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„Es waren Düfte für das Jenseits“

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Von: Arno Widmann

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„Die Ägypter hatten sehr viele Wörter für wohlriechend“, sagt Dora Goldsmith. © Ani Jo

Wie roch das alte Ägypten? Wie die Männer und wie die Frauen? Wie rochen die Ägypter des Pharaonenreiches im Diesseits und wie im Jenseits? Die Ägyptologin Dora Goldsmith erzählt.

Frau Goldsmith, Ihre Duftforschung erstreckt sich über die ganze Geschichte des alten Ägypten?

Das sind etwa 4000 Jahre. 3400 vor Christus bis 500 nach Christus. So ungefähr. Ich arbeite also mit schriftlichen Quellen. Das sind Texte in unterschiedlichen Sprachen und Schriften. Ich sitze sehr viel in der Bibliothek.

4000 Jahre lang immer der gleiche Duft?

Die Texte erzählen immer wieder von denselben Gerüchen. Die ältesten, die zum Beispiel von den sieben heiligen Ölen sprechen, stammen aus der Zeit um 2400 vor Christus und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die, die im zweiten nachchristlichen Jahrhundert von ihnen sprechen, ganz andere Düfte meinten. Es wurde im Gegenteil ja großer Wert auf Tradition und die Fortführung alter Praktiken und Gebräuche gelegt.

Das waren gewissermaßen religiöse Düfte?

Sie wurden im Kult eingesetzt und bei der Einbalsamierung. Es waren also Düfte für das Jenseits.

Sie werden nicht nur genannt, es gibt auch Rezepte?

Nicht viele. Zum Beispiel vom im alten Ägypten beliebtesten Duft „Kyphi“ gibt es Rezepte. Es geht bei den altägyptischen Düften immer auch ums Ausräuchern. „Kyphi“ sollte Ungeziefer fernhalten, aber – das wird in den Texten betont – auch den Geruch des Hauses, der Kleidung und des Mundes angenehm machen. Riechen Sie mal.

Das ist ja schrecklich.

Das hier, das gefällt mir sehr gut. Probieren Sie mal das.

Das würde ich sofort nehmen.

Das wurde zum Mumifizieren verwendet.

Von China-Restaurants sagt man, man esse dort nicht wirklich chinesisch, sondern das, was wir in Deutschland gerne als chinesisch essen. Machen Sie das mit den Düften auch so?

Nein, nein. Ich versuche, so authentisch zu sein wie irgend möglich. Also verwende ich exakt dieselben Dinge wie in den Rezepten angegeben. Aber natürlich wissen wir nicht bei jedem Wort, welche Substanz damit gemeint ist. Aber dank meiner Forschungen weiß ich jetzt viel besser Bescheid. In meiner Datenbank habe ich etwa tausend Texte, die sich mit Düften und Geruchsempfindungen beschäftigen. Vergleicht man sie, wird einem die Bedeutung der einzelnen Begriffe deutlicher.

Sie haben hier einige der Substanzen mitgebracht.

Kalmus, Mastix, Kiefernharz, Kampfer, Gummi arabicum, Wacholderbeeren, Galbanum, Zypresse usw. Hier ist auch Weihrauch und Myrrhe.

Ihr dreitausend Jahre altes Kyphi-Rezept beschreibt die Zubereitung…

Ganz genau mit Mengenangaben.

Zur Person:

Dora Goldsmith , vor 34 Jahren in Ungarn geborene Israelin, ist studierte Ägyptologin und Archäologin. Derzeit arbeitet sie an der Freien Universität in Berlin an ihrer Dissertation über die Rolle von Geruchssinn und Düften im pharaonischen Ägypten. Sie schreibt aber nicht nur darüber, sie nutzt die Quellen auch wie Rezepte, um die alten Parfums wieder herzustellen.

Zunächst machte ich das, um die Texte besser zu verstehen. Man nennt das experimentelle Archäologie. Die Texte beschreiben ja einen Vorgang. Wenn man diesen Vorgang nachvollzieht, versteht man die Texte besser. Jetzt gebe ich Workshops überall auf der Welt. Die sind sehr beliebt. Wegen Corona jetzt nur noch Online. Da gibt es auch eine große Nachfrage.

Wie viele Rezepte gibt es?

