Das Schweigen des Forschers

Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui hatte Babys genetisch manipuliert. In einem Interview demonstriert er eine eigentümliche Sprachlosigkeit nach dem Experiment.
Was ist besser: Kranke Menschen therapieren oder gleich genmanipulierte, gesunde Babys zur Welt bringen? Es könnte so einfach sein, wenn nur der Einfachheit dieser Frage nicht eine unübersehbare Komplexität der Wirklichkeit gegenüberstünde. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hatte darauf hingewiesen, dass besonders Expert:innen sich selbst in ihrem Wissen über- und die Realität in ihrer Komplexität unterschätzten.
Einer der Kandidaten hierfür ist der chinesische Wissenschaftler He Jiankui. Er wollte Babys schaffen, die gegen HIV immun sein sollten und veränderte hierfür das Erbgut ihrer Eizellen, bevor diese dann befruchtet der Mutter implantiert wurden. He machte seine Forschungen publik, ein Entsetzensschrei ging um die Welt und er wanderte ins Gefängnis. Einem Korrespondenten der „Neuen Zürcher Zeitung“ ist es gelungen, mit ihm nach seiner Haftentlassung ein Interview zu führen. He konnte ganz offensichtlich nicht frei über seine Forschung und seine Vorhaben sprechen. Der Journalist traf den Forscher im „Starbucks“ und begegnete bei einem Kaffee einer aussagekräftigen Sprachlosigkeit dieses Forschungsfeldes. Auf die Frage: „Was war der erste Erfolg in Ihrem Leben?“, antwortete He: „Nächste Frage.“ War es vielleicht die erste wissenschaftliche Arbeit, die veröffentlicht wurde?, wollte der Journalist wissen. He: „Ich weiß nicht.“ Als es konkreter um seine Forschung ging, für die er ins Gefängnis gegangen war, wurde ihm die Frage gestellt: Wie geht es den drei Babys, die heute Kinder sein müssen? He sagte nur: „Darauf habe ich keine Antwort. Ich habe keinen Kommentar.“ Wissen Sie, wie es den Kindern heute geht? „Ich beantworte diese Frage nicht“, so He. Ob er ein ruhiges Gewissen habe, fragt ihn der NZZ-Journalist, „Ich weiß nicht“, antwortet He. Leben die Kinder noch? He: „Lassen Sie uns über etwas anderes reden.“ Auch über seine Gefängniszeit wurde He befragt: Wie war das Essen im Gefängnis? Keine Antwort, He lacht nur laut. Wo waren Sie im Gefängnis? He: „Hm.“
Irreversible Folgen
Das Gespräch setzt sich so fort, und man kann sich fragen, warum es überhaupt gedruckt wurde. Es gibt jedoch einen relativ guten Einblick in die Strukturen einer Diktatur, in der man sich nicht frei äußern kann, ohne erhebliche Folgen für sich in Kauf nehmen zu müssen. Und es demonstriert die Sprachlosigkeit eines Forschers, der auch aus Sicht seiner internationalen Kollegenschaft weit über das Ziel hinausgeschossen war. Denn Eingriffe in das menschliche Erbgut können für künftige Generationen irreversible Folgen haben.
Anfänglich hatten die chinesischen Staatsmedien He Jiankui noch gefeiert. Doch der Wind sollte sich schnell drehen. Dabei gilt China als eine Art Eldorado für ausländische Wissenschaftler:innen, die in ihrem eigenen Land mit scharfen Restriktionen zurechtkommen müssen. So verpasste sich etwa Deutschland 2000 eine Art biomedizinischen Keuschheitsgürtel, als durch das Stammzellgesetz festgelegt wurde, dass man nur embryonale Stammzelllinien importieren darf. Für die Gewinnung der Zellen werden menschliche Embryonen, nicht größer als der Punkt am Ende dieses Satzes, getötet. Mit der Forschung an ihnen sollten Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer besiegt werden.
Dennoch gibt es beachtliche Fortschritte. So bediente He sich einer Methode, die als revolutionär gilt. Die Rede ist von der Genschere Crispr. Durch sie kann zielgenau das Genom verändert werden. So lassen sich etwa Pflanzen herstellen, die resistent sind gegen bestimmte Schädlinge (auf diese Weise könnten mehr Menschen ernährt werden), oder die Gameten verändern, um genetisch optimierte Nachkommen zu erzeugen. In diesem ethischen Spagat befindet sich der Forschungszweig.
Im chinesischen Jahr des Hasen, das für Hoffnung steht, setzt man natürlich auf die segensreiche Wirkung der Biotechnologie.