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Documenta-Gutachten: Schonungslos, aber vielleicht zu spät

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Von: Lisa Berins

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Auf der documenta fifteen.
Auf der documenta fifteen. © IPON/Imago

Ein fachwissenschaftliches Gremium listet viele Mängel der Documenta im Umgang mit dem Antisemitismus auf.

Geplant war eine Veröffentlichung in den nächsten Tagen, dann kam sie doch unverhofft schnell: Nach einer Sitzung des Documenta-Aufsichtsrats am Freitagabend publizierte die Documenta gGmbH am späten Montagnachmittag den Abschlussbericht eines fachwissenschaftlichen Gremiums als Downloadlink in einer Pressemitteilung. Das Gremium war im vergangenen Juli eingesetzt worden, um die Antisemitismusvorwürfe und den Umgang mit ihnen auf der documenta fifteen zu prüfen. Die Frankfurter Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff leitete dieses Gremium. Sie hatte selbst nicht mit einer derart zügigen Veröffentlichung gerechnet, wie sie der Frankfurter Rundschau sagte – aber sie sei nun vor allen Dingen dankbar dafür.

Selbstverständlich war eine zeitnahe Publikation offensichtlich nicht: In dem Gutachten werden nicht nur Kunstwerke detailliert analysiert, die unter demVorwurf des Antisemitismus standen; auch der Umgang der Verantwortlichen mit den Vorwürfen, die Organisation und die Struktur der Documenta gGmbh und des Aufsichtsrates werden fundamental kritisiert. „Das Gutachten ist schonungslos, es sollte auch schonungslos werden“, sagte die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn dazu, die dem Aufsichtsrat der Documenta als Stellvertreterin vorsitzt.

„Die Struktur der Documenta gGmbH war eine Hauptproblematik“, sagt Nicole Deitelhoff. Die Verantwortlichen seien „überhaupt nicht vorbereitet“ und überfordert gewesen mit einem solchen Problemfall – und das trotz der frühzeitigen Warnungen, die vor allen Dingen von jüdischen Vereinigungen schon Monate vor Beginn der documenta fifteen angebracht worden waren. Zum einen sehen Deitelhoff und ihre sechs Projekt-Mitarbeitenden die Findungskommission der Documenta in einer schwierigen Funktion: Zunächst war es ihre Aufgabe, eine künstlerische Leitung – das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa – zu benennen. Später dann sei dieselbe Findungskommission als Beirat eingesetzt worden, der in den Auseinandersetzungen vermitteln sollte, was er aber aufgrund seiner Parteinahme für Ruangrupa gar nicht gekonnt habe.

Eine weitere Schwäche sieht Deitelhoff in der Funktionsweise der Geschäftsführung, die zum Anfang Sabine Schormann und nach ihrem Rückzieher Andreas Fahrenholz innehatte. Wohl wegen des großen Finanzlochs bei der Documenta 14 sei der Fokus allzu stark auf die kaufmännischen Aspekte der geschäftsführenden Arbeit gelegt worden – und es habe keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kunst und der anwachsenden Problematik der Antisemitismus-Vorwürfe gegeben. „Die Geschäftsführung repräsentiert aber die öffentliche Hand und muss Verantwortung übernehmen“, sagt Deitelhoff. Dies hatte auch schon ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Christoph Möllers herausgestellt, das von Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Auftrag gegeben und vor Kurzem veröffentlicht worden war. Auch der Deutsche Kulturrat hatte die Verantwortung der Geschäftsführung in seiner Stellungnahme von Dezember betont. „Die Geschäftsführung kann sich nicht auf Kunstfreiheit berufen und muss eine strukturelle Verantwortung übernehmen“, macht Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, gegenüber der Frankfurter Rundschau noch einmal deutlich.

Die Documenta müsse eine Arbeitsgrundlage für die Geschäftsführung schaffen, damit diese dahingehend handlungsfähig sei, erklärt Deitelhoff. Dazu gehöre auch eine Veränderung im Aufsichtsrat der Documenta. Zum einen empfehle sich, dass die Kulturstiftung des Bundes wieder im Aufsichtsrat sitzt, zum anderen, dass weitere professionelle Beratung aus der Kunstszene vertreten sein sollte– damit sich ein Blick von außen unter die eingefahrenen Strukturen mischen könne. Außerdem sei denkbar, dass es, wie in anderen kulturellen Institutionen schon seit langem üblich, eine kaufmännische Geschäftsführung und eine künstlerische – eine Intendanz – geben könne, schlug Deitelhoff vor.

