Digitaler Konsum: Welche Handy-Anzahl ist vertretbar?

Wer sich oft ein neues Handy kauft, gilt als allzu konsumfreudig. Was steckt hinter solchen Vorwürfen? Die Kolumne „Update“.
Frankfurt - Mein erstes Handy kaufte ich 1999, ein Siemens C25. Mein aktuelles Handy ist mein siebzehntes. Manche Handys hatte ich nur ein paar Wochen aus Unfall-Überbrückungsgründen; sie wurden vorher und nachher von anderen genutzt. Aber auch nach Bereinigung der Statistik komme ich auf nicht mehr als zwei Jahre pro Gerät. Anfangs machte ich mir darüber keine Gedanken. Ich hatte einen Mobilfunkvertrag, bei dem ich alle zwei Jahre zur Vertragsverlängerung ein neues Handy bekam. Das war auch nötig, weil das Vorgängerhandy zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend defekt war.
Im Nachhinein frage ich mich zwar, was an den schlichten Geräten von damals überhaupt kaputtgehen konnte. Aber ich weiß, dass es so war und dass ich gegen Ende der zwei Jahre nervös wurde, ob das Handy noch bis zur Vertragsverlängerung durchhalten würde. Die Zeit der Gratishandys endete für mich 2008 mit meinem ersten Smartphone. Meine Geräte aber gaben weiterhin nach spätestens zwei Jahren den Geist auf. Nur ein einziges hat mich fast vier Jahre lang begleitet.
Handy und Nachhaltigkeit: Trifft die Neukauf-Rüge zurecht?
Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht irgendwo lange Texte darüber sehe, wie unnachhaltig dieser häufige Handyneukauf ist. Und immer muss ich mich in diesen Artikeln für Wünsche beschimpfen lassen, die ich gar nicht habe: „Das Verlangen nach dem neuesten Modell muss sofort gestillt werden“ oder „So ein schickes neues Gerät [verspricht] kurzfristig mehr Spaß“.
Dabei hatte mein Neukauf selten mit Spaß zu tun und meistens damit, dass das Display des vorhandenen Geräts zersplittert war, der Akku nur noch eine Stunde durchhielt, oder es seit Jahren keine Betriebssystem-Updates mehr gab. Letzteres führt dazu, dass sich viele Apps nicht mehr installieren lassen, außerdem macht es das Handy anfällig für Sicherheitsprobleme.
Das iPhone-Phänomen: Vier mal so tuer - vier mal so lange Lebenserwartung
Falls Sie ein iPhone besitzen, werden Sie jetzt wahrscheinlich einwenden, dass Ihr Telefon schon viel länger hält als zwei Jahre. Ich hatte noch nie ein iPhone und habe erst während der Recherche zu dieser Kolumne gemerkt, dass man für den vierfachen Preis tatsächlich ein Handy bekommt, das viermal so lange hält oder das man zumindest zähneknirschend reparieren lässt. In den Kaufbeschämungsartikeln steht aber nie „Kaufen Sie halt ein iPhone“.
Es steht dort aus gutem Grund nicht. Unter anderem würde es so wirken, als wüsste der Autor oder die Autorin nicht, dass sich viele Menschen kein iPhone leisten können. (Ich gehöre nicht dazu, das Kolumnieren wird anständig bezahlt. Ich bin nur bei meinem allerersten Smartphone aus historischen Gründen in die Android-Welt geraten und dann dort geblieben.)
Handybeschmähung: Sind Privatpersonen leichter zu kritisieren als BP?
Im Zusammenhang mit dem CO2-Fußabdruck ist in den vergangenen Jahren bekanntgeworden, dass das Konzept auf eine Kampagne des Ölkonzerns BP zurückgeht, der damit die Verantwortung von der fossilen Brennstoffindustrie auf Privatpersonen zu verschieben versucht hat. Vielleicht stehen hinter der Handykaufbeschämung ähnliche industrielle Interessen. Eine einfachere Erklärung wäre, dass es leichter ist, Privatleute zu kritisieren, wenn man den Auftrag bekommt, einen Text über Handynachhaltigkeit abzuliefern.
Die Empfehlungen in diesen Texten sind zwar sinnlos („Lassen Sie Ihr Handy einfach nicht runterfallen, dann hält es auch länger“), aber unkompliziert. Man muss dafür nicht lange recherchieren, macht sich nicht bei der potenziellen Anzeigenkundschaft unbeliebt und braucht niemanden zu politischem Handeln aufzufordern.
Das nachhaltige Handy: Bringt Fairphone die Lösung?
Eigentlich wollte ich mich an dieser Stelle über das „modulare Handy“ lustig machen, das in den Beschämungstexten manchmal als Lösung auftaucht. Das Konzept ist seit fünfzehn Jahren immer wieder gescheitert, am spektakulärsten zwischen 2013 und 2016 mit Googles „Projekt Ara“. Ein modulares Handy behebt nicht alle Probleme – die Anforderungen und Betriebssysteme verändern sich dafür zu schnell. Aber zumindest der Neukauf wegen einfacher Defekte an Display, Akku, Kamera oder Ladebuchse ließe sich so hinausschieben. Erst beim Schreiben fand ich heraus, dass das inzwischen geht.

Das niederländische Fairphone ist seit dem Fairphone 2 modular, und sogar für diese Version von 2015 gibt es noch Original-Ersatzteile direkt beim Unternehmen, die man ohne Vorkenntnisse und mit einem ganz normalen Schraubendreher einbauen kann. Das Fairphone 4 kostet zwar doppelt so viel wie mein aktuelles Handy. Allerdings habe ich das jetzige zweimal gekauft, weil es nach einem halben Jahr vom Fahrrad fiel, plus ein Ersatzdisplay, und schon sieht das Fairphone gar nicht mehr so teuer aus.
Jetzt hätte ich am liebsten sofort eines. Leider würde das bedeuten, dass ich das tun müsste, was man mir bisher zu Unrecht vorgeworfen hat: ein neues Handy einfach nur kaufen, weil es mir gefällt. So funktioniert Elektronikschrottverringerung nicht; das Fairphone muss warten. Aber voraussichtlich höchstens zwei Jahre. (Kathrin Passig)
In ihrer Kolumne „Update“ schreibt Kathrin Passig jede Woche über Themen des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin des Blogs „Techniktagebuch“. www.kathrin.passig.de