Der Duden: Neue Wörter für die neue Zeit

Die deutsche Sprachgemeinschaft ist ungemein erfindungsreich - also wurden in die 28. Ausgabe des Dudens allein 3000 neue Wörter aufgenommen.
Nur drei Jahre ist es her, dass die 27. Ausgabe des Rechtschreib-Dudens mit damals 145 000 Wörtern erschien, und schon liegt die 28. Ausgabe mit immerhin 3000 neu aufgenommenen Wörtern vor. Hat die deutsche Sprachgemeinschaft tatsächlich so viele neue Wörter in so kurzer Zeit erfunden? In Wahrheit sind es wesentlich mehr. Das Deutsche lädt nämlich zur Bildung neuer Wörter förmlich ein.
Neue Wörter im Duden: Wie sie entstehen
Wir können – um gleich ein paar in den aktuellen Duden aufgenommene Wörter zu nennen – neue Wörter aus alten zusammensetzen, so die Datenschutzgrundverordnung: zwar komplex, aber immerhin alles gut geordnet unter dem Dach eines Begriffs mit klaren Beziehungen der Wortteile; und deutlich kürzer als die grundlegende Verordnung zum Schutz der Daten. Wir können neue Wörter durch Vor- und Nachsilben schaffen. Unverhandelbar nutzt geschickt gleich beide Möglichkeiten aus, und die Vorsilbe gleich zweimal. Wörter können im Deutschen spielend ihre Kategorie wechseln: Vom aus peinlichem Anlass neu aufgenommenen Wildpinkler zum abgeleiteten Verb wildpinkeln wäre es nur ein kleiner Schritt. Und schließlich kann das Deutsche Importe aus anderen Sprachen leicht eingemeinden wie das Verb gendern oder das zusammengesetzte Substantiv Shishabar.
Diese leicht handhabbaren Wortbildungsmöglichkeiten führen im Ergebnis zu einem mehrere Millionen Wörter umfassenden Wortschatz, der allerdings auch viele rasch vergängliche Gelegenheitsbildungen enthält, die zwar spontan verstanden werden, sich aber nicht in der Sprachgemeinschaft verbreiten und verankern.
Duden: 3.000 neue Wörter in drei Jahren
Aber hätten denn dann nicht viel mehr als 3000 neue Wörter in drei Jahren aufgenommen werden können? Die Duden-Redaktion wählt aus den Tausenden neuer Wörter und Wortzusammensetzungen sinnvollerweise nur solche für das Wörterbuch aus, die drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen häufig vorkommen, dauerhaft verwendet werden und sich eines breiten Gebrauchs erfreuen. Wenn man nun bedenkt, dass ein Muttersprachler im Durchschnitt etwa 50 000 Wörter passiv kennt und etwa 15 000 Wörter aktiv verwendet, wobei man im Alltag mit rund 2500 Wörtern schon recht gut zurechtkommt (diese Wortmenge umfasst deshalb auch der Grundwortschatz), dann sind 3000 neu aufgenommene Wörter doch eine recht stattliche Zahl. Viele dieser neu ausgewählten Wörter der letzten Jahre spiegeln denn auch unseren Zeitgeist wider, nämlich die Themen, die uns bewegen, die Debatten, die wir führen, und die Art, wie wir uns verhalten.
Erleben wir nicht aufregende Zeiten? Und Zeiten brauchen Wörter. Zuletzt wurde gerade die öffentliche Gesundheit zum Wortlieferanten für das Rechtschreibwörterbuch: Schmiereninfektion, Herdenimmunität, Ansteckungskette, Atemschutzmaske lauten neue, häufig und breit gebrauchte Wortzusammensetzungen. Auch das social distancing fehlt nicht, obwohl es ja im Deutschen das allgemeinverständliche und viel leichter auszusprechende Abstandhalten gibt, so dass man sich fragen kann, warum überhaupt ein schwerverständlicher und übrigens auch missverständlicher Anglizismus es wieder einmal in den deutschen Sprachgebrauch geschafft hat; missverständlich, weil social distancing an das Distanzieren denken lässt, das im Deutschen auch eine Art Ablehnung bezeichnet, was aber im vorliegenden Fall gar nicht gesagt werden soll. Aber über eine derartige Sprachverwendung entscheidet letztlich die Sprachgemeinschaft – und der Zustand ihres Sprachbewusstseins. Social distancing scheint übrigens so verbreitet zu sein, dass Abstandhalten nicht in substantivierter und verschweißter Form aufgenommen worden ist – aber immerhin das so häufig missachtete Abstandsgebot. Als Alternative zum Homeschooling hat es dann aber doch der Hausunterricht als neues Wort in den Duden geschafft. Nun muss dieses den deutschen Wortbildungsregeln so trefflich folgende und glasklar verständliche Wort nur noch vom Sprachgebrauch in Politik und Medien übernommen werden.
