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Interimschef Ferdinand von Saint André: „Das große Ganze im Blick halten“

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Von: Lisa Berins

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Abgebaute Kunst des Kollektivs Taring Padi auf der documenta fifteen.
Abgebaute Kunst des Kollektivs Taring Padi auf der documenta fifteen. © Peter Hartenfelser/Imago

Ferdinand von Saint André, Interimsgeschäftsführer der Documenta, über einen schwierigen Neuanfang und die Tücke im Detail.

Herr von Saint André, Sie sind dabei, einen Neuanfang bei der Documenta gGmbH mit einzuleiten und haben die Gutachten zur documenta fifteen dazu auf dem Tisch liegen. Was können Sie Wegbereitendes tun, bevor Sie die Geschäftsführung Ende März abgeben?

Derzeit analysieren wir den Bericht der fachwissenschaftlichen Begleitung und das rechtswissenschaftliche Gutachten. Es ist wichtig, dass sich die Verantwortlichen der documenta fifteen rückbesinnen und das Geschehen aufarbeiten, wir müssen der Verunsicherung begegnen und neue Grundlagen und Leitlinien schaffen. Wir steuern außerdem auf eine Organisationsentwicklung zu, mittels der auch die Erkenntnisse aus den Gutachten in die Praxis übertragen werden sollen.

Wann geht es los mit den Vorbereitungen für die Documenta 16?

Es geht auf allen Ebenen noch stark um die Aufarbeitung, der nächste Schritt ist dann die Aufstellung der Findungskommission.

Es werden schon Personen gesucht, die die Findungskommission bestimmen sollen, richtig?

Korrekt, es geht um die Findung der Findungskommission. Dazu sind die Leitungen der vergangenen Documenta-Ausstellungen gefragt worden. Sie haben die Aufgabe, Persönlichkeiten auszusuchen, die die Findungskommission stellen könnten. Diese Vorschläge müssen dann vom Aufsichtsrat angenommen werden.

Die Künstlerische Leitung der documenta fifteen, Ruangrupa, ist daran aber nicht beteiligt?

Ruangrupa ist daran nicht beteiligt. Das Kollektiv hat die Beteiligung abgelehnt. Sie waren einfach zu nah dran. Zu der Zeit, als wir darüber gesprochen haben, waren sie noch als Künstlerische Leitung installiert. Es erscheint auch richtig, Persönlichkeiten mit einem etwas größeren zeitlichen Abstand zu involvieren.

Gefragt wurde Ruangrupa?

Ja. Als ich als Geschäftsführer hinzukam, war die Idee da, sie lag auf dem Tisch. Sie war entwickelt worden, weil in der Vergangenheit die Frage, wie transparent die Findungskommission benannt wurde, kritisch betrachtet wurde. Und da schien es schlüssig zu sein, ein durch sich heraus legitimiertes Gremium zusammenzustellen, das hocherfahren ist.

Das heißt, es war mehr oder weniger Glück, dass das Kollektiv abgesagt hat. Sonst hätte man wohl kaum von einem echten Neustart sprechen können…

Es wurde meines Wissens gar nicht weiter erörtert, inwieweit es sinnvoll gewesen wäre, wenn Ruangrupa bei der Findung einbezogen worden wäre. Sicherlich hätte eine Teilnahme von Ruangrupa in der jetzigen Lage aber die breite Akzeptanz des Ergebnisses gefährdet. Mit der Aufgabe, eine Findungskommission vorzuschlagen betraut sind jetzt Catherine David, Carolyn Christov-Bakargiev, Roger Buergel und Adam Szymczyk.

Wann wird sich die Findungskommission zusammenfinden, um über die Künstlerische Leitung der die Documenta 16 zu beraten?

Wenn es nach einem idealen Zeitplan ginge, wäre es gut, die nächste Findungskommission könnte sehr bald ihre Arbeit aufnehmen. Man geht davon aus, dass 3,5 Jahre für die Vorbereitung einer Documenta erforderlich sind. Der große Unterschied zwischen der Documenta und einer Biennale ist ja, dass sich die Kuratorenpersönlichkeit und das ganze Team über diesen längeren Zeitraum mit Haut und Haar in die Arbeit stürzen. Dadurch wird eine ganz andere Durchdringung erreicht als bei einer Biennale. Das hat eine große Bedeutung für die Relevanz der Documenta.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Lehren aus dem fachwissenschaftlichen Gutachten?

Was mir sehr eingeleuchtet hat, ist die Antisemitismusherleitung und das detaillierte und gut aufbereitete Eingehen auf die Bildsprache. Ich denke, das wird auch für die Zukunft hilfreich sein. Was die Strukturen betrifft, ist klar geworden, dass eine Findungskommission eine Findungskommission ist, und nicht auch noch ein Beirat. Auch, dass dem Aufsichtsgremium Fachlichkeit aus Kunst und Kultur guttut, ist eine Erkenntnis, die von allen Seiten begrüßt wird.

Sie haben den Betrieb im beruhigten Krisenmodus erlebt, das Schlimmste war schon vorbei, als Sie Interimsgeschäftsführer wurden, die documenta fifteen war beendet. Was ist Ihr Eindruck von der Arbeit bei der gGmbH, finden Sie sich in den Strukturen zurecht?

Ich habe eine Hochachtung vor der Organisationsleistung, die es bedeutet, wenn eine relativ kleine Einrichtung auf über 1000 Mitarbeitende anwächst. Bei der documenta fifteen kamen dann noch mal zusätzlich ca. 1500 Künstlerinnen und Künstler hinzu. Das Kernteam, das sind etwa 30 Personen, nehme ich als sehr professionell und kompetent arbeitend wahr. Und deshalb ist es auch eine Freude für alle, diese Lerneffekte zu durchlaufen und sich darauf einzulassen. Meine Motivation herzukommen lag auch darin, mich dafür einzusetzen, die Idee der Documenta als möglichst freien Gestaltungsraum offen zu halten. Das tut einer Gesellschaft gut. Wer weiß, vielleicht werden wir retrospektiv sagen, dass die documenta fifteen einiges bewirkt hat, so hart das jetzt auch klingt.

Auf Ihren Nachfolger Andreas Hoffmann, der im Mai anfängt, wartet eine große Aufgabe. Was wünschen Sie ihm?

Er muss einen kühlen Kopf bewahren, sich nicht hinreißen lassen zu schnellen Lösungen, das große Ganze im Blick halten. Das wird Herrn Hoffmann mit seiner Expertise sicher gut gelingen.

Die Geschäftsführung sollte sich zukünftig stärker einmischen, als es bei der documenta fifteen der Fall war und die Arbeit der künstlerischen Leitung verantwortungsvoll und kritisch begleiten – zumindest fordern das die Gutachten.

Genau. Man muss aber auch darauf achten, dass es nicht eine nahezu unmögliche Rolle wird. Das Anforderungsprofil ist deutlich komplexer geworden, das wird in den Gutachten formuliert. Aber ich denke, man muss auch darauf aufpassen, die Grundlagen der Documenta und die Bedingungen in der Praxis dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, darum muss es in der nun anstehenden Organisationsentwicklung gehen.

Interview: Lisa Berins

Ferdinand von Saint André führt seit Oktober 2022 die Geschäfte der Documenta. Foto: Nicolas Wefers
Ferdinand von Saint André führt seit Oktober 2022 die Geschäfte der Documenta. Foto: Nicolas Wefers © Nicolas Wefers

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