Daneben wird in dem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass Ruangrupas kuratorisches Konzept zwar als neu und spannend gewürdigt werden müsse, allerdings sei es in der Umsetzung „total in die Hose gegangen, um das mal flapsig zu sagen“, so Deitelhoff. Ruangrupa habe keinerlei Kontrolle mehr gehabt, wer ausstellt, und es habe von Anfang an eine feindliche Haltung gegenüber allem „Staatlichen“ gegeben; dadurch „waren Ruangrupa nicht sprechfähig“, und der Dialog sei unmöglich gewesen. Auch die Kunstvermittlung habe nicht helfen können; denn die Vermittlerinnen und Vermittler auf der d15 erhielten keinerlei Vorgaben für inhaltliche Auseinandersetzungen.

Generell habe es zu wenige inhaltliche Überlegungen gegeben, zum Beispiel habe kein Konsens darüber geherrscht, welche Definition von Antisemitismus als Grundlage der Diskussion herangezogen werde. „Wir wollen der Documenta nicht vorschreiben, welche Definition sie benutzen soll“, erklärt Deitelhof, „aber dass sie irgendetwas als Grundlage ihres Handelns heranzieht, das wäre zu erwarten gewesen.“

Die Auffassung, dass Antisemitismus erst dann zu ächten sei, wenn er sich als strafrechtlich relevantes Bild äußert, sei nicht akzeptabel. Fälle, die als Volksverhetzung gewertet würden, seien nun mal lediglich die „allerallerschlimmsten Vorfälle“, man müsse darüber hinaus auch moralische Grundsätze festlegen. Diese könnten, so ein Vorschlag Deitelhoffs, zum Beispiel auch in einem Vertrag der Documenta mit der künstlerischen Leitung festgelegt werden – ebenso wie Verfahrensmöglichkeiten bei der Überschreitung dieser Grenzen.

Das fachwissenschaftliche Gremium, zu dem unter anderem Julia Bernstein von der Frankfurt University of Applied Sciences, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlung Dresden Marion Ackermann und der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers zählten, hatte sich vier Antisemitismus-verdächtige Werke der documenta fifteen genau angeschaut und sie in detaillierten Bildanalysen auf Stereotype des Judenhasses untersucht. Eindeutig antisemitische Codes stellte das Gremium in dem heftig kritisierten Banner „People’s Justice“ von Taring Padi fest, das kurz nach dem Aufbau wieder von der Ausstellung entfernt wurde, außerdem in einer Zeichnung von Naji al-Ali, die das algerische Kollektiv Archives des luttes des femmes en Algérie im Fridericianum ausgestellt hatte. In diesen Werken, vor allen Dingen in dem Taring-Padi-Banner, seien typische antisemitische Klischees deutlich zu erkennen; „der Jude“ als Schwein, als gieriges, boshaftes Wesen.

Bei den anderen beanstandeten Werken – der Arbeit „Tokyo Reels“, des Kollektivs Subversive Film aus Ramallah, dem Bildzyklus „Guernica Gaza“ von Mohammed Al Hawajri und einer Zeichnung des Künstlers Burhan Karkutli, die ebenfalls vom Archives des luttes des femmes en Algérie präsentiert wurde –, hätte man es „größtenteils mit israelbezogenem Antisemitismus zu tun“, sagt Deitelhoff.  Der sei teilweise sehr subtil, und es sei darüber gestritten worden, ob tatsächlich Grenzen überschritten wurden. Grundsätzlich sei man aber der Überzeugung gewesen, dass in all diesen Werken eine Interpretation als antisemitisch „gut begründbar“ sei.

Das Potenzial des Gutachtens schätzt Deitelhoff eher kritisch ein: Es sei – trotz des Titels – keineswegs als ein Abschluss der Diskussion gedacht, sondern solle durch seine „relativ klare Schlussfolgerung“ und seine Handlungsempfehlungen faktische Grundlagen für die weitere kritische Betrachtung und nötige organisatorische Veränderungen liefern. Allerdings sei die Debatte mittlerweile abgeflacht; „der Zug ist eigentlich schon abgefahren, und ich fürchte, dass unser Bericht vielleicht zu spät kommt.“

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