Ermächtigungsgesetz 1933: Eine Republik schafft sich ab

Am 24. März 1933 tritt das Ermächtigungsgesetz in Kraft. Damit findet die Zeit der ersten deutschen Demokratie ihr endgültiges Ende.
Die letzten freien Wahlen der Weimarer Republik hatten im November 1932 stattgefunden. Stärkste Fraktion war mit 31,1 Prozent der Wählerstimmen die NSDAP. Ihr folgten die SPD mit 20,4 und die KPD mit 16,9 Prozent.
Das Zentrum erhielt 15 Prozent, die Deutschnationale Volkspartei 8,3 Prozent und die ihr folgende Deutsche Volkspartei gerade noch 1,9 Prozent. Eine Fünf-Prozentklausel gab es nicht. Das Zentrum hatte schon seit Kaisers Zeiten eine Einigung mit der Bayernpartei, wie sie heute noch die Zusammenarbeit von CDU und CSU charakterisiert. Gegenüber den Wahlen vom Juli 1932 hatten die NSDAP 4,2, die SPD 1,2 Prozentpunkte verloren, die KPD dagegen 2,6 und die Deutschnationale Volkspartei 2,4 Prozentpunkte gewonnen.
Nach langem Zureden gelang es Franz von Papen, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg dazu zu überreden, den von ihm verachteten Adolf Hitler als Reichskanzler zu akzeptieren. Papen war selbst vom 1. Juni 1932 bis zum 3. Dezember 1932 Reichskanzler gewesen. Die entscheidende Tat seiner Regierung beging er am 20. Juli 1932. Mithilfe einer „Notverordnung“ des Reichspräsidenten von Hindenburg setzte er die legale sozialdemokratische Regierung des Freistaates Preußen ab und unterstellte das Land der Zentralregierung, jeder Protest dagegen stand unter Strafe. Der Rechtsweg war ausgeschlossen.
Nach den Wahlen vom November 1932 wurde Hitler am 30. Januar Reichskanzler. Er eroberte nicht etwa gegen tausend Widerstände die Kanzlerschaft. Von einer Machtergreifung der Nationalsozialisten kann zu diesem Zeitpunkt keine Rede sein. Die NSDAP wurde von antidemokratischen bürgerlichen Parteien kooptiert. Franz Josef Strauß erklärte einmal, es sei ihm gleichgültig, wer unter ihm Kanzler sei.
Ähnlich dachte wohl von Papen über Hitler. Ein klarer Fall von fataler Selbstüberschätzung. Papen machte Hitler zum Kanzler. Nur zwei weitere NSDAP-Mitglieder durfte er mitnehmen ins Kabinett. Papen war Vizekanzler, Alfred Hugenberg, der mit seinem Medienkonzern die Hälfte der deutschen Presse kontrollierte, war ebenfalls Minister. Für die Deutschnationale Volkspartei.
Es war ein Kabinett aus lauter Männern, die die Republik hassten. Sie ein für alle Mal zu zerstören, war das Ziel eines jeden von ihnen.
Hitler hatte freilich allen anderen gegenüber einen großen Vorteil. Er war Führer. Hinter ihm standen Zehntausende, die fest entschlossen waren, den Führer ihrer Partei zum Führer Deutschlands zu machen. Mit allen Mitteln. Also war Hitler für Neuwahlen. Es sollten, das erklärte er schon am 31. Januar 1933 in einer Ministerbesprechung, die letzten Wahlen sein.
Niemand widersprach. Papen, der sich schon, als er selbst Kanzler gewesen war, für die Abschaffung der Demokratie und die Schaffung eines „neuen Staates“ ausgesprochen hatte, stimmte Hitler ausdrücklich zu: Eine Rückkehr zum parlamentarischen System sei für immer zu vermeiden.
Hitler betrachtete den Wahlkampf vor allem als Kampf. Seine Sympathisanten zerstörten Parteilokale der Linken von KPD bis SPD, verprügelten Oppositionelle und brachten ein paar Dutzend auch um. In Preußen wurden etwa 50 000 NSDAP- und Stahlhelm-Kämpfer als Hilfspolizisten eingesetzt. Man kann sich vorstellen, wie sie sich nicht zuletzt auch gegenüber ihren womöglich noch sozialdemokratischen Kollegen gegenüber verhielten. Am 5. März 1933 war das das Wahlergebnis:
NSDAP 43,9 Prozent, SPD 18,3 Prozent, KPD 12,3 Prozent, Zentrum 11,2 Prozent, Deutschnationale Volkspartei 8 Prozent.
