Europäisches Bauhaus: Was wir verlernen und umlernen müssen

Umbau statt Neubau: Wer ein neues Bauhaus als Aufbruch verstehen will, muss sich auf grundlegende Transformationen einlassen. Von Anton Brokow-Loga
Ursula von der Leyen möchte ein neues Europäisches Bauhaus initiieren. Von Architektur über Produktdesign bis zur Stadtplanung: Die Szene ist elektrisiert, Bauhaus stehe doch schließlich für Aufbruch. Vom historischen Bauhaus inspiriert, soll es darum gehen, Nachhaltigkeit, Funktionalität und Ästhetik zu verknüpfen. Dazu sollen ab dem nächsten Jahr fünf EU-Bauhäuser ihre Arbeit aufnehmen – wohl auch, um den EU Green Deal gesellschaftlich zu vermitteln. Auch wenn viel mehr noch gar nicht bekannt ist, bereiten schon jetzt Institutionen allerorten ihre Bewerbungsmappen vor.
Bei allen derzeitigen Bemühungen, den neuen Rahmen mit den bestehenden Inhalten zu füllen, um die Gelder aus Brüssel zu akquirieren, laufen viele Ansätze jedoch Gefahr, die Radikalität der Zielsetzung zu verkennen. Wenn es um einen Aufbruch geht, um das Erreichen von Klimaneutralität innerhalb weniger Jahrzehnte, helfen nette Bilder und positive Assoziationen durch die Referenz auf die berühmte Architektur- und Designschule mitnichten. Vielmehr muss das Bauhaus vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Denn im Wesen geht es um die Frage, was die Konzepte des letzten Jahrhunderts für die heutigen Probleme bedeuten und welchen Sinn sie stiften können. Bevor Neuauflagen ersonnen werden, ist daher ehrliche Selbstkritik vonnöten. Der britische Journalist George Monbiot schrieb 2017: „Der Fortschritt im 21. Jahrhundert sollte weniger an der neuen Infrastruktur gemessen werden, die man baut, sondern vielmehr an der schädlichen Infrastruktur, die man zurückbaut“. Letztlich stellt uns das neue Europäische Bauhaus genau vor die Aufgabe, zu prüfen, welchen Fortschritt wir wie erreichen wollen.
Für Institutionen wie die Bauhaus-Universität Weimar, die sich in der Nachfolge des Staatlichen Bauhauses (1919-1933) sieht, ist die Frage nach dem Erbe des Bauhauses gar nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Vor allem vor dem Hintergrund der Klimakrise müssen sich diese Institutionen fragen lassen, in welchen Kontinuitäten sie stehen und in wessen Namen sie handeln. Welche Rolle spielen Produkte und Ideen des historischen Bauhauses für die heutige nicht-nachhaltige Lebens- und Produktionsweise?
Gefragt ist dabei Differenzierung und Reflexion, denn die ursprünglichen Ansätze des Bauhauses erscheinen kreativ, humanistisch, experimentell, ja geradezu nachhaltig. Doch die Geschichte des Bauhauses ist auch ambivalent und handelt von der Einbindung in industrielle Massenproduktion und Wachstumszwänge. Rationalität und Verwertung wurden zu bestimmenden Logiken, während die sozialen und ökologischen Folgekosten derselben entweder in die nächste Generation oder in den globalen Süden ausgegliedert wurden.
Das historisierende Bild des Bauhauses, das im Jahr zwei nach dem großen Bauhaus-Jubiläumsjahr 2019 nicht nur von der EU-Kommission bemüht wird, sagt, wie so oft, mehr über unsere Gegenwart als über die Vergangenheit aus. Aus meiner Sicht, der als Wissenschaftler an der Bauhaus-Universität Weimar forscht und lehrt, sehe ich es als vordergründige Aufgabe, jeglichem unkritischen Bauhaus-Washing den Riegel vorzuschieben – und stattdessen die besondere Chance zu nutzen, die insbesondere für die Nachfolgeinstitutionen aus diesem Projekt erwächst: Die Möglichkeit, tiefe und ernsthafte Selbstkritik zu üben.
Das Fundament eines nun europäisch gewendeten Bauhaus-Projekts muss aus einem doppelten Auftrag bestehen: Im kritischen Aufgreifen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und in der Zuwendung zu einem guten Leben für alle als bislang uneingelöstes Versprechen der (Bauhaus-)Moderne. Die Perspektive ist dadurch notwendigerweise eingebettet in grundsätzliche Fragestellungen der Gestaltung von Gesellschaft jenseits des Wachstums in Richtung einer sozial-ökologischen, „großen“ Transformation.