Neuer Duden: Noch spielt die Corona-Krise keine Rolle
Dass die mit der Corona-Krise entstehenden Spannungen im öffentlichen Raum im neuen Duden noch nicht namhaft gemacht wurden, mag daran liegen, dass die in den Medien vielzitierte Party- und Eventszene, auch beschwichtigend Wochenendpublikum genannt, als Begriff noch sehr jungen Datums ist. Dürfen wir mit dieser Nicht-Erwähnung die Hoffnung verbinden, dass es sich bei den Folgen der Partywut bitte um höchst flüchtige und bald wieder verschwindende Gesellungsformen handeln möge? Gegen das, was man mit der guten alten Partylaune verbindet – die sich nach wie vor im Duden findet – ist ja nichts einzuwenden. Aber sie klingt gegenwärtig, wie auch der Partylöwe, wie aus einer früheren Zeit.
Einer anderen Zeit entstammen auch Begriffe, die der neue Duden nicht mehr aufführt, darunter das Adverb dahier, schade eigentlich! Auch einige geschlechtsspezifische Berufsbezeichnungen aus alter Zeit wurde gestrichen, darunter der Kammerjunker und die Kammerjungfer. Dazu passt, dass der neue Duden erstmals „Optionen“ zum „geschlechtergerechten Sprachgebrauch“ nennt. Der für das regelgerechte Schreiben zuständige Rat für deutsche Rechtschreibung hatte sich im November 2018 nicht abschließend zu den verschiedenen möglichen Varianten geäußert und dies mit einer „Erprobungsphase“ begründet. Der Duden räumt denn auch ein, dass es bislang zu dem Themenkomplex noch keine Norm gibt.
Deutlich ist jedoch die Position des Duden, das generische Maskulinum als geschlechtlich unmarkierte Form im Sinne von Oberbegriffen abzulehnen. An erster Stelle der genannten Optionen steht im Duden die Paarbenennung (also beispielsweise Schülerinnen und Schüler, Apothekerinnen und Apotheker, Hessinnen und Hessen). Zum heiß diskutierten Genderstern – beispielsweise Apotheker*innen – wird angemerkt, dieser setze sich immer mehr durch. Den Kriterien des Rats für deutsche Rechtschreibung entspricht diese Form allerdings nicht, denn sie ist nicht vorlesbar. Als Option werden auch geschlechtsneutrale Begriffe der Mensch oder die Person genannt – wobei diese geradezu als Beispiel für das generische, also nichtbiologische grammatische Geschlecht dienen können, und zwar sowohl im Maskulinum als auch im Femininum.
Aber wahrscheinlich werden gesellschaftspolitische Positionen in dieser Frage letztlich den Ausschlag geben. Interessant und auch erfreulich ist jedenfalls, dass ein strittiges Thema der deutschen Sprache überhaupt wieder in der Öffentlichkeit eine Rolle spielt. Das kann dem öffentlichen Sprachbewusstsein nur nützen.
Der Sprachwandel vollzieht sich langfristig in einem Spannungsverhältnis von Sprachökonomie und Verständlichkeit, von Effizienz und Explizitheit. Es bleibt spannend zu beobachten, wohin dieses Kräfteverhältnis die deutsche Sprache in ihrem Gebrauch führen wird. Eines ist sicher: Der nächste Duden kommt bestimmt.
Roland Kaehlbrandt ist Professor für Sprache und Gesellschaft an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft und Ko-Autor des soeben neu erschienenen „Lexikons der schönen Wörter“ (Piper Verlag).
Mit dem neuen Duden werden 300 alte Wörter gestrichen.