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Goebbels-Rede: Ein perfides Meisterstück

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Von: Michael Hesse

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„Wollt ihr den totalen Krieg“, fragte Goebbels. Blick auf den vollbesetzten Sportpalast bei der NS-Veranstaltung im Jahr 1943.
„Wollt ihr den totalen Krieg“, fragte Goebbels. Blick auf den vollbesetzten Sportpalast bei der NS-Veranstaltung im Jahr 1943. © picture alliance / AP

Am 18. Februar 1943 hält Josef Goebbels seine Rede im Berliner Sportpalast und bereitet so ein mörderisches Kriegsende vor.

Wie durch Zensur, Desinformation und Druck auf Kritiker und Kritikerinnen die Stimmung im Land kontrolliert wird, kann man derzeit in Russland erleben. Das Land soll auf Linie gebracht werden, damit der Krieg in der Ukraine fortgesetzt wird. In Kriegszeiten ist die Neigung der Staatsmacht noch größer, die Stimmung im Volk für sich einzunehmen. Ein besonders perfides Beispiel ist noch heute die Nazipropaganda, die am 18. Februar 1943 ihren unbezweifelbaren Höhepunkt mit der Sportpalastrede von Joseph Goebbels hatte, der sich als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen „Volksgemeinschaft“ inszenierte.

Der Historiker Peter Longerich, er lehrte als Professor für moderne Geschichte am Royal Holloway College der Universität London, hat nun die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Goebbels-Rede nachgezeichnet. Longerichs Biografien „Heinrich Himmler“ (2008), „Goebbels“ (2010) und „Hitler“ (2015) fanden weltweit Beachtung. In seinem Buch „Die Sportpalastrede 1943“ erzählt der Experte für die NS-Zeit nun, was die wahren Hintergründe des Auftritts waren und ob Goebbels mit seiner Rede vom „totalen Krieg“ den gewünschten Erfolg hatte.

Longerich stellt fest, dass die Rede von Goebbels auch heute noch als eine der abschreckendsten, aber auch wirkungsvollsten rhetorischen Leistungen des 20. Jahrhunderts gilt, als ein „Coup“. Dokumentarfilme stützen sich noch heute auf die historischen Wochenschau-Aufnahmen, die aber nur Ausschnitte böten und auch vom Redemanuskript abwichen, so der Historiker. Was der Nachwelt von der Rede überliefert ist, bedürfe also einer kritischen historischen Überprüfung. Zumal sich auch die Schüler und Schülerinnen mit dem Thema befassen: In Schulbüchern finden sich die zehn von Goebbels an das Publikum gerichteten Fragen, die er am Ende seiner Rede stellt. Die Aufgabenstellung besteht dann häufig darin, eine Analyse zu versuchen. All das sind Gründe, warum die Rede als Musterbeispiel für Massensuggestion auch heute noch präsent ist. Doch die perfekt an einem symbolträchtigen Ort inszenierte Massenveranstaltung hat eine kompliziertere Geschichte, als gemeinhin bekannt ist.

Goebbels hatte die Formel vom „totalen Krieg“ in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt. Der Begriff, darauf weist Longerich hin, ist nicht die Erfindung des Propagandaministers. Der ehemalige Weltkriegs-Generalquartiermeister Erich Ludendorff hatte den Terminus in seiner Schrift von 1935 gebraucht. Seitdem wurde er zu einem weit verbreiteten Schlagwort. Ludendorff hatte darin von einem „Zukunftskrieg“ fantasiert, der besondere Erfordernisse nach sich ziehe, nämliche „eine effektive Kriegswirtschaft, die vollkommene Steuerung des Arbeitskräfteeinsatzes, die Führung eines Propagandakrieges nach innen und außen, sowie die Herstellung einer absolut geschlossenen Heimatfront“. Die wesentlichen Elemente des aufgeladenen Begriffs finden sich, so Longerich, auch in der Rede von Goebbels wieder.

Longerich unternimmt in seinem Buch den Versuch, die Rede von Goebbels als Teil eines internen Machtkampfes innerhalb des NS-Systems zu analysieren. Dieses System habe sich im Jahr 1943 in seiner bis dahin größten Krise befunden. Longerich schildert die narzisstische Figur Goebbels, die wie alle Narzissten in Abhängigkeit von einer engen Bezugsperson stand: seinem „Führer“ Adolf Hitler. „Die Vorstellung, dass er dazu ausersehen war, das gesamte deutsche Volk geschlossen hinter dem vom Schicksal zur Rettung des Vaterlands bestimmten Adolf Hitler zu vereinen, war der eigentliche Ansporn für seine rastlose Tätigkeit“, schreibt er. Goebbels wollte der „eigentliche Exekutor des Führerwillens“ werden. Doch hier sei der Wunsch Vater des Gedanken gewesen, so Longerich. Goebbels täuschte sich offenbar. Wie schon als Berliner Gauleiter der „Kampfzeit“, so Longerich, bereits da habe Goebbels einsehen müssen, dass er nicht in das engste Vertrauen Hitlers einbezogen wurde. Auch an den Hitler-Papen-Verhandlungen zur Regierungsbildung 1933 sei er nicht beteiligt gewesen. Nach der „Machtergreifung“ wurde er wohl nur episodisch in Hitlers Entschlussbildung einbezogen.