In den Wahlkabinen hatte der NSDAP-Terror SPD und KPD nicht zunichte machen können. Die NSDAP aber war deutlich stärker geworden. Ihre rechtsradikalen Partner standen jetzt wie Zwerge neben ihr. Hitler konnte das nur gefallen. Wären die Linken deutlich schwächer, seine möglichen Koalitionspartner deutlich stärker geworden, wäre die Situation für ihn viel schwieriger gewesen. Bei der Beseitigung der Linken würden ihn die anderen Rechtsradikalen immer unterstützen. Sein Führungsanspruch war von Rechts nicht mehr zu bestreiten. Er hatte gezeigt, dass nicht Zeitungsartikel, sondern die Macht auf der Straße die Menschen begeisterten.
Für den 23. März wurde das Parlament einberufen. Einziger Tagesordnungspunkt: „Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das Ermächtigungsgesetz. Gesetze, die der Regierung außerordentliche Vollmachten geben, gab es immer wieder und überall, wo es Parlamente gab und gibt. Auch in der Weimarer Republik. Mehr als ein Dutzend Mal. Die Regierung Papen hatte auf das Parlament verzichtet und ausschließlich mit vom Reichspräsidenten unterzeichneten Notverordnungen regiert.
In den 60er Jahren erinnerten in der Bundesrepublik beim Streit um die Einführung der Notstandsgesetze deren Gegner immer wieder an das Ermächtigungsgesetz, das der Regierung erlaubte, ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren.
Die Parlamentssitzung am 23. März fand – der Reichstag war nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 für Plenarsitzungen nicht mehr verwendbar – in der Krolloper statt. Vor dem Gebäude und in ihm wimmelte es von SA- und SS-Männern. Sie drohten den Abgeordneten für den Fall, dass sie nicht für das Ermächtigungsgesetz stimmen sollten.
Nicht alle gewählten Volksvertreter hatten Zutritt zur Parlamentssitzung. Der KPD war er verweigert worden. Bei der Verkündung des Wahlergebnisses erklärte der Parlamentspräsident Hermann Göring (NSDAP), die gesetzliche Mitgliederzahl des Hauses betrage 566. Das war gelogen. Auf diese Zahl kam man nur, wenn man die 81 KPD-Mandatsträger einfach ignorierte.
Abgesehen vom Sprecher der SPD, von Otto Wels (1873 in Berlin – 1939 in Paris), lehnte niemand das Ermächtigungsgesetz ab. Aber auch er verlor kein Wort über die Aussperrung der KPD. Aber das war insofern verständlich, weil er die Weimarer Republik, die bürgerlichen Grundrechte verteidigte, etwas, wozu sich die KPD bis dahin niemals hatte aufschwingen können.
Am 3. November 1932 – unmittelbar vor den Reichstagswahlen – hatte ein Streik die Berliner Verkehrsbetriebe lahmgelegt. Ein Streik, bei dem KPD und NSDAP kooperiert hatten.
Was stand im Ermächtigungsgesetz? Grob vereinfacht: Die Regierung konnte Gesetze erlassen. Die mussten nicht der Verfassung entsprechen. Die Gesetze traten am Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.
Das galt auch für internationale Verträge. „Dieses Gesetz tritt mit dem Tag seiner Verkündung in Kraft.“ Die Regierung brauchte keine Unterschrift mehr vom Reichspräsidenten.
Jeder wusste: Das ist die Machtergreifung. Das ist das Ende der Weimarer Republik. Die meisten bejubelten das als ihren Sieg. Nicht nur das.
Deutschland würde wieder stark werden und sie mit ihm. Hitler hatte es allen gezeigt. In ihm erkannten sie sich wieder. Hitler war ein Kind der Republik. Ohne sie wäre seine Karriere nicht möglich gewesen. Dafür hasste er sie. Allerdings dachte er keine Sekunde daran, den alten Kaiser aus Doorn zurückzuholen oder dem Kronprinz einen Thron zu bereiten. Als echter Emporkömmling wollte Hitler alles. Für sich. Ganz allein.
Der letzte Satz des Ermächtigungsgesetzes lautet: „Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.“ Zum ersten Teil ist zu sagen. Das Gesetz wurde zweimal verlängert. Am 20. September 1945 hob dann der Alliierte Kontrollrat das Ermächtigungsgesetz und anderes NS-Recht durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 förmlich auf. Der zweite Teil des Schlusssatzes des Gesetzes erinnert daran, aus welcher Realität der Traum vom 1000-Jährigen Reich hervorgegangen war. Vom März 1930 bis zum März 1933 hatten nacheinander regiert: Brüning, Papen, Schleicher, Hitler. Niemand rechnete damit, dass ausgerechnet die NSDAP sich länger an der Macht würde halten können.
Es waren nicht nur die Emigranten, die an eine baldige Rückkehr dachten. Man könnte einwenden, Hitler habe das nur in das Gesetz schreiben lassen, um seinen Konkurrenten Sand in die Augen zu streuen.
Er sei schon damals völlig überzeugt davon gewesen, der Mann zu sein, den die Vorsehung zum Führer Deutschlands erwählt habe. Vielleicht ist das richtig.
Aber dieser Satz ist auch ein Schlupfloch für einen anderen Ausgang der Geschichte.