US-Republikaner: Der Betrug an der Demokratie

Wege zum Wahllokal verlängern, Briefwahlen abschaffen, Wählerlisten bearbeiten: Die Manipulation der US-Republikaner hat System.
Es scheint so, als sei die Demokratie in den USA noch intakt. Immerhin hat sie im Januar den Putschversuch ihres abgewählten Präsidenten Donald Trump überlebt, der mit seinen Republikanern schon in den vier Jahren zuvor alles dafür getan hat, um die Gewaltenteilung auszuhebeln. Nun ist Joe Biden Präsident, die Demokraten haben eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat. Alles gut also? Keineswegs!
Der Ex-Präsident und seine Gefolgsleute behaupten noch immer, Biden und die Demokraten hätten die Wahlen nur durch Betrug gewonnen. Und dabei bleibt es nicht: Laut einer neuen Analyse des unabhängigen Brennan Center for Justice haben die Republikaner allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres 253 (!) Gesetzesentwürfe zur Einschränkung des Wahlrechts in 43 Bundesstaaten eingebracht. Georgia steht dabei besonders im Fokus. Der republikanische Mehrheitsführer im dortigen Senat, Mike Dugan, hat in der vergangenen Woche ein Gesetz durchgesetzt, das unter anderem untersagen soll, die Briefwahl ohne triftigen Grund wie Krankheit zu beantragen. Bei der letzten Wahl im November 2020 haben gut 1,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger per Brief gewählt, überwiegend stimmten sie für die Demokraten.
Republikaner mögen keine hohe Wahlbeteiligung
Der Hintergrund der Maßnahme ist klar: Schon in zwei Jahren muss sich der eben gewählte erste schwarze Senator des Bundesstaates zur Wiederwahl stellen. Verliert er, steigen die Chancen der Republikaner deutlich, die Mehrheit im Senat zurückzuerobern. Sie könnten dann fast alle Vorhaben von Präsident Biden blockieren.
Die Republikaner glauben, dass eine hohe Wahlbeteiligung, besonders in städtischen Gebieten, die Demokraten begünstige und dass sie selbst daher davon profitieren, wenn weniger Menschen wählen. „Es gibt einige Politiker, die sehr besorgt sind über die historisch hohe Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen 2020. Sie sind entschlossen, Barrieren vor der Wahlurne zu setzen, um ihren Job zu sichern“, sagt Myrna Pérez, die Direktorin für Wahlrechte beim Brennan Center.
Die USA sind dadurch noch keine „illiberale“ Demokratie wie Ungarn oder Polen, wo der Rechtsstaat allmählich abgeschafft wird, die Medien ihrer Freiheit beraubt sind und Künstlerinnen und Künstler nicht mehr frei arbeiten können. Doch wenn eine der beiden Parteien in einem Zweiparteiensystem die politischen Institutionen untergräbt, was für eine Demokratie ist das noch? Die Republikaner schlagen einen Weg ein, den üblicherweise Autokraten nutzen – unterstützt durch Trollarmeen aus Russland oder China, die durch Desinformation das Ansehen der demokratischen Institutionen in Zweifel ziehen.
Versuch, das Wahlrecht einzuschränken
Eine Tendenz zu Illiberalität ist bei den Republikanern nicht neu. Aktuell versuchen sie wieder einmal, das Wahlrecht, insbesondere von Minderheiten, einzuschränken, wo sie nur können. Sie wollen die von Wählern der Demokraten bevorzugte Briefwahl abschaffen – neben Georgia, auch in Pennsylvania oder Iowa. In Arizona haben sie ein Gesetz eingebracht, das die automatische Zusendung der Wahlunterlagen verbieten soll. Sie schließen in mehreren Staaten Wahllokale in Gegenden, in denen vor allem Arme und Schwarze oder Latinos leben; sie verlangen bestimmte Ausweise, die Angehörige von Minderheiten oft nicht besitzen, und ziehen etliche Wahlkreisgrenzen so, dass sie ihre Kandidatinnen und Kandidaten begünstigen („Gerrymandering“).
Die Diskriminierung von Minderheiten, vor allem der afroamerikanischen, hat eine lange Tradition – genau deshalb bedurfte es des Wahlrechtsgesetzes von 1965. Es schaffte Analphabetismustests und andere Maßnahmen vor allem in den Südstaaten ab, die die ärmere und schlechter gebildete afroamerikanische Bevölkerung von der Wahl ausschlossen. Trotz dieses Schutzes arbeiten die Republikaner seither erfolgreich daran, diese Rechte erneut zu beschneiden.