Letztlich war der Auftritt von Goebbels gegen seinen Dauerrivalen Hermann Göring gerichtet. Longerich verweist auf die Spitzen gegen den zweiten Mann hinter Hitler, wenn Goebbels die Schließung von Luxusgeschäften oder teuren Restaurants ankündigt. Dies sei eine Maßnahme, so Goebbels, gegen den „Amüsierpöbel“, womit ganz offenkundig sein Rivale mitgemeint war. Die Rede selbst sollte die Bevölkerung auf „Radikalisierung und Totalisierung unserer Kriegsführung“ einschwören. Dem Propagandaminister sei es um die Wiederkehr des Kampfgeistes von 1932 bis 1934 gegangen, so Longerich, er habe so die „spartanische Lebensführung“ wiederbeleben wollen.

Goebbels hatte demnach folgende Ziele: Vollständige Mobilmachung, Radikalisierung der Kriegsführung und die offene Betonung des Vernichtungskrieges gegen Bolschewisten und Juden. Ihnen sollte klargemacht werden, dass ihnen die Vernichtung im Falle einer Niederlage des deutschen Volkes drohe.

Das Buch

Peter Longerich: Die Sportpalast- Rede 1943. Goebbels und der „totale Krieg“.

Siedler-Verlag, München 2023. 208 S., 24 Euro.

Er versprach sich wohl von der „Umstellung des öffentlichen Lebens auf harte Kriegsbedingungen eine gewisse psychologische Entlastung, Ablenkung von der Krise und eine Art von Beschäftigungstherapie“. Die Mobilisierung für den „totalen Krieg“ habe die Autorität von Partei und Staat stärken sollen.

Am 18. Februar 1943 ist es dann so weit. Im Berliner Sportpalast versammeln sich mehr als 10 000 Menschen. Die meisten sind wohl ein bestelltes Publikum. Goebbels peitscht die Menschen auf, bis es zum Höhepunkt mit seinen rhetorischen Fragen kommt. Im Hauptteil seines Vortrags stellt er seine drei Kernthesen auf. Diese richten sich ihm zufolge an die „Weltöffentlichkeit“ und besagen: Wenn die Wehrmacht im Osten untergeht, werden Europa und das Deutsche Reich dem Bolschewismus zum Opfer fallen. Nur die Wehrmacht und die Allianzen können den Bolschewismus aufhalten. Da die Gefahr groß sei, müsse schnell und gründlich gehandelt werden, so Goebbels. „Auffallend ist der zögerliche Beifall als Reaktion auf die ersten beiden Thesen“, so Longerich, „während die dritte These den stärksten Applaus erhält“. Antisemitische Hetze, Stalingrad, der Osten werden von Goebbels in der Rede wiederholt aufgegriffen. Das Publikum reagiert geradezu enthusiastische auf die antisemitischen Ausfälle Goebbels, erklärt Longerich.

Zum Schluss stellt Goebbels seine zehn berüchtigten Fragen an das Publikum. Er behauptet, dass er zu einem Publikum spreche, das einen „Ausschnitt des ganzen deutschen Volkes“ darstelle. Im Kern habe es sich jedoch, so Longerich, um das bei Sportpalastreden übliche Stammpublikum nationalsozialistischer Aktivisten gehandelt.

Goebbels erklärt die Niederlage in Stalingrad als eine Art Selbstreinigung, verweist auf den Alten Fritz, der im Siebenjährigen Krieg in aussichtsloser Lage dennoch den Sieg davongetragen habe (worauf Hitler in Anlehnung an Friedrich den Großen bis zum letzten Atemzug hoffte). Am Ende folgt dann die rhetorische Formel: „Wollt ihr das?“, die Fragen leitet er mit der Formel „Ich frage euch“ ein: „Ich frage euch... (Sprechchöre Führer befiehl, wir folgen!, Heil-Rufe) ich frage euch: Vertraut ihr dem Führer? (lebhafte, dann begeisterte Zustimmung).“

Hatte Goebbels die Menschen im Saal zunächst auf den totalen Krieg eingeschworen, so lässt er sich zudem die Zustimmung zum vollen Einsatz der Waffenproduktion geben, und zur vollen Unterstützung des Krieges durch die Heimatfront. Er ist mit seiner Rede zufrieden, ja übertrieben glücklich. Immer wieder verweist er auf die lobenden Worte der internationalen Presse - allerdings bezieht er sich nur auf die Zeitungen der engen deutschen Bündnispartner. Ansonsten fällt das Urteil vernichtend aus.

Dennoch hat Goebbels sein Ziel erreicht. Die Mobilisierung gelingt, damit trug er dazu bei, dass Deutschland und ganz Europa in ein fatales Ende geführt wurden, denn in den letzten beiden Kriegsjahren starben mehr Menschen als im gesamten vorherigen Kriegsverlauf zusammen.

Longerich hat ein beeindruckendes Buch vorgelegt, mit dem Urteilsvermögen eines großen Kenners dieses historischen Tiefpunktes der deutschen Geschichte klärt er meisterhaft über Hintergründe und Folgen einer Rede auf, die einen noch heute erschüttern muss.

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