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Ist die Documenta noch zu retten?

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Von: Lisa Berins

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Die Kunst spielt auf der documenta fifteen bisher keine große Rolle. Foto: Uwe Zucchi/dpa
Die Kunst spielt auf der documenta fifteen bisher keine große Rolle. Foto: Uwe Zucchi/dpa © Uwe Zucchi/dpa

Der Aufsichtsrat tagt in einer außerordentlichen Sitzung. Es gibt viel zu besprechen - nicht nur den Fall Sabine Schormann. Von Lisa Berins

Wie geht es weiter mit der Kasseler Weltkunstausstellung? Am Freitagabend hat sich der Documenta-Aufsichtsrat zu einer außerplanmäßigen Sitzung getroffen, in der das ganze Schlamassel auf den Tisch kommen sollte. Der verschleppte Umgang mit Antisemitismusvorwürfen, mögliche neue Strukturen der Documenta und eine eventuell größere Einflussnahme des Bundes, das fragwürdige Statement der Generaldirektorin – überhaupt, die Zukunft von Sabine Schormann. Dass von der Sitzung viel Entscheidungsfreude zu erwarten war, konnte aber im Vorfeld bezweifelt werden. Denn im Aufsichtsrat herrschen mitunter verschiedene Auffassungen darüber, was gut für die Documenta ist.

Noch vor dem Treffen hatte die hessische Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) versucht, den Aufsichtsrat auf ein gemeinsames Vorgehen einzuschwören, um „den für die Kunstausstellung entstandenen Schaden zu minimieren“. Ihre Forderungen: Aufarbeitung der Fehler, Klärung der Verantwortlichkeiten, die Installation eines Expertengremiums und neuer Strukturen, die auch einen stärkeren Einfluss des Bundes nicht ausschließen. Dass eine neue Fahrtrichtung überfällig ist, wurde in den vergangenen Wochen mehr als deutlich.

Weiterer tragischer Höhepunkt der Verfehlungen war am Dienstag der klägliche Selbst-Rettungsversuch von Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann, die sich in ihrem Statement hinter wirren Aussagen verschanzte: Ihr zögerliches Handeln, die Absage der Gesprächsreihe vor Beginn der Documenta - ein sorgsam abgewägtes Nichthandeln im Sinne der Kunstfreiheit also? Daneben hantierte sie mit allerlei Behauptungen, die mittlerweile von anderen Beteiligten widerlegt wurden: Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, der als Berater der Documenta weitere Werke prüfen sollte, bezeichnete Schormanns Stellungnahme im Gespräch mit der FR als eine „Verdrehung von Tatsachen“: Unter anderem, weil ihm als externer Berater ein zensorisches Vorgehen in die Schuhe geschoben werden sollte. Emily Dische-Becker, eine Journalistin, die auch für das Recherchekollektiv Forensic Architecture arbeitet, hatte von einer „irreführenden Darstellung“ gesprochen. Schormann hatte behauptet, Dische-Becker habe die Koordination eines Beraterteams übernommen – wovon Dische-Becker aber offensichtlich nichts wusste.

Dann riss bei Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) der Geduldsfaden. Am Donnerstag meldete sie sich über ihren Sprecher zu Wort, um sich von Schormann zu distanzieren. Die Darstellungen der Documenta-Chefin zum Ablauf der vergangenen Monate seien „so nicht zutreffend“, sie sei „erstaunt und befremdet“, hieß es. Und als ob dies alles nicht schon genug Eklat wäre, veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ am Freitag einen Bericht, in dem beschrieben wurde, wie die Guides der Documenta offensichtlich schon lange vor Eröffnung der Ausstellung auf mögliche Nachfragen nach Antisemitismus geschult wurden; anstatt aufzuklären sei dort angeleitet worden, wie man Vorwürfe „beiseiteräumen“ könne.

Es ist einfach der Wurm drin, könnte man mit gesammelter Flapsigkeit sagen. Jeden Tag werden neue Skandälchen und Skandale zutage gefördert, die dem Dilemma noch eins oben drauf setzen. Die Documenta ist auf dem Weg zum Worst-Case-Szenario. Ihre Leitung ist offensichtlich schon lange nicht mehr haltbar.

Dennoch war es am Freitag zunächst nicht wahrscheinlich, dass der Aufsichtsrat die Kündigung der Generaldirektorin beschließen würde; denn dafür müssten konkrete, im besten Fall juristisch geprüfte Verfehlungen der Documenta-Chefin nachgewiesen werden. Und das scheint, so absurd es klingt, bisher nicht der Fall zu sein.

Wie also soll die Documenta nun gerettet werden? Kulturstaatsministerin Claudia Roth klopft schon seit einiger Zeit an die Tür. Sie hat einen Fünf-Punkte-Plan ausgearbeitet, der im Kern eine grundlegende Strukturreform vorsieht und mehr Einfluss des Bundes bei Entscheidungen fordert. Im Notfall könnte auch der Geldhahn zugedreht werden. Der Bund fördert die Ausstellung nach wie vor mit 3,5 Millionen Euro, hatte sich mit der Bundeskulturstiftung aber 2018 aus dem Aufsichtsrat der Documenta zurückgezogen. Angela Dorn, die auch stellvertretende Vorsitzende im Documenta-Aufsichtsrat ist, sympathisiert durchaus mit diesen Plänen - aber das tun nicht alle.

Die Idee, dass der Bund in Zukunft stärker mitmischen könnte, war bisher nicht nach dem Geschmack des Kasseler Oberbürgermeisters und Documenta-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Geselle (SPD). Er hatte Ende Juni sogar extra einen Brief an die Kulturstaatsministerin verfasst und sich darin gegen ihren „Angriff auf die Documenta“ gewehrt. Er würde die Documenta lieber in „lokaler Verantwortlichkeit“ belassen, die sie schließlich zu dem gemacht habe, was sie heute sei. Dass diese „lokale Verantwortlichkeit“ aber auch den Absturz einer der international wichtigsten Ausstellungen für Gegenwartskunst vorantreiben kann, wäre mit der documenta fifteen eindrücklich demonstriert. Ob ein Eingreifen des Bundes per se hilft - das ist eine andere Frage, über die sich streiten lassen wird.

Aber da wäre ja auch noch ein weiteres Problem, das seine Sprengkraft bisher noch gar nicht so recht entfaltet hat: die noch nicht aufgearbeitete Dimension der israelfeindlichen Verstrickungen von Documenta-Mitarbeitenden, Künstlerinnen und Künstlern. Die „Welt“ hatte diese Woche mit Berufung auf eine Auflistung des ehemaligen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Kassel, Markus Hartmann, berichtet, dass die Zahl wohl doch wesentlich größer sein soll als bisher angenommen. Man erinnert sich: Schon vor Eröffnung der Documenta war vor einer Nähe vieler Akteure zur Israel-Boykottbewegung BDS gewarnt worden. In diesem Zusammenhang ist dann auch Claudia Roth in die Kritik geraten, die sich 2019 im Bundestag gegen eine Resolution gestellt hatte, die die BDS-Bewegung als antisemitisch einstufte.

Kurz gesagt: Die Misere ufert aus, der Aufsichtsrat muss unbedingt Entscheidungen auf den Weg bringen - und zwar schnell. Strukturelle Reformen und ein rascher Einsatz eines Expertengremiums wären unbedingt nötig, eine neue Documenta-Chefin sowieso. Aber: Ob das alles noch zur rechten Zeit kommt? Es wäre mehr als zu wünschen. Die Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die in Kassel ausstellen und über die bisher kaum berichtet wurde, hätten es jedenfalls verdient.

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