur und Geschichte bekannt machen. Das wird auch in der neuen Dauerausstellung eine Rolle spielen. Diese Begegnung ist wichtig, auch in unserer Bildungsarbeit mit Schülern.
Was haben Sie für Ideen für das Museum?
Ich kann mir eine große Familien-Ausstellung über den Illustrator Maurice Sendak vorstellen, sein Buch „Wo die wilden Kerle wohnen“ steht in vielen Kinderzimmern. Oder eine Ausstellung über Chaim Soutine, der als Maler zum Kreis von Modigliani und Chagall gehört hat. Oder auch über den russischen Künstler Grisha Bruskin, dessen Triptychon im Bundestag hängt.
Ihren Vorgänger im Amt traf der Vorwurf, das Museum vertrete die jüdischen Interessen nicht angemessen. Es hieß, das Haus würde wohl besser von einem Juden geleitet. Sie selbst kommen nun aus einer jüdischen Familie. Macht es diese Arbeit leichter?
Für mich persönlich ist es wichtig, dass ich Jüdin bin. Dass ich seit 30 Jahren in einem Jüdischen Museum arbeite, hat viel damit zu tun. Es nährt meine Arbeit. Aber es ist keine Qualifikation. Der Leiter oder die Leiterin eines Jüdischen Museums muss sich in jüdischer Geschichte und Kultur gut auskennen – und auch in der Museumsarbeit.
Sie haben jahrzehntelang im Jüdischen Museum in Amsterdam gearbeitet, im Jüdischen Viertel dort, aber Sie sind auch ausgebildete Balletttänzerin. Spielt das in Ihrem Leben noch eine Rolle?
Ich habe vier Jahre lang eine Ausbildung als Ballettlehrerin gemacht, da kommt es auf Disziplin und Ausdauer an. Das ist etwas, das ich immer noch sehr gut nutzen kann.
Interview: Susanne Lenz