Mehr als eine halbe Million Menschen aus den Wählerlsten gestrichen
Spätestens seit der Wahlniederlage des Präsidentschaftskandidaten John McCain gegen Barack Obama 2008 erkannten die Republikaner, dass sie ein grundlegendes Problem haben: den demografischen Wandel. Beispiele aus Georgia veranschaulichen die Entwicklung besonders gut. Der Bundesstaat ist seit einigen Jahren umkämpft und hat bei den Präsidentschafts- und Senatswahlen 2020 eine große Rolle gespielt. Joe Biden gewann den Staat als erster Demokrat seit Bill Clinton 1992. In den vergangenen beiden Jahrzehnten war das Land weitgehend in der Hand der Republikaner. Doch Georgia ist seitdem diverser geworden. Junge Angehörige von Minderheiten zogen in großer Zahl vor allem in die urbanen Zentren, da sie dort Arbeit fanden. Georgias Einwohnerzahl wuchs von 2000 bis 2019 um mehr als zwei Millionen. Dabei sank der Anteil der Weißen von 65,1 auf 60,2 Prozent, während der Anteil der Schwarzen von 28,7 auf 32,6 Prozent anstieg. Dieser Entwicklung begegnen die Republikaner nicht mit einer Politik, die auf den gesellschaftlichen Wandel reagiert, sondern mit dem Versuch, das Wahlrecht zu beschneiden.
Ende Juli 2017 strich Georgias Innenminister (Secretary of State) Brian Kemp an einem einzigen Tag mehr als 560 000 Menschen aus den Wählerlisten. Das waren acht Prozent der Wahlberechtigen – und zwar vor allem Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten. Diese Maßnahme allein war schon skandalös. Besonders brisant wurde sie dadurch, dass Kemp gleichzeitig für das Amt des Gouverneurs kandidierte. Er verschaffte sich also einen Vorteil gegenüber der populären schwarzen Gegenkandidatin Stacey Abrams. Kemp verkaufte seine Manipulationen als turnusmäßige Aktualisierung von Wählerlisten. Der investigative Journalist Greg Palast machte publik, wie das wirklich ablief: „Die Betroffenen könnte man ‚Säuberungsopfer per Postkarte‘ nennen. Wenn sie eine Wahl verpasst haben, bekommen sie eine Postkarte, um ihre Adresse zu bestätigen. Schicken sie die Postkarte nicht zurück und geben 2014 und 2016 keine Stimme ab, werden sie ohne weitere Ankündigung (aus der Wahlliste) mit der Begründung gestrichen, dass dies ein Beweis dafür sei, dass sie (aus dem Wahlkreis) weggezogen seien.“
Neben der „Säuberung“ von Wählerlisten ließ Kemp 214 Wahllokale schließen – was Republikaner auch in anderen von ihnen regierten Bundesstaaten praktizieren. Das unabhängige Leadership Conference Education Fund fand heraus, dass seit 2013 immer mehr Wahllokale geschlossen worden sind. Denn in jenem Jahr fällte der Supreme Court ein fatales Urteil, mit dem er eine wesentliche Regelung des Wahlrechtsgesetzes von 1965 wieder aufhob: Dieser Voting Rights Act hatte festgelegt, dass ehemals besonders rassistische Südstaaten und Landkreise, in denen Minderheiten das Wählen größtenteils verwehrt worden war, fortan eine Zustimmung des Justizministeriums in Washington benötigten, wenn sie ihr Wahlrecht ändern wollten.
Die Republikaner bekennen ihre Absichten offen
Die Mehrheit der republikanischen Richter beschloss 2013, dass diese Regelung überholt sei und es de facto keine Benachteiligung von Minderheiten mehr gäbe. Seitdem wurden in Georgia, Arizona, Louisiana, Alabama und North Carolina mehr als 1200 Wahllokale geschlossen, vor allem in Gegenden, in den Minderheiten und ärmere Menschen leben. Die Zeitung „Atlanta Journal-Constitution“ fand heraus, dass die Schließung von Wahllokalen und längere Wege in Georgia wahrscheinlich 54 000 bis 85 000 Wähler 2018 daran hinderten, am Wahltag ihre Stimme abzugeben. Das mag bei über zehn Millionen Wahlberechtigten nicht so gravierend erscheinen. Doch nur 55 000 Stimmen fehlten Abrams zum Sieg.