Nur sehr wenige. Etwa fünf aus dem pharaonischen Ägypten. Aus der griechisch-römischen Zeit gibt es mehr. Diese Autoren behaupteten gerne, es handele sich um alte ägyptische Rezepte. Das war gute Reklame. Aber ob sie das wirklich waren, wissen wir nicht. Sehen Sie hier: Das ist das Parfum von Kleopatra. Ich habe mit einem Gräzisten zusammengearbeitet. Wir wollten herausbekommen, ob sich im hellenistischen Ägypten der Duft verändert hatte. Wir betrachteten zuerst ein griechisches Rezept. Im Text ist von Balanos-Öl die Rede. Es kann Moringa-Öl sein. Dazu kamen Kiefernharz, Myrrhe und Zimt. Mendesian hieß es nach dem Ort Mendes im östlichen Nildelta, in dem es hergestellt wurde. Es war das in der hellenistischen Welt beliebteste Parfum. Es war, wenn Sie so wollen, das Parfum von Kleopatra.

Und in den pharaonischen Texten, was stand da?

Dasselbe. Bis auf den Zimt. Den hatten die alten Ägypter nicht. Zimt brachten erst die Griechen nach Ägypten. Die hatten ihn aus Indien und Sri Lanka importiert. Die alten Ägypter verwendeten statt des Zimts Kampferrinde. Die beiden gehören zur selben Pflanzenfamilie. Der Duft ist so unterschiedlich nicht. Es gibt ein anderes Rezept, bei dem die alten Ägypter Lotus verwendeten und das griechische Ägypten dann stattdessen Lilien. Das ägyptische Wort „seschen“ kann übrigens sowohl Lotus wie auch Lilie bedeuten. Das Herz des Parfums war die aus Punt, dem heutigen Somalia, importierte Myrrhe. Das war das, worauf Wert gelegt wurde. Die anderen Substanzen wurden als nicht so wichtig betrachtet.

Das Hauptproblem bei Düften ist doch ihre Konservierung. Wie haben die Ägypter das gemacht?

Harze konservieren. Ein Baumharz ist ja nichts anderes als ein Saft, mit dem der Baum sich schützt, mit dem er verhindert, dass Ungeziefer sich in einer Wunde niederlässt. Das haben die Ägypter beobachtet und daraus ihre Schlüsse gezogen. Myrrhe zum Beispiel ist das Harz eines Strauches aus Somalia. Sie wirkt stark antibakteriell, hält also die Verwesung auf. Darum spielt sie bei der Einbalsamierung eine so große Rolle. Auch Mäuse und Ratten mögen Harze nicht.

Verwendeten die Ägypter für das Leben hier und das ewige Leben dieselben Düfte?

Die sieben heiligen Öle wurden nur für die Götter und das Jenseits benutzt. Für normale Sterbliche hier auf Erden kamen sie nicht in Frage. Bis sie einbalsamiert wurden. Es gibt den Begriff „setchi netcher“, das heißt so viel wie „göttlicher Duft“. Der zeichnet in diesem Leben einzig den Pharao aus. Im nächsten Leben aber kann jeder Ägypter göttlich riechen. Das an der Mumie und der sie umgebenden Statue vollzogene magische Mundöffnungsritual sollte dem Verstorbenen alle Sinne wieder öffnen, sodass er sein Leben im Jenseits genießen konnte. Da spielte auch der Geruchssinn eine große Rolle.

Es wird sehr gestunken haben im alten Ägypten. Darum spielten Räucherdüfte eine große Rolle. Auch unser Wort Parfum kommt vom Lateinischen „per fumum“, durch Rauch.

Die Texte sagen darüber nichts. Aber natürlich liegt die Vermutung nahe. Die Ägypter hatten sehr viele Wörter für wohlriechend. „nedchem setchi“ heißt süß, angenehm duftend. „Setchi nefer“ ist der schöne Duft.

Dass „nefer“ schön heißt, weiß der Berliner von Nofretete. Setchi heißt Duft?

Nefer auch gut. „Setchi netcher“ heißt göttlicher Duft. „Setchi scha“ ist der Gartenduft. Es war der Duft der frischen Pflanzen, der Duft der Natur, die nach der Nilüberschwemmung wieder zum Leben erweckt wurde. Er wurde Göttern, Königen und hohen Beamten als Opfergabe dargebracht.

Sie sprechen die ägyptischen Wörter mit der größten Selbstverständlichkeit. Woher weiß man denn, wie sie ausgesprochen wurden?

So ganz genau weiß man das natürlich nicht. Die Wissenschaftler haben sich einfach auf eine Aussprache geeinigt. Wenn ich mit einer Zeitmaschine nach Memphis ins 12. vorchristliche Jahrhundert flöge – ich bin sicher: Ich würde niemanden verstehen und niemand mich.

Wie dufteten die Männer? Wie die Frauen?

Was die Düfte anging, genderten die alten Ägypter, soweit ich das den Texten entnehmen kann, nicht. Beide Geschlechter rochen auf dieselbe Weise gut. Da sollten wir auch mal wieder hinkommen.

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