Doch die prominente Verräumlichung der hiesigen Bauhaus-Interpretationen zeigt schon auf, dass die anvisierte Transformation in der Tat groß werden muss: Das neue Bauhaus-Museum in Weimar, das von Laura Weissmüller in der „Süddeutschen Zeitung“ so treffend „Bauhaus-Mausoleum“ genannt wurde, ist ein großer Klotz aus Beton. Gerade Stahl und Beton sind für ihre immense Klimaschädlichkeit bekannt: Allein die Zementindustrie bläst weltweit mehr als sechs Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen in die Luft, der Bausektor trägt mit rund 40 Prozent zu den Treibhausgas-Emissionen bei. Trotzdem greifen Forderungen wie die von Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, man solle Beton bei Neubau durch Holz ersetzen, zu kurz. So sind die Probleme (Un-)Bezahlbarkeit des Wohnens und Flächenfraß damit nicht ansatzweise adressiert.
Wie gelingt solch eine grundlegende Veränderung gerade in den emissionstreibenden Bereichen Bauen, Wohnen, Verkehr? Die Transformationsforscherin Kora Kristof vom Umweltbundesamt spricht von vier Faktoren, die für gelingende Transformation wichtig sind: Ein Narrativ als Treiber und Kompass ausarbeiten, im kleinen Maßstab testen, Umsetzung begleiten und Rahmenbedingungen für Verbreitung schaffen.
Die treibende These eines UMBauhauses lautet nun, dass angesichts planetarer Grenzen schlicht und ergreifend nichts mehr neu gebaut werden kann. Das neue europäische UMBauhaus zeigt auf, dass stattdessen die materiellen Infrastrukturen unserer Gesellschaft umgebaut – und teilweise auch rückgebaut – werden müssen. Dafür braucht es eine radikale Bau- und Materialwende, Suffizienz als leitendes Prinzip und eine Zuwendung zu demokratischer Planung innerhalb eines klimagerechten Korridors. Gerade im Bereich Bauen und Stadtentwicklung sind die „Leuchttürme“ zahlreich: Modellprojekte, Reallabore, Innovationszentren, Inkubatoren. Die europäische Politik sollte nicht noch mehr solcher Leuchttürme errichten, sondern stattdessen, um in diesem sprachlichen Bild zu bleiben, den Kompass deutlich sichtbar auf „Umbau statt Neubau“ ausrichten.
Durch Prototypen muss die Neuausrichtung konkretisiert und nachjustiert werden. Der experimentelle Umbau von bestehenden Infrastrukturen richtet sich beispielsweise auf Einfamilienhausgebiete, die gemeinschaftsorientiert umgebaut werden. Große asphaltierte Plätze werden entsiegelt und urbane Wälder an derselben Stelle angepflanzt; modulare Holzbauten werden auf freiwerdende PKW-Stellplätze konstruiert; Autohäuser werden als Gewächshäuser umgenutzt. Gleichzeitig werden Recycling und Reparatur zentral für die Ausbildung junger Architektinnen und Designer. Der Rahmen eines europäischen UMBauhauses stellt Exnovationen – also all das, was wir verlernen oder umlernen müssen – an die Stelle der sonst so intensiv geförderten Innovationen.
Eine Grundregel des an diese Experimente anschließenden gesellschaftlichen Hochskalierens besteht darin, keine neuen Flächen zu versiegeln und keine fossilen Rohstoffe oder Energieträger zu nutzen. Zu fragen ist dabei nicht nur „Wie kommt das Neue in die Welt?“, sondern auch: „Wie kann das Alte abgelöst werden?“. Besondere gefördert werden müssten daher Projekte, die eine kreative Nutzung des Alten denken und dabei Phase-In gerecht mit Phase-Out verbinden. Dafür sind dezentrale Koproduktion und partizipative Prozesse des Übergangs unabdingbar, die sich von der bloßen Existenz als kreatives Beiwerk für den EU Green Deal entfernt.
Was müsste sich mental und politisch ändern? Wie kann das Ende geplanter Obsoleszenz, das Ende von Beton und von erdölbasierten Produkten in Architektur und Design, die Förderung von Urban Mining und Upcycling institutionell abgesichert werden? Denn letztlich ist es für den Erfolg des Unterfangens entscheidend, wie der politisch-gesellschaftliche Rahmen hinterfragt und umgebaut wird. Die Verbreitung der Impulse aus dem UMBauhaus hängt davon ab, wie die Rahmenbedingungen unserer destruktiven Lebensweise auf Ebene der EU, der Nationalstaaten und der Städte langfristig umgebaut werden können. Dadurch zeitigt das neue europäische Bauhaus dann vielleicht weniger Bilder von blitzenden Prestige-Neubauten in Hochglanzbroschüren oder Newsfeeds. Aber dafür mehr tatsächliche Veränderung.
Anton Brokow-Loga ist transdisziplinärer Forscher an der Schnittstelle von Urbanistik, Politikwissenschaft, Transformationsforschung. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar und Teil des I.L.A.-Kollektivs.