Die Republikaner bekennen ihre Absichten durchaus offen. So sagte etwa Brian Kemp im Jahr 2014: „Sie wissen, dass die Demokraten hart daran arbeiten, (…) um all diese Wähler aus Minderheiten zu registrieren, die da draußen sind, und andere, die am Rande sitzen. Wenn sie das schaffen, können sie diese Wahlen im November gewinnen.“ 2014 oder 2018 war es zwar noch nicht so weit, aber eben 2020, weil es Stacey Abrams mit ihrer Initiative „Fair Fight“ trotz aller Hindernisse gelungen ist, mehr Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen denn je für eine Präsidentschaftswahl zu registrieren. Konsequenterweise versuchen die Republikaner jetzt, für die Wahlen 2022 vorzusorgen und erneut Minderheiten das Wählen massiv zu erschweren. Die Folge: Selbst wenn die Stimmenverteilung so ausfiele wie 2020, würden sie zumindest im Repräsentantenhaus die Mehrheit gewinnen. Dann könnte nicht nur Biden seine ambitionierte Reformagenda vergessen, sondern die Demokratie würde nachhaltig beschädigt.
Die Demokraten versuchen gegenzusteuern, da sie die Mehrheit im Kongress haben und den Präsidenten stellen. So haben sie gerade erneut ein Wahlrechtsgesetz (For the People Act) im Repräsentantenhaus verabschiedet, das die Republikaner 2019 im Senat blockiert hatten. Dieser Gesetzentwurf enthält dringend notwendige Schritte: Wahlberechtigte sollen automatisch registriert werden und können sich auch am Tag der Wahl noch registrieren lassen; die Zeitspanne zur Stimmabgabe wird auf mindestens 15 Tage vor der Wahl ausgedehnt; die Möglichkeit zur Briefwahl wird erweitert; der Wahltag (der erste Dienstag im November) wird ein Feiertag; Wahlbezirke dürfen nicht mehr zugunsten einer Partei gezogen werden; die Wahlkampffinanzierung wird zugunsten kleiner Spenden reformiert. Kurzum: Das Wahlrechtsgesetz von 1965 wird nicht nur gestärkt, sondern zeitgemäß weiterentwickelt, nachdem es vom Supreme Court 2013 in wesentlichen Teilen ausgehöhlt worden ist.
USA: Die Demokratie steht auf dem Spiel
Diese Reformen würden allerdings nur für landesweite Wahlen gelten, also für die Stimmabgabe über Präsident und Kongress. Die Wahlen in den einzelnen Staaten wären nicht betroffen – und genau darauf zielen jene 253 Gesetzentwürfe, die die Republikaner schon eingebracht haben, um unliebsame Stimmen möglichst auszuschließen. Zudem wird Trumps Partei alles tun, um die Verabschiedung dieses Wahlgesetzes im Senat zu verhindern. Das undemokratische Instrument des Filibusters erleichtert das, denn um das Gesetz zu verabschieden, bräuchten die Demokraten eine „Supermehrheit“ von 60 Stimmen, die sie nicht haben – und auf die Abschaffung des Filibusters können sie sich bislang nicht einigen. Außerdem könnte der Supreme Court mit seiner starken erzkonservativen Mehrheit das Gesetz für verfassungswidrig erklären oder zumindest wichtige Teile davon – so wie 2013. Die US-Demokratie würde dann auf unabsehbare Zeit die Rechte fast der Hälfte ihrer Bürger beschneiden.
Vielleicht haben die Mitglieder des Obersten Gerichts aus dem schockierenden Sturm auf das Kapitol im Januar gelernt, dass die Demokratie nun tatsächlich auf dem Spiel steht. Doch danach sieht es nicht aus. Der Supreme Court muss gerade über ein weiteres Gesetz zur Einschränkung des Wahlrechts für Minderheiten befinden, das von den Republikanern in Arizona beschlossen wurde.
Die Fragen der konservativen Richter in der Anhörung am Dienstag letzter Woche klangen nicht danach, dass sie das Gesetz ablehnen werden. Akzeptiert das Gericht aber erneut Wahlrechtsbeschränkungen – das Urteil wird für Juli erwartet –, können und werden die Republikaner Gesetze wie in Arizona oder Georgia auch in anderen Staaten verabschieden. Einen Putschversuch brauchen sie dann nicht mehr, um auch als Minderheit die Macht in weiten Teilen des Landes zu verteidigen.