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Öffentlich-Rechtliche
Dieter Grimm: „Rundfunkfreiheit ist in erster Linie Programmfreiheit“
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Der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm über hohe Gehälter von Intendanten und Intendantinnen, die Kontrollfunktion von Aufsichtsräten und eine Zusammenführung von ARD und ZDF.
Herr Grimm, das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist „derzeit schwer erschüttert und insbesondere die Akzeptanz der Höhe des Rundfunkbeitrags sinkt stetig“. Das gaben kürzlich zwei Ministerpräsidenten zu Protokoll. Stimmen Sie dem zu?
Die derzeitige Erschütterung geht im Wesentlichen auf die Verfehlungen einer Intendantin zurück. Daran ist wenig zu beschönigen. Aber es wäre unfair, dies dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzulasten. Die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags war nie sehr hoch, am wenigsten bei denen, die angeben, keine Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten anzuschauen. Das ist im Grunde nichts Neues.
Der Fall der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist wirklich ein Extremfall. Aber gibt es nicht auch ein strukturelles Problem? Alle Intendanten und Intendantinnen der ARD verdienen mehr als die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen ihrer Länder, Tom Buhrow deutlich mehr als Hendrik Wüst, Katja Wildermuth mehr als Markus Söder. Ist das gerechtfertigt?
Ich empfinde die Intendantengehälter auch als hoch, ich sage aber bewusst nicht: zu hoch. Die geeignete Vergleichsgruppe sind nicht die Politiker, sondern eher die Vorstände der privaten Rundfunkveranstalter. Was verdient etwa der Chef von RTL? Ich sage das deshalb, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur im Programm-Wettbewerb mit den Privaten steht, sondern auch im Wettbewerb um Führungskräfte.
Die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) hat schon in früheren Berichten festgestellt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk weit überdurchschnittlich bezahlt. Das hat aber nicht zu einer Korrektur geführt.
Die Intendanten genehmigen sich ihre Gehälter ja nicht selbst. Dafür sind die Verwaltungsräte der Anstalten zuständig, in denen nur externe Mitglieder sitzen, im Verwaltungsrat des ZDF zum Beispiel seit jeher auch Ministerpräsidenten. Wenn sie vorher den Gehältern zugestimmt haben, können sie nachher nicht über ihre Höhe klagen.
Nachdem der Missbrauch der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger bekannt wurde, gab es auch Kritik an den Verwaltungsräten. Sind die zu schwach?
Rechtlich sind sie stark genug. Sie haben alle Befugnisse, die sie zur Erfüllung ihrer Funktion benötigen. Die Wahrnehmung der Befugnisse hat aber Voraussetzungen. Man braucht Wissen und Durchsicht, um sich ein Urteil bilden zu können, welche Gehälter angemessen sind, welche Investitionen berechtigt sind. Da sind Gremien-Mitglieder, die über einen großen Arbeitsstab verfügen, gegenüber solchen im Vorteil, die ad personam berufen worden sind.
Das Eingangs-Zitat stammt von zwei Ministerpräsidenten, die im ZDF-Verwaltungsrat sitzen, nämlich von Dietmar Woidke, SPD und Landeschef in Brandenburg, sowie Reiner Haseloff, CDU und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Beide haben zu Protokoll gegeben, dass sie einer Beitragserhöhung 2024 nicht zustimmen wollen.
So einfach geht das nicht. Es gibt ja ein Verfahren dafür. Die Anstalten melden ihren Bedarf an. Die unabhängige KEF prüft die Anträge auf ihre Berechtigung und schlägt einen Betrag vor. Die Ministerpräsidenten schließen auf dieser Grundlage einen Staatsvertrag ab. Dabei sind ihre Möglichkeiten, von der KEF-Empfehlung abzuweichen, stark beschränkt. Ankündigungen von Ministerpräsidenten, man werde einer Beitragserhöhung nicht zustimmen, gehen an dieser Rechtslage vorbei.
Dieses dreistufige Modell geht ja auf das Bundesverfassungsgericht zurück. Konkret auf das Urteil von 1994, an dem Sie als Verfassungsrichter maßgeblich mitgewirkt haben. Sehen Sie es als notwendig an, das Modell zu verändern?
Das Modell dient zum einen dazu, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Geldmittel zu sichern, die er zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags benötigt. Zum anderen soll es verhindern, dass der Staat den Finanzhebel benutzt, um Einfluss auf die Programmgestaltung der Anstalten zu gewinnen, auch nicht auf Schleichwegen. Die im Grundgesetz garantierte Rundfunkfreiheit ist in erster Linie Programmfreiheit. Wie bedeutend das ist, zeigt ein Blick ins Ausland. Meines Erachtens hat sich das dreistufige Modell bewährt. Weder die finanziellen Begehrlichkeiten des Rundfunks noch die programmlichen Ansinnen der Politik können durchschlagen.
Zur Person:
Dieter Grimm (86) war von 1987 bis 1999 Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe. Er gehörte dort dem Ersten Senat an und war zuständig für die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die starke Stellung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags gehen auf das Urteil von 1994 zurück, an dem Grimm als Berichterstatter maßgeblich mitwirkte.
Im ZDF-Verwaltungsrat war Grimm von 2002 bis 2007, nach seiner Zeit als Bundesverfassungsrichter. Er ist seit 2000 im Wissenschaftskolleg Berlin.
Aktuell haben die Öffentlich-Rechtlichen beantragt, die Gebühren ab 2025 um jährlich etwa zwei Prozent zu erhöhen, bis 2028 wären es über acht Prozent. Angenommen, die KEF übernimmt den Vorschlag in dieser Größenordnung, aber einige Länderchefs stimmen trotzdem nicht zu.
Staatsverträge über den Rundfunkbeitrag kommen nur bei Einstimmigkeit zustande. Wenn nicht alle Ministerpräsidenten zustimmen, gibt es keinen Staatsvertrag. Der Fall ist noch nicht vorgekommen. Wohl aber kam es 2020 vor, dass ein Landtag dem Staatsvertrag nicht zugestimmt hat, nämlich der von Sachsen-Anhalt. Dagegen klagten die Rundfunkanstalten vor dem Bundesverfassungsgericht, das entschied, ein einzelner Landtag könne nicht den von allen Ländern abgeschlossenen Staatsvertrag zu Fall bringen. Auch wenn die Ministerpräsidenten von dem Vorschlag der KEF abweichen oder sich gar nicht erst auf die Höhe des Rundfunkbeitrags einigen können, hätten die Anstalten die Möglichkeit, sich wegen Verletzung der Rundfunkfreiheit an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.
Es gab auch schon den Vorschlag, im Staatsvertrag selbst eine Höchstgrenze für die Intendantengehälter festzulegen. Der WDR-Intendant Buhrow zeigte sich offen für diesen Vorschlag.
Das halte ich für möglich. Ein rechtliches Hindernis besteht nicht, solange die Deckelung nicht die Erfüllung des Rundfunkauftrags gefährdet. Wenn es den Rundfunkgremien nicht gelingt, mit dem Problem fertig zu werden, müssen externe Lösungen gefunden werden.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ja eine große Bedeutung für diese Gesellschaft. Das macht das Angebot, in einer Leitungsposition tätig zu sein, doch attraktiv. Auch wenn man nicht mehr so viel verdient wie gegenwärtig…
Das nehme ich auch an. Die Sender und ihre Intendanten haben erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das macht die Stellen attraktiv.
Was halten Sie von dem Vorschlag, ARD und ZDF zusammenzuführen, um finanzielle Mittel freizusetzen?
Wenig. Man kann nicht mangelnde Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beklagen und dann den Wettbewerb abschaffen. Wettbewerb im Programm sollte es nicht nur zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Privaten, sondern auch innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben.
Damit kommen wir zum Inhalt. Am Programm gibt es ja ebenfalls Kritik. Berechtigte?
Ich möchte da differenzieren. Auf der einen Seite steht die politische und gesellschaftliche Information sowie das Bildungs- und Kulturangebot. Da finde ich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Aufgabe im Wesentlichen gerecht wird. Angesichts des Ausmaßes an Desinformation und Fake News in den Sozialen Medien ist das heute wichtiger denn je. Die privaten Anbieter halten da nicht mit. Auf der anderen Seite steht die Unterhaltung. Auch sie gehört zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aber die Beitragsfinanzierung soll es ihm gerade ermöglichen, sich auch hier zu unterscheiden und nicht nur die Einschaltquote vor Augen zu haben.
Können Sie das konkret machen?
Es gibt keinen Zwang, am Abend zwei oder drei Krimis nacheinander laufen zu lassen. Der Phantasie für innovative Formate müsste mehr Raum geschaffen werden.